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BERICHT/271: Rußland - Orthodoxie auf Versöhnungskurs (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion 12/2008

Orthodoxie auf Versöhnungskurs
Die Patriarchen legen den Streit zwischen Moskau und Konstantinopel bei

Von Karl G. Peschke


Anfang Oktober kamen die Oberhäupter der Orthodoxen Kirchen auf Einladung des Ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel zu einem Treffen ("Synaxis") zusammen. Dabei verpflichteten sie sich zur Eintracht untereinander und zu beschleunigten Vorarbeiten für das seit langem geplante Panorthodoxe Konzil. Vor allem aber kam es zu einer Wiederannäherung zwischen dem Ökumenischen und dem Moskauer Patriarchat.


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Nur die engsten Berater des Ökumenischen Patriarchen wundern sich nicht über das, was derzeit in der Orthodoxie passiert. Bartholomaios I. ist entschlossen, alles zu tun, damit die Kirchen von Rom und Konstantinopel tausend Jahre nach dem Abendländischen Schisma die volle Einheit wieder herstellen. Voraussetzung dazu ist, die Streitigkeiten innerhalb der Orthodoxie beizulegen. In diesem Bemühen entwickelt der Ökumenische Patriarch ein bemerkenswertes Charisma. Bei der Synaxis der orthodoxen Patriarchen, die zum Paulusjahr vom 10. bis 11. Oktober in Istanbul stattfand, ist es Bartholomaios I. gelungen, das Moskauer Patriarchat wieder zu einem gemeinsamen Auftreten der Orthodoxie zu bewegen. Die Moskauer Delegation hat die Ausführungen des Ökumenischen Patriarchen akzeptiert, in denen er die Vorrangstellung des Patriarchats von Konstantinopel hervorhob.

Über Jahrzehnte war der Dialog mit der Orthodoxie überschattet von den Spannungen zwischen Moskau und Konstantinopel. Das Ökumenische Patriarchat leitet aus den Beschlüssen der ökumenischen Konzilien und einer über Jahrhunderte gültigen Praxis gesamtorthodoxe Aufgaben und Rechte ab. Unter Berufung auf seine Größe und die damit verbundene Macht bestritt das Moskauer Patriarchat diesen historisch belegten Führungsanspruch des Patriarchen von Konstantinopel. Selbst die Anerkennung eines Ehrenvorsitzes in der Orthodoxie war für das Moskauer Patriarchat unakzeptabel.

Noch im vergangenen Jahr kam es in Ravenna zum Eklat, als sich die "Internationale Kommission für den theologischen Dialog zwischen orthodoxer und römisch-katholischer Kirche" nach sechsjähriger Unterbrechung mit dem Verhältnis von Konziliarität und Autorität in der Kirche befasste. Als die Vorrangstellung des Ökumenischen Patriarchats diskutiert wurde, nutzte die Delegation der Russisch-Orthodoxen Kirche den Streit um eine Verfahrensfrage, um unter Protest abzureisen.


Warum der Patriarch von Moskau trotzdem nach Kiew kam

Der Ton verschärfte sich sogar, als Bartholomaios I. bekannt gab, er wolle persönlich nach Kiew reisen, wo Viktor Juschtschenko eine Gedenkfeier zur Christianisierung der Kiewer Rus vor 1020 Jahren inszenierte. Interfax verbreitete eine Meldung, dass die Teilnahme von Bartholomaios ohne Einladung des Moskauer Patriarchen einen "feindlichen Akt gegen Russland" darstelle.

Erzpriester Dimitry Smirnow, Leiter der Militärseelsorge im Moskauer Patriarchat, legte nach: "Die Einstellung des Patriarchen von Konstantinopel zu Kirchenrecht, Geschichte und zu unserem Land ist schamlos." In beiden Stellungnahmen wurde aber auch deutlich, worum es ging: Bartholomaios würde mit seinem Besuch den einladenden ukrainischen Präsidenten Juschtschenko stärken und das mache die Visite des Patriarchen von Konstantinopel "mehr zu einer politischen als zu einer kirchlichen Angelegenheit".

Tatsächlich sagte der Patriarch von Moskau, Alexej II., seine Teilnahme an den Feierlichkeiten in Kiew ab, zumal auch noch bekannt wurde, dass Patriarch Filaret kurz vor dem Treffen in Kiew dem Ökumenischen Patriarchen einen Besuch abgestattet hatte. Als die Ukraine ein souveräner Staat wurde, hatten sich unter Filaret, dem orthodoxen Metropoliten von Kiew, Millionen von Gläubigen von der Russisch-Orthodoxen Kirche losgesagt. Aber allein aus der Tatsache, dass in der Ukraine das Oberhaupt einer Kirche als Patriarch verehrt wird - wie dies ja auch Kardinal Lubomyr Husar widerfährt - lässt sich weder ein Anspruch auf diesen Titel noch seine Rechtmäßigkeit ableiten. So ließ Filaret bei seinem Besuch im Phanar auch keinen Zweifel daran, dass er sich, falls es zwei Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nun zur Errichtung eines unabhängigen Patriarchats für die Ukraine kommen würde, als einfacher Metropolit verstünde, der sich gegebenenfalls der Jurisdiktion des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel unterstellen wolle.

Dem Leiter des Außenamts im Moskauer Patriarchat, Metropolit Kyrill von Smolensk, ist es gelungen, allen Bedenken zum Trotz Patriarch Alexej II. zur Teilnahme an der 1020-Jahrfeier in Kiew zu bewegen. Im Höhlenkloster kam es dann am 27. Juli zu einer unprotokollarischen Begegnung der beiden Patriarchen unter vier Augen, die so laut und heftig geführt wurde, dass selbst die vor den Türen wartenden Delegationen der Patriarchen den Konsens nicht ahnen konnten, den Bartholomaios I. und Alexej II. erreichten. Von den Wortfetzen konnten ohnehin die wenigsten etwas verstehen, da das historische Gespräch in deutscher Sprache geführt wurde. Bartholomaios I. hatte einige Jahre in München studiert und die Großmutter von Alexej II. ist eine geborene Rüdiger (vgl. HK, September 2008, 441ff.).

Metropolit Kyrill kommentierte, er hoffe sehr, dass diese Begegnung der Beziehung der beiden Kirchen untereinander neuen Auftrieb gebe und die Kirchenspaltung in der Ukraine so überwunden würde. Der Leiter des Außenamts im Moskauer Patriarchat betonte, der Weg zu einer Ukrainisch-Orthodoxen Kirche müsse kirchenrechtlich einwandfrei sein und es dürfe keine staatlichen Einmischungen geben. Wirklich greifbares Ergebnis des Gesprächs in Kiew war die Ankündigung, Alexej II. werde an der Synaxis teilnehmen, die Bartholomaios I. für den 10. und 11. Oktober in Istanbul einberufen hatte.

Die Synaxis ist in der Tradition des Patriarchats von Konstantinopel im Kirchenkalender das feierliche Gedächtnis eines Ökumenischen Konzils. Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. hatte die altchristliche Institution der Synaxis schon kurz nach seiner Wahl im März 1992 als kollegiale Höchstinstanz der orthodoxen Kirchenfamilie erneuert.

Die von Metropolit Kyrill in Kiew verkündete Kompromissformel, die Situation in der Ukraine müsse "auf kanonischem Weg" gelöst werden, ist alles andere als vage. Sie ist zunächst einmal ein Verweis auf die "Taxis", jene über die Jahrhunderte praktizierte und respektierte Ordnung der orthodoxen Kirchen, die aus den Beschlüssen der Ökumenischen Konzilien abgeleitet wird. Gregorios Larentzakis, Professor für orthodoxe und ökumenische Theologie an der Universität Graz, erläutert diese Rangordnung so: "Bei der Rangordnung, der Taxis, der gleichwertigen Orthodoxen Autokephalen Kirchen, nimmt das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel aufgrund von Entscheidungen von Ökumenischen Konzilien den ersten Platz ein, als primus inter pares."

Der ökumenische Patriarch ist demnach der primus, der Erste, nicht der Höchste, und die anderen Patriarchen oder Erzbischöfe stehen nicht unter seiner Jurisdiktion. Dieser primus inter pares darf sich nicht willkürlich in die inneren Angelegenheiten der Schwesterkirchen einmischen und hineinregieren: "Er ist kein orthodoxer hierarchischer Monarch, auch kein Papst der Orthodoxie. Dieser primus hat aber auf alle Fälle gesamtorthodoxe Aufgaben, Dienste und Rechte, die für die bessere Strukturierung und Koordination aller Orthodoxen Kirchen gelten, für die Überwindung von zeitweiligen Schwierigkeiten bei Orthodoxen Kirchen und schließlich für die Gründung von neueren Autokephalen Kirchen, auch wenn all das auf Kosten der eigenen Kirche und mit großen territorialen Opfern geschieht."


Richtungswechsel ohne Gesichtsverlust

Der "kanonische Weg" ist schließlich auch eine Willensbekundung, die Entscheidungen der Ökumenischen Konzilien ernst zu nehmen, die dem Patriarchen von Konstantinopel in verschiedenen Kanones eine Sonderstellung einräumt.

Eben dies anzuerkennen hatte sich der Patriarch von Moskau immer geweigert. Nach dem Bekenntnis zum "kanonischen Weg" musste nun eine Lösung gefunden werden, wie der Richtungswechsel ohne Gesichtsverlust für das Moskauer Patriarchat vollzogen werden konnte. Metropolit Kyrill reiste eigens in den Phanar, um die Teilnahme an der Synaxis bis ins Detail zu besprechen. Das nach allen Regeln byzantinischer Diplomatie vorbereitete Protokoll sah vor, dass Alexej bei der Eröffnung der Synode gar nicht anwesend war. Der Patriarch von Moskau überließ es dem Metropoliten Kyrill, die russische Delegation bei der Eröffnung der Synaxis zu leiten. Die Rede, in der Bartholomaios I. vor allen orthodoxen Patriarchen den Vorrang des Ökumenischen Patriarchats unterstrich, blieb ihm damit erspart.

Alexej sollte seinen Auftritt erst nach dieser Rede haben, um unter das Schlussdokument der Versammlung seine Unterschrift zu setzen. Selbstbewusst reiste der Moskauer Patriarch in Begleitung von drei Metropoliten an: Metropolit Vladimir von Kiew und der ganzen Ukraine, Metropolit Vladimir von Kishinew und ganz Moldawien und Metropolit Kornily von Tallinn und ganz Estland. Damit war allen klar, in welchen Gebieten das Moskauer Patriarchat Klärungsbedarf mit dem Ökumenischen Patriarchen hatte.

Die Oberhäupter der orthodoxen Kirche waren zur Synaxis in die Georgs-Kathedrale des Ökumenischen Patriarchats zusammen gekommen. Bartholomaios I. arbeitete in seiner Eröffnungsansprache zunächst heraus, dass der Heilige Paulus als "der erste Theologe der kirchlichen Einheit" zu sehen sei und interpretierte dann Paulus mit Johannes Chrysostomos: "Er trug Verantwortung nicht nur für einen Haushalt, sondern für Städte, Provinzen und Nationen, ja für die oikoumene, den ganzen Erdkreis."

Über die Frage, die Paulus im ersten Brief an die Korinther stellt: "Ist denn Christus zerteilt?" kam Bartholomaios zur Frage: "Ist denn die Orthodoxie zerteilt?" Zumindest müssten sich viele diese Frage stellen, wenn sie sich mit der Orthodoxie befassten. Es sei ja schön und gut, so Bartholomaios, im Glauben und in den Sakramenten vereint zu sein, "aber reicht das, wenn wir gegenüber den Nicht-Orthodoxen den Anschein erwecken, als seien wir im theologischen Disput und auch sonst gespalten? Wenn wir nicht in der Lage sind, dem schon lange angekündigten Heiligen und Großen Konzil der Orthodoxen Kirche näher zu kommen? Wenn wir schon zu den Fragen der heutigen Zeit nicht mit einer einzigen Stimme Stellung nehmen können, und stattdessen zu solchen Belangen einen bilateralen Dialog mit Nicht-Orthodoxen aufnehmen? Wenn wir es nicht schaffen, in der so genannten Diaspora eine einzige orthodoxe Kirche zu errichten, die den ekklesiologischen und kanonischen Grundsätzen unserer Kirche entspricht? Wie können wir den Eindruck vermeiden, die Orthodoxie sei gespalten, erst recht, wenn man uns nach nicht-theologischen und säkularen Kriterien beurteilt?"


Nicht ohne Anerkennung des Ökumenischen Patriarchats

Bartholomaios gab zu diesen Fragen eine klare Antwort: "Wir brauchen eine größere Einheit, damit wir nach draußen nicht als Kirchenverband sondern als eine einige Kirche erscheinen." Radio Vatikan übernahm diese Passage einer kaum zu überbietenden Selbstkritik des Ökumenischen Patriarchen. Allerdings wurde in diesem langen Zitat gerade jene Aussage gestrichen, die sich auf den bilateralen Dialog zwischen Moskau und dem Vatikan bezog. Das zeigt, dass man sich in Rom von diesem Vorwurf des Ökumenischen Patriarchen getroffen fühlte. Indem aber die Moskauer Delegation unter Metropolit Kyrill bei solchen Worten diesmal nicht unter Protest die Versammlung verließ, ist bereits der erste Beleg dafür erbracht, dass die vom Ökumenischen Patriarchen eingeforderte Einheit der Orthodoxie eine gewisse Aussicht auf Nachhaltigkeit hat.

Bartholomaios erklärte den Patriarchen, dass eine tiefere Einheit der Orthodoxie nur in Anerkennung des Ökumenischen Patriarchats erwachsen könne: "Durch all die Jahrhunderte, und besonders nach dem Schisma, als die römische Kirche die Kommuniongemeinschaft mit den Orthodoxen aufkündigte, war dieser Bischofssitz - entsprechend dem kanonischen Auftrag - berufen, im Vorsitz der orthodoxen Kirchen deren Einheit zu dienen." Und diesen Auftrag habe das Ökumenische Patriarchat über die Jahrhunderte erfüllt, "indem es eine ganze Reihe panorthodoxer Konzilien zu ausschlaggebenden Fragen der Kirche einberief, immer bereit, sowie es angemessen war, einer orthodoxen Kirche in Not Hilfe und Unterstützung zu gewähren".

Kein Zweifel, "diese koordinierende Funktion dieses Patriarchats hat die Einheit der orthodoxen Kirche gewährleistet, ohne die Unabhängigkeit der autokephalen Ortskirchen durch eine Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten auch nur im Entferntesten zu beschädigen oder zu mindern." Damit hatte Bartholomaios das Profil der orthodoxen Ekklesiologie beschrieben. Natürlich bestünde die Gefahr, dass eine in Autokephalismus übersteigerte Autokephalie die Tendenz zur Abspaltung berge. Auch diesen Satz ließ Metropolit Kyrill über sich ergehen.

Es gebe nicht mehr wie zu Zeiten des alten Byzanz einen Faktor Staat, der die Einheit der Orthodoxie garantiere und gegebenenfalls verordne, fuhr Patriarch Bartholomaios fort und überraschte mit einer spitzen Bemerkung gegen Rom: "Unser Kirchenverständnis lässt eine zentrale Autorität nicht zu, die Einheit von oben verordnen kann. Bei der Einheit, wie wir sie meinen, kommt es auf unser Gewissen an. Unsere Einheit ist hinreichend garantiert durch unser Gespür für das, was richtig ist und unseren Auftrag, dass wir eine einzige kanonische Struktur und Institution darstellen - ohne jedwede Einmischung von außen."

In ihrem Schlussdokument besiegeln die orthodoxen Patriarchen den Willen zur Eintracht mit folgendem Satz: "Eine gläubige Verkündung der Erlösungsbotschaft setzt voraus, interne Konflikte der orthodoxen Kirche zu überwinden, indem man die nationalistischen, ethnischen und ideologischen Gegensätze der Vergangenheit aufgibt. Denn nur so wird der Stimme der Orthodoxie die gebotene Bedeutung in der Welt von heute zukommen."

Unter dem Eindruck dieser historischen Geste gewinnen die übrigen Absichtserklärungen an Bedeutung. Mit Nachdruck sollen die Vorbereitungen zu einem panorthodoxen Konzil betrieben werden. Des Weiteren verpflichten sich die Patriarchen in ihrer gemeinsamen Erklärung zur "raschen Heilung aller kanonischen Anomalien", zu denen es in der Orthodoxie gekommen ist. Damit ist vor allem die orthodoxe Diaspora angesprochen. Da jede orthodoxe Kirche für ihre Gläubigen im Ausland eigene Gemeinden organisiert, führt dies oft zu einer verwirrenden Vielfalt. Bei verschiedenen panorthodoxen Begegnungen stand das Thema bereits auf der Tagesordnung. An die Synaxis von Konstantinopel knüpft nun die Erwartung, dass tatsächlich etwas geschieht.

Ausdrücklich unterstützen die Patriarchen die Initiative des Ökumenischen Patriarchats zur Bewahrung der Schöpfung und sie stimmen der Gründung einer inner-orthodoxen Studienkommission zu Fragen der Bioethik zu. Schließlich drücken die Patriarchen ihren Wunsch aus, trotz aller Schwierigkeiten die theologischen Gespräche mit anderen Christen sowie auch den interreligiösen Dialog fortzusetzen, insbesondere mit dem Judentum und dem Islam.

Unmittelbar nach Abschluss der Synode hat das Moskauer Patriarchat angekündigt, bei der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) seine Mitgliedschaft ruhen zu lassen, weil in diesem Gremium auch die vom Ökumenischen Patriarchen errichtete Apostolische Estnisch-Orthodoxe Kirche vertreten ist. Der aus Estland stammende Moskauer Patriarch sieht in dieser Kirche eine Abspaltung von der Estnisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats. Gerade unter dem Eindruck der Synaxis ist zu erwarten, dass zwei Jahrzehnte nach dem Zerfall der Sowjet-Union nun eine einvernehmliche Lösung der kanonischen Territorialfragen angestrebt wird, die dem Moskauer Patriarchat dann die Reaktivierung der KEK-Mitgliedschaft ermöglicht.


Für 2009 ist eine panorthodoxe Konferenz geplant

Das Moskauer Patriarchat zeigt sich erstaunlich entschlossen, sein Verhältnis zum Kreml neu zu bewerten. Mehrfach schon hatten die Kirchen in den abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien den dringenden Wunsch geäußert, sich von der Georgisch-Orthodoxen Kirche lösen zu dürfen, um sich der Russisch-Orthodoxen Kirche anzuschließen. Zu dem schriftlich beim Heiligen Synod eingereichten Gesuch teilte Wsewolod Tschaplin, der stellvertretende Vorsitzende im Außenamt des Moskauer Patriarchats, mit, das Gesuch sei gar nicht zur Abstimmung gekommen. Politische Entscheidungen hätten nämlich keinerlei Einfluss auf die Fragen kirchlicher Jurisdiktion. Das bedeutet, dass das bisher gegenüber dem Kreml stets loyale Moskauer Patriarchat nicht mehr zur Verfügung steht, wenn es darum geht, der international kritisierten Anerkennung der Souveränität von Georgiens Ex-Autonomien durch Moskau moralischen Rückhalt zu gewähren.

Metropolit Kirill Gundjajew, Tschaplins Vorgesetzter, ging so weit, dass er die Initiative des ukrainischen Präsidenten Juschtschenko begrüßte, die für das kommende Jahr geplante panorthodoxe Konferenz nach Kiew einzuladen. Juschtschenko hat sich bisher geweigert, die der Göttlichen Weisheit geweihte, fast 1000 Jahre alte Patriarchalbasilika einer der rivalisierenden Kirchen zu überlassen. Sie soll die Kathedrale des künftigen Patriarchen einer geeinten Ukrainisch-Orthodoxen Kirche sein. Zwei Wochen nach der Synaxis war Juschtschenko bereits im Phanar, um Bartholomaios die Sophienkathedrale für die panorthodoxe Konferenz anzubieten.

Wenn nun auch der als Schismatiker apostrophierte Filaret jubelt, die Zeit arbeite unaufhaltsam für die eine Ukrainisch-Orthodoxe Kirche, dann sind Zweifel angebracht, ob die panorthodoxe Konferenz die Aufgabe meistern wird, mit der Errichtung eines orthodoxen Patriarchats für die Ukraine die völlig unterschiedlichen Erwartungen in den Fraktionen der ukrainischen Orthodoxie zu bedienen. Es gibt bereits Spekulationen, auch die in den frühen Jahren der Sowjetunion gegründete autokephale Kirche wolle sich einem kanonisch legitimierten Patriarchat der Ukrainiseh-Orthodoxen Kirche anschließen.

Wie stark die Versöhnungsbereitschaft der Christen in der Ukraine ist, haben sie in den neunziger Jahren bewiesen. Nach Jahrzehnten der Verfolgung und Unterdrückung forderten die Gläubigen der Griechisch-Katholischen Kirche der Ukraine ihre Kirchen zurück, die zu stalinistischer Zeit enteignet wurden. In ganz Galizien kam es zu einem erbitterten Streit, zu tätlichen Übergriffen und Brandstiftungen. Das Motiv für die Gewalttätigkeiten war eine - für uns - nicht nachvollziehbare Bereitschaft, die eigene, geliebte Kirche zu verteidigen. Deshalb war es aber auch nach einer behutsamen Erläuterung der geschichtlichen Umstände durch die Bischöfe möglich, in kurzer Zeit die zerstrittenen Konfessionen zu versöhnen. Dieser Versöhnungswille muss sich nun bei der Errichtung eines ukrainisch-orthodoxen Patriarchats erneut erweisen.


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Karl G. Peschke (geb. 1952) hat in München und Rom Theologie, Philosophie und Germanistik studiert. Er war Redakteur beim Osservatore Romano und bei Radio Vatikan und Vatikan-Korrespondent von KNA und verschiedenen ARD-Sendern. Er ist Geschäftsführer der DOC-Medien GmbH und Autor zahlreicher Dokumentarfilme. Zusammen mit Heinz P. Gstrein ist er Vorstand des Vereins Kyrillos und Methodius.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
62. Jahrgang, Heft 12, Dezember 2008, S. 628-632
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. März 2009