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BERICHT/284: Ökumene ist eine Lebensart (ÖRK)


Ökumenischer Rat der Kirchen - Feature vom 3.6.2009

Ökumene ist eine Lebensart

Von Sara Speicher


Schwester Pina Sandu erzählt, dass ihr orthodoxes Kloster in den Bergen Rumäniens ein Ort für "touristische Spiritualität" ist. Da um das Kloster ein Ferienort entstand, "hören die Touristen die Glocken, den Gottesdienst dreimal am Tag - ob man will oder nicht... Sie hören, sie fühlen, sie wissen, dass etwas passiert". Deswegen leitet sie ihre Neugier in den Garten und in die Kirche - "kleine, sichere Schritte hin zu etwas Schönem".

Schwester Pina und fünf andere Schwestern - jeweils zwei von orthodoxen, römisch-katholischen und protestantischen Orden - leisten für Studierende und Gäste ein zugleich ähnlich subtiles und radikales Zeugnis im Ökumenischen Institut Bossey in der Nähe von Genf.

Die Schwestern leben zusammen, koordinieren die Gottesdienste und Gebete am Ökumenischen Institut, nehmen an Kursen teil - und verkörpern eine Art "ökumenischer Spiritualität" im täglichen Leben.

Die bloße Anwesenheit der Ordensschwestern in ihrem auffälligen Habit ist für alle, die für Tagungen und Veranstaltungen in das Institut kommen, schnell zu bemerken. Besucher kommen aus Kirchen und Entwicklungshilfswerken aber auch von ganz weltlichen Firmen wie Rolex oder einem Schweizer Fernsehsender. Sie alle sind eingeladen, am Gebetsleben des Instituts teilzunehmen.

Die wichtigste Aufgabe der Schwestern in Bossey ist jedoch Seelsorge für die Studierenden. Pfarrer Emmanuel Twahirwa von der anglikanischen Kirche in Ruanda, der in Bossey ein Aufbaustudium absolviert, schätzt ihre Mitwirkung am Gottesdienst.

"Wenn man hierherkommt, kann man leicht im wissenschaftlichen Studium versinken und darüber die geistliche Dimension vergessen", sagt er. "Wir müssen einen Ausgleich zwischen den beiden finden".

Noch wichtiger ist für ihn die Anwesenheit der Schwestern: "Schwestern aus unterschiedlichen Konfessionen leben hier zusammen - es ist für uns wichtig, von ihnen zu lernen".

Der Umgang mit Spannungen, die in den Unterrichtsräumen aufkommen, ist eine Art, wie die Schwestern ökumenische Beziehungen gestalten. Schwester Pina beschreibt, wie sie alle nach hitzigen Diskussionen vom Kursraum in die Küche zum Essen gehen und die Schwestern lächeln und reden.

"Es ist eine Gratwanderung, die Grenze zwischen akademischer Diskussion und spiritueller Beziehung oder Freundschaft zu erkennen", betont sie. "Ich höre von Katholiken, Orthodoxen, Protestanten. Es ist etwas völlig anderes, wenn ich einen Katholiken, einen Protestanten treffe... Die Person lässt mich das lieben, was diese Person tut."

Die Schwestern waren sich selbst unsicher, wie das Zusammenleben funktionieren würde. Schwester Sperancia Mulashani Thadeo von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania erzählt, dass sie vorher andere römisch-katholische Schwestern getroffen hatte, sich aber "nicht vorstellen" konnte, wie sie mit ihnen zusammenleben würde. "Ich dachte, sie würden vielleicht woanders bleiben", sagt sie reumütig.

In der Wirklichkeit erfuhr sie, dass das Zusammenleben möglich ist. "Das Schönste ist es, uns gegenseitig von unserem Leben zu erzählen, was wir tun, und wie unsere Spiritualität aussieht".

"Für uns bedeutet ökumenische Spiritualität, zusammen zu leben", sagt Ivy Athipozhiyil, eine dominikanische Schwester aus Indien. "Wir teilen alles, lachen gemeinsam. Das bieten wir unbewusst den Anderen, den Studierenden an. Für sie ist es ein Zeichen".

Ihr greifbares Zeugnis wird nicht nur von den Studierenden bemerkt. Schwester Ivy erinnert sich an ein Mitglied der Gemeinsamen Arbeitsgruppe zwischen der römisch-katholischen Kirche und dem Ökumenischen Rat der Kirchen, die in Bossey tagte. "Ein Bischof sah uns, wie wir gemeinsam hier entlang gingen, und er sagte [zu einem anderen Teilnehmer]: Wir reden, reden und reden, und hier - hier sieht man es!"

"Was ich verstanden habe ist, dass wenn wir über Einheit reden, das nicht bedeutet, den Glauben einer Person zu verändern", sagt Diakonisse Agnes Simbo Lema von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania. "Es bedeutet, zusammenzusitzen, sich auszutauschen, sich gegenseitig zu lieben und sich zu akzeptieren."

Maria Elena Romero Molina, eine dominikanische Missionsschwester aus Guatemala, bringt es auf den Punkt: "Ökumene ist kein Konzept. Sie ist eine Lebensart."

Schwester Pina erinnert sich: "Das Motto der Kommission Leben und Arbeit war damals: Doktrin trennt, Dienst eint." Heute könnte es heißen: "Doktrin trennt, Spiritualität eint."


Sara Speicher ist freiberufliche Autorin und ehemalige Koordinatorin des ÖRK-Teams für Information und Öffentlichkeitsarbeit.

Mehr zum Thema ökumenische Spiritualität:
http://www.oikoumene.org/?id=3100&L=2

Ökumenisches Institut Bossey:
http://www.oikoumene.org/de/activities/bossey.html

Die Meinungen, die in ÖRK-Features zum Ausdruck kommen, spiegeln nicht notwendigerweise die Position des ÖRK wider.

Der Ökumenische Rat der Kirchen fördert die Einheit der Christen im Glauben, Zeugnis und Dienst für eine gerechte und friedliche Welt. 1948 als ökumenische Gemeinschaft von Kirchen gegründet, gehören dem ÖRK heute mehr als 349 protestantische, orthodoxe, anglikanische und andere Kirchen an, die zusammen über 560 Millionen Christen in mehr als 110 Ländern repräsentieren. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche. Der Generalsekretär des ÖRK ist Pfr. Dr. Samuel Kobia, von der Methodistischen Kirche in Kenia. Hauptsitz: Genf, Schweiz.


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Quelle:
Feature vom 3. Juni 2009
Herausgeber: Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK)
150 rte de Ferney, Postfach 2100, 1211 Genf 2, Schweiz
E-Mail: ka@wcc-coe.org
Internet: www.wcc-coe.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2009