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ASIEN/024: Sulawesi - Traditionelle christlich-muslimische Zusammenarbeit neu belebt (ÖRK)


Ökumenischer Rat der Kirchen - Feature vom 24. Juli 2008

Traditionelle christlich-muslimische Zusammenarbeit in Sulawesi neu belebt

Von Maurice Malanes


In der Betonwand hinter dem Altar der Christlichen Kirche in Mittelsulawesi in Palu, Indonesien, sieht man noch die Einschusslöcher von zwei Kugeln wenige Zentimeter neben einem gerahmten Kreuzstich-Porträt Jesu Christi.

Vor vier Jahren, am 18. Juli 2004, wurden diese Schüsse aus dem Schnellfeuergewehr eines Mörders abgegeben, der Pfarrerin Susianti Tinulele tötete, die gerade die Predigt in einer Abendandacht gehalten hatte. Tinulele, 28 Jahre alt, gehörte zu der wachsenden Zahl von Pastorinnen in Indonesien.

Tinulele starb während der Welle von Gewalt und Mord, die 2000 den mehrheitlich muslimischen Bezirk Poso in Mittelsulawesi überrollte. Berichten zufolge war der Auslöser der Gewalt ein Streit zwischen einem christlichen und einem muslimischen Jugendlichen.

Bei den anschließenden Übergriffen auf Christen wurden Menschen getötet und Häuser niedergebrannt. Christliche Kämpfer, "Black Bat" genannt, übten im Mai 2000 Vergeltung und ermordeten Hunderte von Muslime.

Die Gewalt eskalierte weiter, als die bewaffneten Laskar Jihad im August 2001 den Dschihad oder "heiligen Krieg" erklärten und Kämpfer nach Poso entsandten. Die radikale Gruppe schickte muslimische paramilitärische Truppen, ausgerüstet mit AK-47- Gewehren, Granaten, Raketenwerfern, Bulldozern und Panzern und startete eine Kampagne der verbrannten Erde, in deren Verlauf Dutzende von christlichen Dörfern zerstört. 50'000 Menschen flüchteten in das mehrheitlich christliche Tentena am Poso-See, berichtete die Internationale Krisengruppe (ICG).

Vor einigen Tagen besuchte eine vom Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) entsandte Gruppe "Lebendiger Briefe" die Region, um sich über die Situation zu informieren und mehr über die Friedensarbeit der christlichen und muslimischen Gemeinschaften zu erfahren.

Teams Lebendiger Briefe reisen an Orte in aller Welt, wo sich Christen für die Überwindung von Gewalt engagieren. Sie ermutigen Kirchen und lokale Verantwortliche, friedliche Mittel der Konfliktlösung zu fördern. Die Teams sind im Vorlauf zur Internationalen Friedenskonvokation unterwegs, die im Mai 2011 auf Jamaika stattfindet.

In der Kirche in Palu, der Hauptstadt von Mittelsulawesi, trauern Verantwortliche und Mitglieder noch immer um die ermordete Tinulele, die sehr beliebt war. In dem tragischen Vorfall an dem Abend vor vier Jahren sehen sie aber auch eine "größere Botschaft" - wie sie ihren Glauben an Christus trotz aller Gewalt leben können.

Diese Botschaft muss etwas mit der Frage zu tun haben, "wie wir unsere Nachfolge leben können", denn was geschehen ist, "könnte selbst mit dem Leiden Jesu Christi am Kreuz nicht verglichen werden", erklärt Desyiranti Tengkende in einer schriftlichen Erinnerung.

Tengkende, die damals erst zehn Jahre alt war, verlor an jenem Abend ein Auge. Vier Menschen wurden durch die Schüsse, die der maskierte Heckenschütze vom Haupteingang der Kirche aus abfeuerte, verletzt. In der Kirche befanden sich über fünfhundert mehrheitlich junge Gemeindemitglieder. Der Mörder wurde von drei anderen Männern begleitet. Alle vier flohen anschließend auf zwei Motorrädern.

In ihrer auf Bahasa geschriebenen Zeugenaussage beschreibt Tengkende auch, wie sie ihr Trauma überwinden konnte, indem sie ihren Glauben stärkte.

"Der Tod von Susianti hat uns die Kraft gegeben, weiterzumachen und für andere da zu sein, und wir haben Hass, Zorn und Angst in Liebe und Mitgefühl verwandelt, um Geschwisterlichkeit unter uns aufzubauen", sagt Jetroson Rense, der jetzige Pfarrer der Kirche.

Rita Aryani Kupa teilt Renses Geist der Versöhnung und Tengkendes Glaubenssprung. "Durch Gottes Gnade und Lenkung habe ich gelernt, mit der Tragödie umzugehen", sagt sie in einem Interview.

Kupa, Mutter von drei Kindern, bezieht sich auf eine andere Tragödie - auf die Ermordung ihres Mannes, Pfarrer Irianto Kongkoli, am 26. Oktober 2006, zwei Jahre nach dem Mord an Tinulele. Kongkoli war zu dem Zeitpunkt Generalsekretär der Synode der Christlichen Kirche in Mittelsulawesi gewesen.

Kupa ist Polizistin und ihre Hoffnung sind ihre drei Kinder, von denen zwei in die Fußstapfen ihres verstorbenen Vaters getreten sind und sich am theologischen Seminar eingeschrieben haben.

"Ich muss mit meinem Gehalt als Polizistin gut haushalten", erzählt sie, "denn die Synode hat kein Geld, um mir eine Witwenrente auszubezahlen, aber mit Gottes Hilfe wird mein ältester Sohn in gut einem Jahr seinen Abschluss machen."

Verbindungen wiederherstellen

Die Gewalt in Mittelsulawesi hatte sich im Wesentlichen bereits ausgetobt, bevor die Regierung eingriff, erklärt die Internationale Krisengruppe. Die Behörden haben nicht versucht, gegen die gut bewaffneten Laskar Jihad einzuschreiten, sondern bemühten sich, eine Vereinbarung zwischen den Kombattanten auszuhandeln.

Im Januar 2007 kam es zu einer Reihe von Polizeiaktionen, wobei Berichten zufolge aus Java stammende radikale Islamlehrer aus Poso vertrieben und Straftäter verhaftet wurden, die Verbrecher im Namen des Jihad begangen hatten. Bislang ist es nicht zu Gegenreaktionen gekommen.

In dieser relativ friedlichen Situation in Poso haben christliche und muslimische Verantwortliche versucht, die Scherben, die der Konflikt hinterlassen hat, wieder zusammenzufügen. Sie haben Verbindungen wiederhergestellt, Gespräche wiederaufgenommen und Schritte zum Wiederaufbau der, wie sie sagten, langen Tradition der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern der beiden Glaubensgemeinschaften eingeleitet.

"Durch den Konflikt haben wir gelernt, dass wir die christliche Jugend dazu anhalten müssen, sich mehr für den Islam zu interessieren und ihn besser zu verstehen, um Islamophobie (Islamfeindlichkeit) zu vermeiden", erklärt Pfarrer Ishak Pule, der erste Vorsitzende der Synode der Christlichen Kirche in Mittelsulawesi. "Was uns voneinander trennt, ist das mangelnde Verständnis füreinander."

Pule traf am 19. Juli in seinem Büro in Tentena am Poso-See mit Mitgliedern des Teams der Lebendigen Briefe zusammen, die der Ökumenische Rat der Kirchen nach Indonesien entsandt hat.

Pule berichtet, dass christliche und muslimische Verantwortliche nach dem Abflauen des Konflikts das sogenannte Kommunikationsforum für religiöse Harmonie eingerichtet hätten, das sich kontinuierlich darum bemüht, Dialog und Verständnis zwischen den beiden Glaubensgemeinschaften zu fördern.

"Was in Poso passiert ist, hatte nichts mit Religion als solcher zu tun. Leider haben einige Leute Religion für die Politik eingespannt und sie für die falschen Zwecke instrumentalisiert", sagt Abdul Malik Syahadat, ein muslimischer Wortführer und Vorsitzender des interreligiösen Kommunikationsforums. "Alle Menschen in Indonesien wollen in Sicherheit und Frieden leben. Deshalb müssen wir uns jetzt für Frieden und Harmonie einsetzen.

Syahadat war einer von drei muslimischen Verantwortlichen, die am 19. Juli in Pules Büro mit den Lebendigen Briefen zusammentrafen.

Haji Yahya Mangun, ein weiterer Muslim und Sekretär des Forums, erklärt, dass es angesichts erster Anzeichen von Normalität und Stabilität ein unmittelbares Anliegen sei, die Menschen, die aus Poso geflohen seien, zur Rückkehr zu bewegen, damit sie sich hier wieder eine Existenz aufbauen können.

Die Tatsache, dass die Zahl der für Poso abgestellten Polizeikräfte von 235 im Jahr 2003 seit 2006 auf nur 12 reduziert worden sei, belege den Trend zur Normalisierung, fügt er hinzu.

"Es war vorher normal, dass wir zusammen lebten und arbeiteten und einander halfen", sagt er. Er zählt Beispiele dafür auf, wie Christen und Muslime einander in der Landwirtschaft halfen und bei religiösen Festen, wo sie Mahlzeiten miteinander teilten. Denn die Christen wussten, welche Nahrungsmittel für ihre muslimischen Brüder und Schwestern geeignet waren.

Mangun gehört zu den muslimischen Verantwortlichen, die sich um die Wiederbelebung dieser Geschichte der Zusammenarbeit zwischen Mitgliedern der beiden Religionsgemeinschaften bemühen.

Diese Bestrebungen und die Einrichtung von Mechanismen für den Dialog sind unübersehbare Zeichen der Toleranz und Koexistenz in Tentena.

Am 28. Mai 2005 explodierte eine Bombe auf dem Markt von Tentena und tötete 22 Menschen, hauptsächlich Christen.

Am vergangenen 20. Juli aber, einem Sonntag, wurden die Lebendigen Briefe vom Morgengebet eines Muezzin in einer nahen Moschee und vom Chor einer christlichen Kirche geweckt, die gemeinsam im Wettstreit mit den krähenden Hähnen lagen, als die Sonne über Tentena aufging.


Maurice Malanes ist freiberuflicher Journalist und stammt von den Philippinen. Er arbeitet zurzeit als Korrespondent für den Ökumenischen Nachrichtendienst (ENI), schreibt aber auch für den Philippine Daily Inquirer in Manila und die Union of Catholic Asian News (UCAN) in Bangkok.

Mehr Informationen über den Besuch der Lebendigen Briefe in Indonesien:
http://gewaltueberwinden.org/de/iepc/lebendige-briefe/indonesia.html

Die Meinungen, die in ÖRK-Features zum Ausdruck kommen, spiegeln nicht notwendigerweise die Position des ÖRK wider.

Der Ökumenische Rat der Kirchen fördert die Einheit der Christen im Glauben, Zeugnis und Dienst für eine gerechte und friedliche Welt. 1948 als ökumenische Gemeinschaft von Kirchen gegründet, gehören dem ÖRK heute mehr als 349 protestantische, orthodoxe, anglikanische und andere Kirchen an, die zusammen über 560 Millionen Christen in mehr als 110 Ländern repräsentieren. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche. Der Generalsekretär des ÖRK ist Pfr. Dr. Samuel Kobia, von der Methodistischen Kirche in Kenia. Hauptsitz: Genf, Schweiz.


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Quelle:
Feature vom 24. Juli 2008
Herausgeber: Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2008