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KIRCHE/806: Neuausrichtung und Rückbesinnung im theologischen Dialog (ÖRK)


Ökumenischer Rat der Kirchen - Feature vom 8.10.2009

Neuausrichtung und Rückbesinnung im theologischen Dialog

Von Christoph Urban


Es ist das umfassendste christliche Diskussionsforum für heologische Fragestellungen, das sich vom 7. bis 13. Oktober auf Kreta versammelt hat. Jedenfalls, wenn man die beteiligten Kirchen zum Maßstab nimmt. Institutionell gehört die so genannte "Kommission für Glauben und Kirchenverfassung" zwar zum Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK), ist aber repräsentativer: volle Mitglieder sind auch die katholische Kirche sowie einige Evangelikale und Pfingstkirchen, die im Weltkirchenrat fehlen. Allerdings ringt die Kommission derzeit um ihre Rolle in der Ökumene.

"Ich bin nach wie vor der Meinung, dass Glauben und Kirchenverfassung durch den Beitritt zum ÖRK seine Dynamik als Bewegung für die Einheit der Kirche verloren hat und von dem Apparat und den institutionellen Abläufen aufgesogen worden ist", sagte der Vorsitzende der Kommission, Metropolit Vasilios von Konstantia-Ammochostos vor den 152 versammelten Gelehrten, Kirchenleitenden und Laien. Allerdings hätte die Bewegung nicht weiter bestehen können, wenn sie nicht den Institution des ÖRK beigetreten wäre - wie auch der ÖRK seinen Auftrag nicht ohne die Aktivitäten der Gruppe erfüllen könne, so Vasilios.

Hintergrund: Historisch betrachtet ist "Glauben und Kirchenverfassung" ein eigener Strom der ökumenischen Bewegung. Die erste Weltkonferenz fand 1927 in Lausanne statt, die Vorarbeiten gehen bis zum Beginn des Jahrhunderts zurück. Mit der Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1948 wurde die Bewegung zu einem Teil dieses Weltkirchenrates.

Fragen der Einheit - traditionell und modern

Vasilios betonte die "wertvolle theologische Arbeit", die Glauben und Kirchenverfassung als Kommission des ÖRK geleistet habe. Vor allem habe sie Einheitsmodelle für die Kirche diskutiert und entwickelt und damit dem Weltkirchenrat den theologischen Unterbau bereitet. Dennoch befinde sich die ökumenischen Bewegung nach Einschätzung des Zyprioten derzeit in einer "Krise". Die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung, die sich der sichtbaren Einheit der Kirche besonders verpflichtet fühlt, hat das ebenfalls in eine Sinnkrise gestürzt.

Wie soll es weiter gehen für die Kommission? Soll man an den traditionellen Themen der Ekklesiologie - der Lehre vom Wesen der Kirche - festhalten? Das kommt einigen altmodisch vor. Oder soll man sich mehr den aktuellen gesellschaftlichen Fragen zuwenden? Damit beschäftigen sich aber schon andere im ÖRK. Vasilios empfiehlt: "Die stereotype Unterscheidung zwischen 'traditionellen' und 'modernen' theologischen Fragen kann nur Verwirrung stiften. Wenn Fragen, die zur Spaltung der Kirchen geführt haben, das auch heute noch tun, dann sind sie für die Kirchen genauso aktuell und wichtig wie die anderen." Er plädiert dafür, dass die Kommission innerhalb des ÖRK ein deutlicheres Profil erhalte.

Der Direktor von "Glauben und Kirchenverfassung", Kanonikus John Gibaut, bemühte sich in seinem Bericht um die ungeklärten Fragen nach der Bedeutung des Plenums, der großen Versammlung - auch wenn der kanadische Anglikaner einräumen musste, die Antworten seien noch "in Arbeit".

Etwa alle sieben Jahre findet die große Plenartagung der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung statt, immer zwischen den Vollversammlungen des Ökumenischen Rates der Kirchen. In der Zwischenzeit leitet eine so genannte Ständige Kommission, der nur 30 der insgesamt 120 Mitglieder des Plenums angehören, die Arbeit an den theologischen Studien.

Nach einer Satzungsänderung im Jahr 1999 hatte die Plenums-Versammlung an Eigenständigkeit verloren - an eben diese Ständige Kommission und an den Zentralausschuss des ÖRK. Die geben nun stärker die Richtung an, und die Finanzen wurden auch gekürzt. Auf der letzten Tagung 2004 in Kuala Lumpur war vielen der Auftrag unklar.

John Gibaut betonte, es brauche den Sachverstand und die guten Ideen des Plenums. "Ihre Arbeit hier besteht nicht darin, Entscheidungen zu treffen - diese Aufgabe kommt dem ÖRK-Zentralausschuss zu, der sich zu diesem Zweck mit der Ständigen Kommission berät. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, sich mit jedem der Studienprojekte zu beschäftigen, um Ihre beratende Funktion erfüllen zu können."

Weitblick statt Wetterfrösche

Gibaut verglich die Mitglieder der Gruppe mit Klimatologen. Die interessieren sich für langfristige Veränderungen. Anders als die Kollegen aus der Meteorologie, die das Wetter tagesaktuell beschreiben. Die Kommission arbeite an langfristigen Lösungen für eine immer schneller werdende Welt. So sei es gelungen, durch Studien und theologische Dialoge "den Kirchen Konvergenz- oder Konsenstexte vorzuschlagen, die einen tief greifenden Beitrag zur Einheit der Kirche geleistet haben."

Einen Blick in die Zukunft wagte dann die ehemalige Vorsitzende und aktuelle ÖRK-Präsidentin Mary Tanner. Sie entwickelte in ihrer Rede vor dem Plenum eine Vision, wie es weiter gehen kann. Sie empfahl, die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung solle ihre Arbeit auf die Frage der Kircheneinheit konzentrieren. "Wir müssen uns auf die sichtbare Einheit der Kirche konzentrieren - eine Einheit im Glauben, in den Sakramenten, im Amt und im gemeinsamen Leben, damit wir im Dienst wirksam und in unserer Mission glaubwürdig sein können."

Es lohne sich, innerhalb der ökumenischen Bewegung für dieses Anliegen zu werben, sagte die Engländerin. Die Arbeit an den "neuralgischen Punkten", die die Kirchen noch trennen, müssten fortgesetzt werden.

Ebenso wichtig sei es, die erzielten Ergebnisse auch weiter zu tragen. "Wir müssen unsere Kirchen auch weiterhin dazu herausfordern, die Früchte unserer Arbeit, die ihr Leben und ihre Beziehungen verändern werden, zu rezipieren", sagte Tanner. Als gelungenes Beispiel hob sie das Konvergenzdokument "Taufe, Eucharistie und Amt" hervor. Schließlich forderte Tanner die die Delegierten auf: "Lasst uns die Winde Kretas nutzen, um uns auf den Weg zu machen."


Christoph Urban ist Journalist und Theologe. Er arbeitet derzeit als Auslandsvikar der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Antwerpen, Belgien.

Weitere Informationen zur Tagung auf Kreta:
http://www.oikoumene.org/crete2009

Vollständiger Text des Berichts von Metropolit Vasilios:
http://www.oikoumene.org/?id=7219&L=2

Bericht von Kanonikus John Gibaut:
http://www.oikoumene.org/?id=7220&L=2

Vortrag von Mary Tanner:
http://www.oikoumene.org/?id=7221&L=2

Die Meinungen, die in ÖRK-Features zum Ausdruck kommen, spiegeln nicht notwendigerweise die Position des ÖRK wider.

Der Ökumenische Rat der Kirchen fördert die Einheit der Christen im Glauben, Zeugnis und Dienst für eine gerechte und friedliche Welt. 1948 als ökumenische Gemeinschaft von Kirchen gegründet, gehören dem ÖRK heute mehr als 349 protestantische, orthodoxe, anglikanische und andere Kirchen an, die zusammen über 560 Millionen Christen in mehr als 110 Ländern repräsentieren. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche. Der Generalsekretär des ÖRK ist Pfr. Dr. Samuel Kobia, von der Methodistischen Kirche in Kenia. Hauptsitz: Genf, Schweiz.


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Quelle:
Feature vom 8. Oktober 2009
Herausgeber: Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK)
150 rte de Ferney, Postfach 2100, 1211 Genf 2, Schweiz
E-Mail: ka@wcc-coe.org
Internet: www.wcc-coe.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2009