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KIRCHE/475: Osterpredigt Huber - Gottes Ruf verwandelt (EKD)


Evangelische Kirche in Deutschland - Pressemitteilung vom 05.04.2007

Gottes Ruf verwandelt

Osterpredigt des EKD-Ratsvorsitzenden


Es gilt das gesprochene Wort!

Zusammenfassung:
Jubel bestimme diesen Tag, so der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, in seiner Predigt zum Ostersonntag am 8. April im Berliner Dom. Überwunden sei die Angst, die Niedergeschlagenheit sei ausgestanden - Christen feiern die Auferstehung des Gekreuzigten. "Dieser Jubel gibt uns die Kraft, Protestleute zu sein gegen den Tod."

Dass Jesus Gottes Sohn ist, zeige sich an seinem Verhältnis zum Tod. Oft blieben Menschen auf ihrem Weg zum christlichen Glauben bei Karfreitag stehen: "Ein hervorragender Mensch sei dieser Jesus gewesen, ein Beispiel an Humanität, Zuversicht und Friedfertigkeit." Oder ein Prophet, "wie ja auch Muslime Jesus als Propheten anerkennen, als einen geringeren freilich als Mohammed." Um die frohe Osterbotschaft von der Auferstehung zu begreifen, ist Ausdauer verlangt: "Der Weg aus der Nacht in den Sonnenblick braucht seine Zeit." Dass Jesus Gottes Sohn sei, könnten viele erst glauben, wenn sie eine eigene Erfahrung mit ihm machen konnten.

Auch für Maria von Magdala begann der erste Ostertag voller Trauer: "Schwer ist ihr Herz über den Tod Jesu zwei Tage zuvor." Das Johannes-Evangelium erzählt, dass sie das Grab leer findet. Sie vermutet, der Leichnam sei gestohlen worden. Einem Mann, den sie für den Gärtner hält, schleudert sie ihre Trauer und Enttäuschung entgegen: "Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen." Sie erkennt Jesus nicht. Doch dieser habe ihre Anschuldigungen nicht zurück gewiesen, erklärte der Ratsvorsitzende. "Sondern er spricht zu ihr nur das eine Wort, Gott ruft sie bei ihrem Namen - Maria!" In diesem Moment erwache Maria zu neuem Leben. Nun begreife sie, wer vor ihr steht. Maria erkenne Leben dort, wo sie vorher den Tod geglaubt hatte. "Gottes Ruf verwandelt. Er löst aus der Starre und setzt in Bewegung." Die Botschaft von Ostern rufe dazu auf, den erlösenden Jubel weiter zu tragen: "Wir werden selbst zu Trägern dieses Jubels."


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Die Predigt im Wortlaut

Es gilt das gesprochene Wort!

Bischof Dr. Wolfgang Huber
Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland

Predigt am Ostersonntag 2007
Berliner Dom und St. Matthäus zu Berlin, 8. April 2007

Johannes 20, 11-18

Zu Tausenden zogen sie auf den Friedhof, mitten in der Nacht. Allenfalls ein paar Stunden hatten sie geschlafen. Rechtzeitig wollten sie zur Stelle sein. Weithin waren ihre Lieder zu hören, wie sie durch die Straßen zogen und, auf dem Friedhof angelangt, zu den Gräbern strebten, in denen ihre Lieben lagen. In die Morgendämmerung hinein feierten sie Gottesdienst. Und mit dem ersten Morgenlicht brandete der Jubel auf: Christus ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.

Unvergesslich ist mir, liebe Gemeinde, wie ich mit diesen Tausenden in der nordindischen Stadt Ranchi Ostern gefeiert habe. Mich rührte es an, wie viele Menschen sich für dieses Osterfest auf weite Wege gemacht hatten, weder Mühen noch Kosten scheuend. Sie wollten bei den Ihren sein, bei den lebenden wie bei den toten. Im Kreis der Familie feierten sie die Auferstehung Christi. An den Gräbern bezeugten sie den Sieg des Lebens über den Tod. An den Gräbern bekannten sie sich dazu, dass Gottes Liebe siegt.

Auf, auf mein Herz mit Freuden, / nimm wahr, was heut geschieht; / wie kommt nach großem Leiden / nun ein so großes Licht! Paul Gerhardt hat so gedichtet, unser protestantisches Geburtstagskind in diesem Jahr. Vor vierhundert Jahren wurde er geboren und trifft doch auch für uns die österliche Stimmung. Jubel bestimmt diesen Tag. Dieser Jubel gibt uns die Kraft, Protestleute zu sein gegen den Tod. Wir singen unsere Freude hinaus in die Welt. Überwunden ist die Angst; die Niedergeschlagenheit ist ausgestanden; der Tod rückt in das Licht des Auferstehungsmorgens. Deshalb können wir singen: Die Trübsal trübt mir nicht / mein Herz und Angesicht, / das Unglück ist mein Glück, / die Nacht mein Sonnenblick.

Aber der Weg aus der Nacht in den Sonnenblick braucht seine Zeit. Es kann Stunden dauern, wie damals in Ranchi, der nordindischen Stadt. Ausdauer war verlangt, viele Lieder wurden gebraucht, bis das Licht des Morgens durchbrach. Wir müssen den Weg wiederholen, den auch die ersten Zeuginnen der Auferstehung gingen, am ersten Ostern überhaupt.

Trübe ist es am Morgen des ersten Ostertages. Trüb ist der tränenverhangene Blick der Maria von Magdala, die gekommen ist, um das Grab Jesu zu pflegen. Schwer ist ihr Herz über den Tod Jesu zwei Tage zuvor. Hoffnungslos horcht ihre Seele in die Stille der ersten Stunden des beginnenden Tages.

Von diesem Morgen erzählt das Johannesevangelium: Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, schaute sie in das Grab und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten. Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen. Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister! Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.

Maria hat sich zum Grab hin aufgemacht, weil sie trauert. Sie trauert um einen Menschen, der ihr sehr viel bedeutet hat. Es heißt, Jesus habe sieben böse Geister aus ihr ausgetrieben und sie so von schwerer seelischer Krankheit befreit. Durch Jesus hat sie neuen Lebensmut gefasst und ein Lebensziel gefunden: sie hat sich mit ihm auf den Weg gemacht und ist ihm nachgefolgt. Nun aber steht sie da. Ihr Blick reicht nicht weiter als bis in das Grab. Mein Heiland war gelegt / da, wo man uns hinträgt, / wenn von uns unser Geist / gen Himmel ist gereist.

Der Blick in das Grab hinein könnte sie eigentlich verblüffen, müsste sie schockieren, hätte das Zeug dazu, sie aufzurütteln. Denn das Grab ist leer. Am Ort, wo der Leichnam Jesu lag, sieht sie lediglich zwei Engel sitzen. Doch sie zeigt keine Reaktion. Wie mächtig muss ihre innere Leere sein, wie mickrig ihr Hoffnungsbild: Der Weckruf des leeren Grabes verhallt ungehört. Maria befürchtet, zu dem Unglück des Todes Jesu sei nun der Raub seines Leichnams hinzugetreten.

Es ist auch nicht leicht, weiter zu kommen als bis zu Jesu Grab. Wie oft kann man das hören, dass Menschen auf ihrem Weg zum christlichen Glauben an dieser Stelle verharren! Ja, ein hervorragender Mensch sei dieser Jesus gewesen, so sagen sie, ein Beispiel an Humanität, Zuversicht und Friedfertigkeit. Ein Prophet sei er gewesen, räumen sie ein - wie ja auch Muslime Jesus als Propheten anerkennen, als einen geringeren freilich als Mohammed. Aber dass Jesus Gottes Sohn sei, so fügen suchende Menschen hinzu, das könnten sie nur glauben, wenn sie es mit eigenen Augen zu sehen bekämen, wenn sie eine eigene Erfahrung mit ihm machen könnten.

Doch durch Sehen allein lässt sich der Glaube nicht erreichen. Denn das Sehen kann täuschen. Maria Magdalenas Beispiel zeigt das; und sie ist damit nicht allein. Maria von Magdala steht vor Jesu Grab. Dass dieses Grab leer ist, nimmt ihr aber nichts von ihrer Traurigkeit, sie weint keine Träne weniger. Es scheint im Gegenteil so zu sein, als geselle sich zur Trauer nun noch die Bitterkeit über den schändlichen Umgang mit dem Toten. Wenn der Leichnam nicht mehr zu sehen ist, muss er entwendet worden sein. Maria sieht und glaubt doch etwas ganz anderes.

Dass Jesus Gottes Sohn ist, zeigt sich in seinem Verhältnis zum Tod. Zur Zeit Paul Gerhardts, vor vierhundert Jahren, wurde dies oft in dem Bild dargestellt, dass Christus auf dem Schlachtfeld des Todes die Siegesfahne des Lebens hisst. Christus ist wieder frei und ruft Viktoria, / schwingt fröhlich hier und da / sein Fähnlein als ein Held, / der Feld und Mut behält. Oder noch drastischer in einer Strophe, die unser heutiges Gesangbuch nicht mehr enthält: Der Held steht auf dem Grabe / und sieht sich munter um. / Der Feind liegt und legt abe / Gift, Gall und Ungestüm. / Er wirft zu Christi Fuß / sein Höllenreich und muss / selbst in des Siegers Band / ergeben Fuß und Hand.

Was für uns Heutige befremdlich wirken mag, war im Mitteleuropa des 17. Jahrhunderts vielerorts grausamer Alltag. Ausgelöst durch eine böhmische Revolte, bekannt geworden als Prager Fenstersturz, brandet dreißig Jahre lang über die Bevölkerung fast ganz Europas eine Welle von Krieg und Gewalt hinweg, die marodierende Soldaten genauso mit sich führt wie Hunger und Epidemien. Als Paul Gerhardt im Jahr 1647 das Osterlied Auf, auf, mein Herz mit Freuden dichtet, stehen die Friedensverhandlungen endlich kurz vor dem Abschluss. Die Erfahrung dieser grauenvollen Jahre geht in die Bildsprache des Liedes ein: Die Höll und ihre Rotten / die krümmen mir kein Haar. Paul Gerhardts Verse sind von österlicher Zuversicht getragen. Sie zeugen von der Gewissheit, dass der Schrecken der Welt - dem Paul Gerhardt so entsetzlich oft ins Angesicht schauen musste - dem Glaubenden im Letzten nichts anhaben kann. Die Welt ist mir ein Lachen / mit ihrem großen Zorn, dichtet er sehend und glaubend. Nun soll mir nicht mehr grauen / vor allem, was mir will / entnehmen meinen Mut. Paul Gerhardt hört Gottes Ruf zum Leben. Mit seinem Lied fordert er uns alle dazu auf, ihn zu ergreifen. Gottes Ruf weckt neues Leben. Die Starre des Todes schmilzt unter den Strahlen der Auferstehungssonne. Wo Gott spricht, blüht Leben auf.

Frau, was weinst du?, fragt der Mann hinter Maria. Es ist dies ein guter Moment für Maria. Sie bekommt die Möglichkeit, ihre Schale aus Trauer und Verärgerung zu durchbrechen, ihrer Enttäuschung und Sehnsucht freien Lauf zu lassen. Doch noch kann Maria nicht Auf, auf, mein Herz singen. Sie erkennt Jesus nicht, sondern hält ihn für den Gärtner des Friedhofs. Sie schleudert ihm ihre wütende Meinung entgegen, dass der Leichnam Jesu dem Grab entnommen sei. Herr, du hast ihn weggetragen, sage mir also bitte, wo du ihn hingebracht hast! Maria beschuldigt andere, weil sie sich innerlich unfrei fühlt. Sie ist festgehalten in der Mauer ihrer Empfindungen.

Doch der Mann weist weder ihre Vorwürfe und Anschuldigungen als ungerechtfertigt zurück noch kehrt er ihr gekränkt den Rücken. Sondern er spricht zu ihr nur das eine Wort, Gott ruft sie bei ihrem Namen - Maria!

In diesem Moment, in dem sie bei ihrem Namen gerufen wird, erwacht Maria zu neuem Leben. Nun begreift sie, wer vor ihr steht. Die Trübsal trübt mir nicht / mein Herz und Angesicht. Trauer und Bitterkeit zerbrechen. In die Stille des Morgens strömt der Gesang ewiger Freude. Maria erkennt Leben dort, wo sie vorher dem Tod geglaubt hat. Wo ihr vorher die Welt am Ende zu sein schien, erlebt sie neuen Aufbruch. Der Tag, der für sie in der Einsamkeit und Leere begann, endet in der Gemeinschaft mit den Jüngern. Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen. Maria trägt Gottes Ruf weiter: Auf, auf, mein Herz mit Freuden.

Gottes Ruf verwandelt. Er löst aus der Starre und setzt in Bewegung. Paul Gerhardt führt uns mit dem Text seines Liedes, Johann Crüger mit der Melodie dazu in das österliche Erleben hinein. Als ob sein Lied freudetrunken wie Maria zu den Jüngern dem auferstandenen Christus hinterherstürzt, entwickelt es eine österliche Dynamik. Er dringt zum Saal der Ehren, / ich folg ihm immer nach. Ein Osterlied, das seinem Ziel entgegenstrebt, ein Herz, das Gott entgegengeht.

Die Botschaft von Ostern setzt in Bewegung. Sie ruft dazu auf, den erlösenden Jubel von Ostern weiterzutragen. Wir werden selbst zu Trägern dieses Jubels: Auf, auf, mein Herz mit Freuden, / nimm wahr, was heut geschieht! Amen.


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Quelle:
Pressemitteilung 73/2007 vom 05.04.2007
Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), Pressestelle
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2007