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KIRCHE/792: Zollitsch - Eröffnungsgottesdienst der Herbst-Vollversammlung (DBK)


Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz vom 21.09.2009

Predigt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, Eröffnungsgottesdienst der Herbst-Vollversammlung im St. Salvator Dom, Fulda am 22. September 2009

Weish 3, 1-9; Mt 10, 28-33

Eine Hoffnung voll Unsterblichkeit


Es gilt das gesprochene Wort!

Werte Mitbrüder im bischöflichen Amt,

liebe Schwestern und Brüder in der Gemeinschaft des Glaubens,

die heilige Edith Stein berichtet von einer schlichten Begebenheit, die ihr Leben verändert hat. Sie betritt den Frankfurter Dom und beobachtet eine einfache Frau, die vom Markt kommend dort kniet und betet. Edith Stein prägt sich dieses Bild ein und es wird sie auf dem Weg in den Glauben begleiten. Nichts weiter geschieht zwischen diesen Frauen. Offensichtlich hat es kein Gespräch gegeben. Aber die junge Frau erfasst in der Beterin eine große lebendige Hoffnung und ein starkes Vertrauen auf Gott. Wer sich Gott zuwendet, der vertraut ihm und erwartet viel. Es gehört zur Würde der Geschöpfe Gottes, viel erwarten zu dürfen, mehr als Menschen durch ihre Arbeit und durch ihre Tätigkeit erfüllen können. Die Sehnsucht der Menschen überschreitet die Grenzen des Machbaren.

Vertrauen und Hoffnung sind es auch, aus denen der heilige Mauritius und die Soldaten der Thebäischen Legion, deren Gedenktag wir heute begehen, leben. Die Thebäische Legion ist damals, im dritten Jahrhundert, eine Besonderheit, denn fast alle Soldaten sind Christen. Anders als die Soldaten der anderen Legionen weigern sich die christlichen Soldaten und ihr Offizier Mauritius, den römischen Göttern zu opfern. Sie setzen ihr Vertrauen und ihre Hoffnung nicht auf die römischen Götter, sondern auf Jesus Christus. Sie weigern sich, ihre große lebendige Hoffnung auf Jesus Christus, der für uns in den Tod gegangen ist und das Leben gewonnen hat, zu verraten. Drohungen, Marter und Tod können die Männer nicht brechen - denn sie schauen über das irdische Leben hinaus in ein anderes Leben. Sie bauen nicht auf irdische Macht und vertrauen nicht auf irdisch Mächtige - deshalb können diese sie auch nicht schrecken. Sie leben aus einer großen Hoffnung, die über den Kaiser und seine Macht weit hinausgeht; denn sie vertrauen auf Jesus Christus, der sein Leben für uns hingegeben hat. Sein Wort hat über den Tod hinaus Bestand. Er sagt ihnen: "Fürchtet Euch nicht!" Sie vertrauen Gott und der Verheißung Jesu Christi, der uns im heutigen Evangelium zusagt: "Wer sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen" (Mt 10,32). Sie leben aus der Hoffnung auf ein anderes Reich, auf das Reich Gottes.

Hoffnung, liebe Schwestern, liebe Brüder, ist der Motor unseres Lebens. Dies erfahren wir schon in den kleinen Dingen des Alltags. Es sind die Hoffnungen, oft kleine, die uns im Alltag stützen. Wir hoffen, dass es am Sonntag beim Ausflug nicht regnet; dass wir gesund bleiben. Wir hoffen auf eine sichere Arbeitsstelle, oder dass wenigstens die Rente sicher ist. Politik, Wirtschaft und Medien verbreiten aktuell die Hoffnung, dass sich die Wirtschaft bald wieder erholen wird. Als Lottospieler, als Eltern oder als Fußballfans, ja als Menschen, wie immer wir sind, können wir gar nicht anders, als zu hoffen. Hoffnung ist der Horizont, vor dem sich unser Leben abspielt. Sie spannt den Bogen nach vorne, dass es einmal anders, ja besser sein wird. Mit der Hoffnung kommt die Zukunft in die Gegenwart. Diese vielen kleinen Hoffnungen leben von der großen Hoffnung, die zu erfüllen, Gott selbst verheißen hat, und sie verweisen auf sie. Hoffnung, im Großen wie im Kleinen, ist der Motor, der uns jeden Morgen aufstehen und unser Tagwerk beginnen lässt.

Als vor einem Jahr, am 15. September 2008, die bis dahin den meisten unbekannte Bank Lehmann Brothers Konkurs anmelden musste, schlugen die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise weltweite Wellen. Konjunkturpakete, Kurzarbeit, Rezession, Inflation, Arbeitslosigkeit - die Krise kam bis vor unsere Haustür, ja in unsere eigene Wohnung. Ängste und Befürchtungen wurden wach, Investitionen brachen ein, die Nach- und Langzeitfolgen der Krise werden wir in den kommenden Monaten noch deutlich spüren. Das macht nachdenklich und macht neu bewusst: Wirtschaft ist mehr als Kapital, Arbeit, Zinsen und Rendite. Wirtschaft lebt entscheidend von zentral menschlichen Werten. Ohne Vertrauen und Hoffnung floriert keine Wirtschaft. Wer kein Vertrauen und keine Hoffnung hat, investiert nicht. Wer dem anderen nicht glaubt - lateinisch: non credit -, gibt ihm keinen Kredit. Ja, der Industrielle Robert Bosch hatte völlig recht, als er sagte: "Lieber Geld verlieren, als Vertrauen." Denn wer das Vertrauen verliert, verliert alles. Das haben die Banker, die Volkswirtschaftler und Politiker, und auch jede und jeder von uns erfahren: Vertrauen und Hoffnung sind nicht einfach Elemente unter vielen, die im Wirtschaftskreislauf zusammenspielen. Nein, Vertrauen und Hoffnung sind die Grundlage. Wo Vertrauen fehlt, ist jedem Wirtschaften, ja jedem menschlichen Miteinander der Boden entzogen. So sagte mir denn auch ein Finanzberater, den ich nach seiner Einschätzung der gegenwärtigen Lage fragte: "Diejenigen, die Geld und Hoffnung haben, investieren wieder."

Liebe Schwestern, liebe Brüder!

Hoffnung lässt nach vorne schauen und öffnet einen neuen Horizont. Wo Hoffnung und Vertrauen lebendig sind, da haben junge Menschen die Kraft, Ja zueinander, Ja zu einer gemeinsamen Zukunft sagen und sich aneinander zu binden in der Ehe! Hier entsteht etwas Neues: das Vertrauen in den Partner und das Vertrauen, dass Gott selbst im Bund ist, macht Mut und öffnet die Gegenwart auf die gemeinsame Zukunft hin: "Ich werde Euch Zukunft und Hoffnung geben", (Jer 29,11) spricht Gott selbst. Und diese Zusage Gottes gewinnt Gestalt, ja wird zur Hoffnung für unsere Zukunft, ja für unser Volk in jedem Kind. So frage ich mich: Werden in unserem Land auch deswegen so wenige Kinder geboren, weil wir zu wenig Hoffnung und Vertrauen in die Zukunft haben? Hoffnung und Vertrauen ermutigen zum Handeln, damit eine bessere Zukunft Gegenwart wird. Dazu gehört auch, nicht untätig zu bleiben, sondern zu handeln, zu investieren, Verantwortung für unsere Welt und Umwelt zu übernehmen. Das Kreuz auf dem Wahlzettel am kommenden Sonntag kann zum Ausdruck dieser Hoffnung werden: Ich gehe zur Wahl, damit es nach vorne geht. Wir können gemeinsam und miteinander unsere Gesellschaft gestalten! Wer Hoffnung und Vertrauen hat, schaut nach vorne und leistet seinen Beitrag. Hoffnung bringt die Zukunft in die Gegenwart.

Doch schwankend und wankelmütig, wie wir Menschen nun mal sind, liebe Schwestern, liebe Brüder, wissen wir auch, dass so manche Hoffnung, auf die wir setzen, sich schnell verflüchtigt und entschwindet - wie der vorhergesagte Sonnenschein; wie der erwartete Sieg durch den vielversprechenden neuen Fußballtrainer; wie so manche positive Wirtschaftsprognose. Unsere christliche, von Gott geschenkte Hoffnung gründet tiefer. Sie hat ihren Grund in Jesus Christus. In ihm hat Gott unserer Hoffnung ein unverwechselbares Gesicht gegeben. In ihm ist die Hoffnung mitten unter uns. Das ist nicht eine billige Vertröstung. Jesus zeigt uns durch sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung: Leid und Tod haben nicht das letzte Wort. Das letzte Wort hat das Leben. Auch der Tod kann die Hoffnung nicht begraben. Damit wissen wir: Es gibt ein Leben über den Tod hinaus; ein Leben, das stärker ist als der Tod; ein Leben, das zu leben sich lohnt. Und dieses Leben ist uns in Jesus Christus geschenkt. In der Hoffnung darauf und im Vertrauen auf die Zusage Jesu leben wir.

Von diesem Vertrauen getragen, wendet sich die Beterin im Frankfurter Dom an Gott. Jedes Gebet, jede Betende und jeder Betende lebt davon. Wer betet, zeigt: Ich glaube an Gott, der mich als Freund anspricht. Ich vertraue, dass er mich hört. Ich lebe aus der Hoffnung, dass Gott mir Zukunft schenkt. Wer betet, schaut über die irdischen Mächte hinaus; er weiß: Gott ist größer. Wer sich an Gott wendet, darf es tun in der Haltung des Beters von Psalm 27, den wir eben gemeinsam gebetet haben: "Der Herr ist die Kraft meines Lebens: Vor wem sollte mir bangen?" (Ps 27,1). So nennt denn auch unser Heilige Vater zu Recht Beten "die Sprache der Hoffnung". In jeder Klage, in jedem Dank und in jeder Bitte tragen wir zugleich unsere Hoffnung vor Gott, die Hoffnung, dass er unser Leben wenden kann. Jesus selbst lebte im Gebet verbunden mit seinem Vater im Himmel - in sein Gebet dürfen wir einstimmen, mit der Stimme und mit dem Herzen, wie die Jünger, die ihn baten: "Herr, lehre uns beten!" (Lk 11,1). Lehre uns beten, damit wir in der Hoffnung und im Vertrauen wachsen. Lehre uns beten, damit wir uns im Vertrauen auf dich in unserer Zukunft festmachen.

Von der Zeit an, da Edith Stein die betende Frau im Frankfurter Dom sah, veränderte sich ihr Leben. In dieser schlichten Begebenheit ging ihr auf: Es gibt mehr als diese Welt. Es gibt einen Grund der Hoffnung, es gibt ein Vertrauen, das die Grenzen unserer Welt, die Grenzen des Machbaren sprengt. Dieser Grund ist Jesus Christus, der die Grenzen des Todes gesprengt hat und uns das Leben schenkt.

Mauritius und seine Gefährten, liebe Schwestern, liebe Brüder, lebten aus dieser Hoffnung und vertrauten darauf, dass Gott seine Verheißung erfüllt. Mit ihnen, die in Gottes Herrlichkeit leben, wissen wir uns in der Gemeinschaft der Heiligen verbunden. Der Blick auf sie lenkt den Blick auf Gott. Er macht Mut und schenkt Hoffnung und Vertrauen. Amen.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 21. September 2009
Herausgeber: P. Dr. Hans Langendörfer SJ,
Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz
Deutsche Bischofskonferenz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. September 2009