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KIRCHE/570: Ökumenischer Rat der Kirchen feiert Sechzigsten (ÖRK)


Ökumenischer Rat der Kirchen - Feature vom 28. Januar 2008

ÖRK-Gemeinschaft feiert Sechzigsten:
Gemeinsam Veränderung bewirken, damals wie heute

Von Sara Speicher (*)


Der 60. Geburtstag stellt für viele Menschen einen Meilenstein dar, an dem sie sich auf den bevorstehenden Ruhestand einstimmen - sie blicken auf vergangene Leistungen zurück und träumen von den Möglichkeiten ihres zukünftigen Lebens. Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) hingegen will sich an seinem 60. "Geburtstag" im Jahr 2008 nicht auf Erfolgen der Vergangenheit ausruhen, sondern nach vorne blicken und sich den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts stellen. Die größte und repräsentativste Kirchengemeinschaft der Welt, die das Gesicht der Ökumene im 20. Jahrhundert geprägt hat, ist heute mit einer - politisch, wirtschaftlich und religiös - völlig anderen Welt konfrontiert als in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

Der ÖRK wurde formell am 23. August 1948 in Amsterdam gegründet. Delegierte von 147 Kirchen aus 44 Ländern kamen damals zusammen, um an der ersten Vollversammlung, der Gründungsversammlung des ÖRK, teilzunehmen. Es war eine beeindruckende Versammlung, an der so viele unterschiedliche Kirchenvertreter wie noch nie zuvor teilnahmen -anglikanische, altkatholische, viele orthodoxe und fast alle evangelischen Kirchen waren vertreten -, aber sie zeichnete sich auch durch die Abwesenheit der zwei größten Kirchen der Welt aus - der römisch-katholischen Kirche und der Russischen Orthodoxen Kirche.

Faktisch hatte der ÖRK schon vorher existiert. 1938 hatten leitende Kirchenvertreter einen vorläufigen Ausschuss gegründet, dessen Aufgabe es war, Strukturen für die neue Einrichtung zu schaffen und die erste, für 1941 geplante Vollversammlung zu organisieren. Durch den Ausbruch des Krieges wurden diese Pläne zunichte gemacht. Stattdessen diente der vorläufige Ausschuss dazu, Verbindungen zwischen Kirchen auf beiden Seiten aufrechtzuerhalten, Kriegsgefangene und Flüchtlinge zu unterstützen und Vorbereitungen für die Versöhnungs- und Aufbauarbeit nach dem Krieg zu treffen.

Die Vollversammlung in Amsterdam war durch die Erfahrung des Krieges geprägt. Sie war demütig, scheute aber zugleich vor klaren Worten nicht zurück, denn die tragische Spaltung der Welt erforderte radikale Versöhnung. Willem Visser 't Hooft, der erste ÖRK-Generalsekretär, ging auf die Sorge vor einer "Über-Kirche" ein und stellte heraus, dass mit der Verwirklichung der Vision vielmehr angestrebt sei, dass die Kirchen gemeinsam Veränderung bewirken: "Wir gründen diesen Rat nicht aus Ehrgeiz und um uns an Machtkämpfen zu beteiligen. Wir gründen ihn im Geist der Reue, weil wir versagt haben, gemeinsam Kirche zu sein, und um ein klareres Zeugnis abzulegen von dem Herrn, der kam, um allen zu dienen."

Vieles, was der ÖRK in den vergangenen Jahrzehnten an christlichem Zeugnis geleistet hat, ist konkret fassbar: sein reeller Beitrag zur Gründung der Vereinten Nationen und zum Text der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte; grundlegende theologische Arbeit zu Taufe, Eucharistie und Amt sowie wichtige Beiträge zur missionstheologischen Reflexion; prophetisches Mahnen zu Anliegen wie nachhaltige Entwicklung, Rassismus, interreligiöser Dialog und Klimawandel, lange bevor diese in der öffentlichen Diskussion angekommen waren.

Fast alle Erfolge gaben auch Anlass zu Kontroversen. In den 1970er Jahren distanzierten sich viele Evangelikale vom Rat wegen des nach ihrer Meinung zu schwachen Engagements für Mission und Evangelisation. Gleichzeitig stand das Programm zur Bekämpfung des Rassismus mit seiner entschlossenen Unterstützung der Anti-Apartheidbewegung im südlichen Afrika im Kreuzfeuer der Kritik.

Als der ÖRK auf der Vollversammlung 1998 in Harare den 50. Jahrestag seiner Gründung feierte, würdigte Nelson Mandela, das Programm, durch das auch er Unterstützung erfahren hatte, als Ausdruck "echter Solidarität." Es habe gezeigt, "dass Sie uns nicht lediglich als ferne Wohltäter karitativ unterstützen, sondern uns im Kampf um unsere gemeinsamen Ziele zur Seite stehen wollten". "Für uns in Südafrika, im südlichen Afrika, ja auf dem ganzen Kontinent", so erklärte er, "ist der ÖRK von jeher ein Vorkämpfer für die Sache der Unterdrückten und Ausgebeuteten gewesen."

Die größte Leistung des ÖRK sehen diejenigen, die über all die Jahre hinweg mit dem Rat in Verbindung kamen, nicht darin, dass er ein bestimmtes Anliegen aufgegriffen, ein bestimmtes Programm durchgeführt oder ein bestimmtes Dokument veröffentlicht hat, sondern im Zusammenhalt der Kirchen, in der Gemeinschaft, die sie allem Trennenden zum Trotz bewahren und leben. Wie eine Führungspersönlichkeit der Ökumene aus Asien sagte: "Die Beziehungen, die zwischen den Kirchen aufgebaut worden sind, stellen die größte Leistung des ÖRK dar. Es handelt sich dabei nicht um Einheit im strengen Sinne, sondern um den Aufbau eines gemeinsamen Erbes, gemeinsamer Gewohnheiten und eines gemeinsamen Bewusstseins - wie in einer Familie."

Und der ÖRK wächst weiter. Gegenwärtig gehören ihm 347 Kirchen und Denominationen in mehr als 110 Ländern und Territorien in der ganzen Welt an. Die Russische Orthodoxe Kirche wurde 1961 Mitglied; die römisch-katholische Kirche arbeitet in vielen Programmbereichen eng mit dem Rat zusammen und ist Vollmitglied in den Kommissionen für Glauben und Kirchenverfassung und für Mission und Evangelisation.

Das Wachstum des ÖRK ist ein Zeichen seines Erfolgs und eine Herausforderung für die Zukunft, denn es macht deutlich, dass sich das Gesicht der Ökumene und des Christentums wandelt. Die meisten Gründungsmitglieder des ÖRK waren europäische und nordamerikanische Kirchen, wenngleich auch Kirchen aus anderen Regionen vertreten waren. Heute kommen die meisten Mitglieder aus Afrika, Asien, der Karibik, Lateinamerika, dem Nahen Osten und dem Pazifik.

Die Vielfalt der Kirchen im ÖRK macht Ökumene zu einer lebendigen Herausforderung: sie verbindet, schärft die Sicht, verändert, um so die Einheit wahrhafter zum Ausdruck zu bringen. Der intensive Dialog, der in den letzten zehn Jahren zwischen den orthodoxen Kirchen und anderen Traditionen geführt wurde, hat der Gemeinschaft der Kirchen die Augen dafür geöffnet, dass einige Praktiken, die den meisten westlichen Mitgliedskirchen vertraut waren, für andere fremd und entmutigend waren. Infolgedessen wurde die Geschäftsordnung des ÖRK in wichtigen Punkten abgeändert und insbesondere das Konsensverfahren bei der Entscheidungsfindung eingeführt.

Schwerpunkte für die programmatische Arbeit des ÖRK festzulegen, ist eine schwierige Angelegenheit, da die Mitgliedskirchen in sehr unterschiedlichen Kontexten leben. Dennoch zeichnet sich eine gemeinsame Linie ab, die auf dem aufbaut, was dem ÖRK von Anfang an wesentlich war. Wie es ein europäischer Theologe ausdrückt: "Die Rolle des ÖRK besteht darin, der eine Ort zu sein, an dem Christen mit einer Stimme sprechen können."

Innerhalb dieses gemeinsamen Raums greifen die Kirchen Herausforderungen auf, vor denen sie heute gemeinsam stehen: sie reagieren auf Bedrohungen des Lebens, wie Armut, Klimawandel, HIV und AIDS, untersuchen traditionelle und neuere Dimensionen des geistlichen Lebens, fördern Dialog und Zusammenarbeit zwischen den Religionen, suchen die Zusammenarbeit mit christlichen Traditionen, die der Ökumene lange skeptisch gegenüber gestanden haben, und entwickeln neue Perspektiven für die Ökumene im 21. Jahrhundert.

Wie das Thema des 60-jährigen Gründungsjubiläums - Gemeinsam Veränderung bewirken - unterstreicht, geht es nicht darum, das 60-jährige Bestehen einer Institution, sondern vielmehr einer Gemeinschaft, einer Bewegung und einer Vision zu feiern. Vor sechs Jahrzehnten haben die Teilnehmenden in Amsterdam bekannt: "Wir sind voneinander getrennt, nicht nur in Fragen der Lehre, der Ordnung und der Überlieferung, sondern auch durch unseren sündigen Stolz: Nationalstolz, Klassenstolz, Rassenstolz." Wenn sich auch an dieser Realität bis heute nichts geändert hat, so besteht doch auch die ökumenische Vision fort: "Aber Christus hat uns zu Seinem Eigentum gemacht, und in Ihm ist keine Zertrennung", heißt es weiter in der Botschaft von Amsterdam.

Der ÖRK feiert nicht nur ein Jubiläum, sondern die konkrete und mit Leben gefüllte Selbstverpflichtung der Kirchen, die sich trotz aller Spaltungen zwischen ihnen und in der Welt auf die Erklärung von 1948 berufen: "Wir haben den festen Willen, beieinander zu bleiben".


(*) Sara Speicher ist freiberufliche Autorin und ehemalige Koordinatorin des ÖRK-Teams für Information und Öffentlichkeitsarbeit.

Die Meinungen, die in ÖRK-Features zum Ausdruck kommen, spiegeln nicht notwendigerweise die Position des ÖRK wider.

Weitere Informationen zur Feier des 60-jährigen Bestehens des ÖRK:
http://www.oikoumene.org/?id=4246&L=2


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Die Gemeinschaft feiern

2008 feiern die Mitglieder des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) dessen 60-jähriges Bestehen. Auf der Gründungsversammlung in Amsterdam hatten sie einander die Zusage gegeben: "Wir haben den festen Willen, beieinander zu bleiben." Während der Zentralausschuss-Tagung im kommenden Februar in Genf werden die Vertreter und Vertreterinnen der Mitgliedskirchen zusammen mit anderen Persönlichkeiten aus Kirche und Gesellschaft dieses Ereignis im Gebet und Gedenken feierlich begehen.

Die weltweite Gemeinschaft der Kirchen ist eingeladen, das Jubiläum das ganze Jahr hindurch mit Veranstaltungen zu feiern und für die christliche Einheit zu beten. Materialien für gemeinsame Andachten, Bibelarbeiten und Meditationen stehen ab Februar 2008 auf der Website des ÖRK zur Verfügung (www.oikoumene.org). Mittels von Bannern mit dem Jubiläumslogo können Mitgliedskirchen und Gemeinden ihr Engagement für die Einheit der Kirche auf ihrer eigenen Website und in ihren Veröffentlichungen manifestieren.

Im Rahmen eines Essaywettbewerbs zum Jubiläumsthema "Gemeinsam Veränderung bewirken" sind Theologiestudierende und junge Theologen und Theologinnen eingeladen, neue Perspektiven und Beiträge in die Debatte über "Erwartungen an die Ökumene im 21. Jahrhundert" einzubringen.



Der Ökumenische Rat der Kirchen fördert die Einheit der Christen im Glauben, Zeugnis und Dienst für eine gerechte und friedliche Welt. 1948 als ökumenische Gemeinschaft von Kirchen gegründet, gehören dem ÖRK heute mehr als 347 protestantische, orthodoxe, anglikanische und andere Kirchen an, die zusammen über 560 Millionen Christen in mehr als 110 Ländern repräsentieren. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche. Der Generalsekretär des ÖRK ist Pfr. Dr. Samuel Kobia, von der Methodistischen Kirche in Kenia. Hauptsitz: Genf, Schweiz.


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Quelle:
Feature vom 28. Januar 2008
Herausgeber: Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK)
150 rte de Ferney, Postfach 2100, 1211 Genf 2, Schweiz
E-Mail: ka@wcc-coe.org
Internet: www.wcc-coe.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2008