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KIRCHE/1295: Predigt von Erzbischof Dr. Robert Zollitsch zum Hochfest der Auferstehung des Herrn (DBK)


Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz vom 08.04.2012

Predigt von Erzbischof Dr. Robert Zollitsch zum Hochfest der Auferstehung des Herrn
Münster Unseren Lieben Frau, Freiburg - Ostersonntag, 8. April 2012

"Gott befreit uns zum Leben"
Apg 10,34a.37-43; 1 Kor 5,6b-8; Joh 20,1-9



Es gilt das gesprochene Wort!

Liebe Schwestern, liebe Brüder in Christus!
Der Blick nach Nordafrika wie auch in Länder des Nahen und Mittleren Ostens zeigt deutlich: Viele Gesellschaften sind in einem grundlegenden Umbruch. Immer mehr Menschen lassen sich in einer globalisierten Welt nicht mehr einzwängen in Diktaturen; sie lehnen sich auf gegen Unterdrückung; sie zeigen Flagge, wenn sie ihrer grundlegenden Freiheitsrechte beraubt werden. Das Wort vom "Arabischen Frühling" machte im vergangenen Jahr die Runde; es wurde zum Inbegriff einer um sich greifenden Freiheitsbewegung, die - wenn auch aus den Schlagzeilen größtenteils verschwunden - bis in diese Tage andauert.

1.‍ ‍Wenn wir uns heute, am Ostermorgen, zum Hochfest der Auferstehung unseres Herrn, versammeln, dann richten wir unseren Blick auch auf eine Freiheitsbewegung. Es ist die größte Freiheitsbewegung der Weltgeschichte. Sie wurde nicht von Menschen angestoßen. Gott selbst hat den entscheidenden Impuls gegeben. Er hat die Fesseln des Todes gelöst und damit gezeigt: er lässt sich seinen Sohn durch den Tod nicht entreißen, sondern entreißt ihn den Mächten der Finsternis und damit dem Tod. Gott ist ein Gott des Lebens. Das ist die alles entscheidende Botschaft von Ostern. Mit Jesu Auferweckung sind wir befreit aus den Verstrickungen von Schuld und Ungerechtigkeit. "Der Herr erstand in Gottes Macht, hat neues Leben uns gebracht, ..., ein Leben, das kein Tod entreißt", so haben wir im Eingangslied gesungen.

2.‍ ‍Doch, liebe Schwestern, liebe Brüder, leben wir als Christen im Alltag aus dieser unüberbietbaren Hoffnung? Leben wir freier, befreiter, unabhängiger von all den schnelllebigen Moden und ständig wechselnden Trends einer auf Abwechslung und Unterhaltung getrimmten Gesellschaft? Spüren unsere Mitmenschen etwas von diesem österlichen Frühling, den uns Gott in der Auferstehung Jesu geschenkt hat? Oder macht sich bei uns eher eine herbstliche Stimmung der Resignation und Niedergeschlagenheit breit?

In der Tat sind viele verunsichert, wie es weitergeht in Kirche und Gesellschaft. Wohin wird der Weg in die Zukunft führen? Nicht wenige finden sich deshalb an der Seite von Maria von Magdala und den Aposteln Petrus und Johannes wieder. Auch sie sind verunsichert. Die Kreuzigung Jesu hatte sie in eine totale Verwirrung und grenzenlose Ratlosigkeit gestürzt. Mit dem grausamen Tod Jesu war ihre Hoffnung auf Zukunft zusammengebrochen; ja die Hoffnung ihres Lebens war begraben worden. Von zwei anderen Jüngern berichtet der Evangelist Lukas, dass sie gar das Weite suchen: Sie fliehen aus Jerusalem, dem Ort des Grauens, nach Emmaus und klagen: "Unsere Hohenpriester und Führer haben Jesus von Nazareth zum Tod verurteilt und ans Kreuz schlagen lassen. Wir aber hatten gehofft, dass er der sei, der Israel erlösen werde". (Lk 24,20)

3.‍ ‍Und doch kamen sie zum Glauben an die Auferstehung Jesu! Wie finden sie diese neue Hoffnung? Woher kommt die Zuversicht und neue Dynamik? Von sich aus sind sie dazu nicht in der Lage; von sich aus können die Jünger das Chaos nicht ordnen - sie haben keine Kraft mehr. Mitten in dieser bedrückenden Stimmung ist es Jesus, der Auferstandene selbst, der auf sie zukommt; er zeigt sich ihnen und schenkt ihnen die Gewissheit, dass er lebt - Jesus lebt! Diese Begegnung mit dem Auferstandenen verändert die Grundlagen und den Verlauf ihres Lebens. Ostern, die Erfahrung, dass Jesus auferstanden ist und lebt, verwandelt sie, ändert sie und ihr Leben - ganz und gar. Das ist nicht ihre eigene Erfindung, nicht das Produkt ihrer Phantasie, das ist weder eine geistliche Frischzellenkur noch ein spirituelles Motivationstraining. Nein, Gott selbst handelt.

4.‍ ‍Wo wir zulassen, liebe Schwestern, liebe Brüder, dass Gott in unserem Herzen, ja in unseren Leben Raum und Zeit einnehmen kann; wo wir im Gebet, im Lesen der Heiligen Schrift, in der Feier der Sakramente offen werden für die Begegnung mit dem Auferstandenen, da geschieht, wovon uns die Evangelien berichten: Aus den Jüngern, die sich ängstlich hinter verschlossenen Türen treffen oder gar das Weite suchen, werden Zeugen, die unerschrocken und mutig öffentlich auftreten. Die Botschaft von Ostern, Jesus, der auferstandene Herr, wird neu Mitte und Inhalt ihres Lebens. Für ihn leben sie, ihn bezeugen sie, für ihn ziehen sie in die Welt. Sie, die der Auferstandene von den Fesseln der Angst und Resignation befreite, sie brechen auf, um anderen davon zu berichten; um eine Freiheitbewegung weiter zu tragen, die Ihresgleichen sucht, die die Welt in den vergangenen 2000 Jahren verändert und geprägt hat. Der christliche Glaube kennt keine Grenzen und Nationen. Der Fremde, ja auch der Feind wird zum Nächsten. Auch die, die am Rand der Gesellschaft leben, schöpfen neue Kraft und finden Hoffnung.

5.‍ ‍Davon also, liebe Schwestern, liebe Brüder, ob wir zulassen, dass der Auferstandene uns begegnet, hängt ab, ob auch heute Ostern wird; ob wir sehen und glauben (vgl. Joh 20,8) oder ob wir an der Oberfläche haften bleiben und sagen "Man hat den Herrn aus dem Grab weggenommen und wir wissen nicht, wohin man ihn gelegt hat".

Zweifellos gibt es Zeiten, in denen wir nicht wissen, wo wir Gott suchen sollen und ihn finden können. Angesichts von Krieg, Hunger, Terror und Naturkatastrophen in der Welt können viele kaum glauben, dass der Tod endgültig bezwungen sein soll. Auch im persönlichen Leben stehen wir oft genug ratlos vor der Frage: Wo ist Gottes Gegenwart zu spüren? Da kommt etwa die Nachricht, dass ein lieber Menschen unheilbar erkrankt ist; viele kennen den Druck am Arbeitsplatz, der sie innerlich zerfrisst; das Leid so vieler Familien, die durch Scheidung und Tod auseinander gerissen werden. Und wer den Mensch auf biochemische Oxidationsprozesse reduziert, tut sich schwer mit dem Glauben an die Auferstehung. Dann sehen wir nur das leere Grab, können den lebendigen Christus aber nicht finden. Dann ist von der Freiheitsbewegung Gottes, dem österlichen Frühling nichts zu spüren.

6.‍ ‍Liebe Schwestern, liebe Brüder, es lohnt sich zu fragen: Was würde sich an meinem Leben ändern, wenn Jesus tot im Grab geblieben wäre? Der Apostel Paulus weiß dies in seinem Brief an die Gemeinde in Korinth in aller Deutlichkeit auszudrücken: "Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos". (1 Kor 15,14). Ja, die Auferstehung ist das entscheidend und unterscheidend Christliche. Ostern ist der Faden, an dem unser ganzer christlicher Glaube hängt. Reißt er entzwei, fällt unser Glaube, unser Christsein ins Leere. Wäre Christus nicht auferstanden, wäre das, was ich Ihnen verkünde, leeres Gerede; und das, was Sie glauben, wäre sinnloses Zeug. Doch an Ostern ist nicht nur der Stein vom Grab Jesu weggewälzt; uns allen ist das Tor zum Leben geöffnet worden: Es gibt keinen Ort der Gottesferne mehr.

Gottes Gegenwart wendet unsere Not von Grund auf. Freilich nicht in dem Sinn, dass es sie fortan nicht mehr gäbe. "Überwunden" hat er sie vielmehr so, dass Leid und Sünde uns nicht mehr überwinden und vernichten können. Zwar werden wir das, was menschliches Kreuz heißt und ist, oft nicht verstehen; aber wir werden es bestehen; weil er uns beisteht, weil er zu uns steht. Ja, mit Jesus stehen wir auf der Seite des Lebens, der Hoffnung und der Zukunft. Er bringt Licht und Freude in unser Herz, auch wenn die äußeren Umstände mühsam, beschwerlich oder gar widrig sind. Denn wir wissen, wir sind "mit Christus auferweckt" (Kol 3,1)

7.‍ ‍Wir, die wir in der Gemeinschaft mit Jesus leben, haben schon jetzt Teil an seiner Auferstehung. Und das nicht nur, indem wir staunend und bewundernd davor stehen. Nein, sie reicht in unser Leben hinein: Er, der Auferstandene gibt uns einen neuen Blick für die Mitmenschen, für uns selbst und für die Aufgaben und Herausforderungen, die vor uns stehen. Überall dort, wo Menschen aus der Verbindung zu Jesus leben, wo seine Botschaft in unserem Handeln greift, wo wir der Liebe Gottes durch uns ein Gesicht geben, da fallen die Fesseln der Unterdrückung, da öffnet sich das Tor der Versöhnung und die Tür der Liebe; da brechen sich Gerechtigkeit und Frieden Bahn. Dort wird neues Leben von Christus her spürbar und erlebbar.

Liebe Schwestern, liebe Brüder! Jesus Christus will auferstehen in Ihrem und in meinem Leben! Er will uns befreien von den versklavenden Götzen unserer Zeit: von den Abhängigkeiten, die in Form von Drogen und anderen Süchten wie Alkohol, Medikamente oder auch Internet, in gefährlicher Weise lauern; er will uns befreien von der von Vielen unterschätzten Abhängigkeit von der öffentlichen Meinung; befreien von einer naiven Schwarz-Weiß-Malerei, die verhindert, selbst kritisch zu denken und sich ein eigenes differenziertes Urteil zu bilden. Seien wir auf der Hut vor farblosen Stimmungsmachern, die gefangen sind im schier endlosen Wettlauf um Quote, Auflage oder Wählerstimmen! Ohne Ostern plätschern wir an der Oberfläche dieser Welt, bis der Kahn auseinander bricht und wir - gekettet an das Wrack - in die Tiefe der Orientierungslosigkeit gerissen werden. Jesus Christus sucht die Begegnung mit uns, damit wir frei werden für Gott, frei für den Nächsten, frei für ein erfülltes menschliches Leben.

8.‍ ‍Ja, bei den Jüngern sehen und erleben wir: Die Begegnung mit dem Auferstandenen macht frei und setzt neue Kräfte frei. Er stärkt uns, die Mauern der Vorurteile einzureißen und den Stein der Trübsal wegzugrollen. Er ermutigt uns, eine menschenfreundliche Gesellschaft zu gestalten, eine Welt, in der die Ordnung der Liebe und des Respekts vor dem Mitmenschen großgeschrieben wird. Ostern eröffnet eine Kultur des Lebens und ebnet den Weg für eine Zivilisation der Liebe. Unser Auftrag als Christen ist klar und eindeutig: Wir sind Mitstreiter des Auferstandenen, Boten der Hoffnung, Botschafter des österlichen Frühlings und damit Anwälte des Lebens.

9.‍ ‍So wundert es nicht, wenn es im Text eines neuen geistlichen Liedes heißt: "Wir wollen aufsteh'n zum Leben". Lasst uns gemeinsam antreten gegen Hoffnungslosigkeit, Dauernörgeln, Schlechtreden und die Mächte des Todes! Jesus Christus schenkt uns mit seiner Gegenwart Mut und Zuversicht. Wir brauchen auch in auf den ersten Blick ausweglosen Situationen nicht resignieren. Bündeln wir unsere Kräfte! Stehen gemeinsam mit allen Menschen guten Willens auf gegen die Todesspiralen in dieser Welt und auch gegen die Versuchung des Wegschauens und der Teilnahmslosigkeit! Wie wichtig und notwendig es ist, uns einzumischen, wird deutlich, wenn wir uns bewusst machen: Wie oft missbrauchen Menschen ihre ihnen von Gott geschenkte Freiheit; wie viele beanspruchen Freiheit für sich und sprechen sie dem Anderen ab; ja wie viele gehen mit ihrer Freiheit verantwortungslos um. Freiheit ohne Verantwortung aber gleicht einer Autofahrt im Vollrausch. Man gefährdet sich und andere. Es muss uns nachdenklich stimmen, wenn manche Zeitgenossen im Schutz der Anonymität Meinungsfreiheit im Internet als Freibrief für Hetze, Diffamierung und Mobbing missverstehen. Seien wir "Sauerteig der Aufrichtigkeit und Wahrheit" (1‍ ‍Kor 5,6) in einer Gesellschaft, die allzu oft ihr Gelingen am Auf und Ab der Börsenkurse misst, die meint, Karriere, Wirtschaftsaufschwung und Gewinn seien alles. Zeigen wir, dass unser Leben einen Sinn und ein Ziel hat, das über die Geschäftigkeit des Alltags, über Konsum und materiellen Wohlstand hinausweist. Ostern schenkt uns die Kraft dazu, die entscheidende Kraft, die heute oft hinter bunten Eiern und Schokohasen übersehen zu werden droht.

10.‍ ‍Liebe Schwestern, liebe Brüder, wenn Christen seit zweitausend Jahren in der Nachfolge ihres Herrn nicht müde werden, gegen Unrecht und Hass, gegen Hunger und Krankheit, gegen Leid und Tod aufzustehen; wenn Christen sich gemeinsam stemmen gegen die Kräfte des Bösen in unserer Welt, dann tun sie es, weil sie eine Hoffnung haben über den Tod hinaus. Das ist die entscheidende Botschaft von Ostern. Das ist Verheißung für uns. Das ist unsere Zukunft. Auf diese Botschaft und unser Zeugnis warten viele Menschen. Wir sind gefordert, den Hunger nach Versöhnung unter uns Menschen zu stillen; wir sind gesandt, die Krankheit der Unbarmherzigkeit und Fühllosigkeit zu bekämpfen. Das alles und noch viel mehr gelingt uns in der Kraft, die aus der Begegnung mit dem Auferstandenen erwächst. Hier, am Altar, wird uns jene Liebe in den Mund und ins Herz gelegt, die uns befähigt, aufzustehen, aufzubrechen und auf die Wege der Güte Gottes zu gehen.

Ja, es liegt an jeder und jedem einzelnen von uns, dass unsere Mitmenschen an uns, an der Kirche, nicht vorübergehen wie an einem alten Möbelstück; sondern dass sie in uns hoffnungsvollen Zeugen österlichen Lebens begegnen. Ostern schafft Menschen, die an die Kraft der Veränderung zum Guten glauben. Mehr noch: Menschen, die ihre Kraft zur Veränderung zum Guten einsetzen. Wenn wir an einer Welt des Respekts, des Gottvertrauens und der Liebe bauen, wird sich in unseren Gemeinden, Gruppen und Kreisen zeigen, dass nicht wir mit unseren eigenen Plänen, sondern Gott selbst mit seinem Programm an erster Stelle steht. Dadurch ändert sich die Welt. Das ist der Weg der Kirche in die Zukunft. Durch die Kraft Gottes kann unsere christliche Hoffnung aufbrechen wie jetzt im Frühjahr die Knospen durch die wärmenden Sonnenstrahlen. Das Reich Gottes wird aufstrahlen und blühen mitten in unserem Leben. Dann können wir mit fester Überzeugung singen: "Befreit sind wir von Angst und Not, das Leben hat besiegt den Tod: Der Herr ist auferstanden" (GL 222). Amen.


Die Deutsche Bischofskonferenz ist ein Zusammenschluss der katholischen Bischöfe aller Diözesen in Deutschland. Derzeit gehören ihr 68 Mitglieder (Stand: März 2012) aus den 27 deutschen Diözesen an. Sie wurde eingerichtet zur Förderung gemeinsamer pastoraler Aufgaben, zu gegenseitiger Beratung, zur Koordinierung der kirchlichen Arbeit, zum gemeinsamen Erlass von Entscheidungen sowie zur Kontaktpflege zu anderen Bischofskonferenzen. Oberstes Gremium der Deutschen Bischofskonferenz ist die Vollversammlung aller Bischöfe, die regelmäßig im Frühjahr und Herbst für mehrere Tage zusammentrifft.

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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 058a vom 8. April 2012
Herausgeber: P. Dr. Hans Langendörfer SJ,
Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2012