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KIRCHE/881: Statement - Ackermann zur Debatte über den Einsatz in Afghanistan (DBK)


Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz vom 23.02.2010

Statement von Bischof Dr. Stephan Ackermann (Trier), Vorsitzender der Deutschen Kommission Justitia et Pax, beim Pressegespräch der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz zur Debatte über den Einsatz in Afghanistan am 23. Februar 2010

Es gilt das gesprochene Wort!


Mit der Londoner Konferenz vom 28. Januar 2010 hat für das internationale Engagement in Afghanistan eine neue Phase begonnen. Erlauben Sie mir, dazu einige Bemerkungen vorzutragen, die sich dem friedensethischen Denken der Kirche verpflichtet wissen, wie es vor allem in dem Wort der deutschen Bischöfe "Gerechter Friede" (2000) seinen - aus unserer Sicht: immer noch aktuellen - Ausdruck gefunden hat.

Grundsätzlich möchte ich feststellen: In London wurde ein dringend erforderlicher Strategiewechsel eingeleitet. Besonders begrüße ich dabei die substantielle Stärkung der zivilen Perspektive des Einsatzes. Damit verbunden ist die Absicht, Vertrauen in der afghanischen Bevölkerung zu gewinnen oder wiederherzustellen und - soweit möglich - auch gegnerische Kräfte in einen politischen Friedensprozess einzubinden. Mit den bei der Konferenz getroffenen Vereinbarungen und den entsprechenden Beschlüssen des Deutschen Bundestages sind die Probleme in Afghanistan natürlich immer noch weit von einer Lösung entfernt. Sie eröffnen jedoch die Möglichkeit, dass sich die Verhältnisse am Hindukusch langfristig zum Besseren wenden können. Zu den Voraussetzungen des Erfolgs gehört dabei zuallererst, dass der neue Ansatz konsequent umgesetzt wird und sich nicht unter neuen Etiketten alte Politik fortsetzt.

Wie Sie wissen, hat die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Londoner Konferenz angekündigt, die Mittel für den zivilen Aufbau von 220 Mio. Euro auf 430 Mio. Euro zu erhöhen. Dies ermöglicht die vermehrte Ausbildung polizeilicher Kräfte und dient zugleich dazu, die staatliche und gesellschaftliche Infrastruktur Afghanistans zu verbessern. So sehr diese Maßnahmen zu begrüßen sind, möchte ich hier doch die im politischen Raum immer wieder einmal erhobene Forderung problematisieren, dass die zivilen Helfer künftig verstärkt mit den militärischen Kräften zusammenarbeiten müssten. Aus nachvollziehbaren Gründen nämlich weisen die humanitären Hilfsorganisationen, z. B. unsere Caritas, darauf hin, dass eine sorgfältige Trennung ihrer Arbeit von den Einrichtungen des Militärs unerlässlich ist, weil die zivilen Organisationen - nicht zuletzt aus Sicherheitsgründen, aber auch um des Vertrauens unter der Bevölkerung willen - nicht als verlängerter Arm der Streitkräfte erscheinen dürfen. Mit dem Plädoyer für eine eindeutige Unterscheidung zwischen militärischem und zivilem Engagement soll indes nicht bestritten werden, dass das Ver hältnis beider weiterer Klärung bedarf. Im Sinne der perspektivischen Überwindung der militärischen (also der gewaltförmigen) Elemente ist es dabei jedoch wichtig, das Gesamtkonzept von einer zivilen Logik her zu denken.

Es scheint mir in diesem Zusammenhang ein Problem darin zu liegen, dass sich die öffentliche Diskussion bei uns allzu sehr auf die Fragen nach dem genauen Datum des Abzugs der Truppen und nach deren vorübergehender Aufstockung konzentriert. Diese Fragen sind wichtig; sie können aber sinnvoll nur entschieden werden im Rahmen und auf der Grundlage eines kohärenten Gesamtkonzepts, bei dem die militärischen Maßnahmen von ihrer Vorläufigkeit her und unter dem Gesichtspunkt des notwendigen Schutzes der afghanischen Bevölkerung gedacht werden. Eine zu starke Betonung von Abzugsterminen und Truppenaufstockung brächte, dem neuen strategischen Konzept zum Trotz, schließlich doch nur wieder ein unangemessenes Übergewicht des Militärischen in der politischen Strategie zum Ausdruck. Dabei könnte dann nur allzu leicht auch in den

Mir sei an dieser Stelle auch die kritische Frage erlaubt, ob die in den USA wie in Deutschland in Aussicht genommenen Abzugszeiträume nicht vielleicht doch stärker von Wahlterminen als von klar definierten Voraussetzungen in Afghanistan bestimmt sind. Auch wenn es plausibel erscheint, die afghanischen Behörden durch Abzugstermine in die Pflicht zu nehmen und unter Handlungsdruck zu setzen, muss bei Entscheidungen über den Rückzug von Truppen letztlich doch vor allem die Sicherheit und das Wohlergehen der Bevölkerung im Fokus des Interesses stehen.

Es ist richtig, dass vieles, was nunmehr als neue Strategie ausgegeben wird, schon von Anfang an zum Konzept des deutschen Engagements gehört. Es stimmt leider aber auch, dass Deutschland seiner Verantwortung, z.B. bei der Ausbildung von afghanischen Polizeikräften, in der Vergangenheit höchst ungenügend gerecht geworden ist. Diese Defizite werden nur überwunden werden können, wenn ihre Ursachen klar identifiziert und dann beseitigt werden. Dazu gehören etwa die Personalknappheit bei der Polizei und unzureichende Kapazitäten für die Ausbildung deutscher Polizeibeamter, die in einem internationalen Polizeieinsatz tätig werden sollen. Es müssen also eine Reihe von Hausaufgaben erledigt werden, wenn gute konzeptionelle Ansätze, die in London noch einmal nachdrücklich bekräftigt wurden, auch tatsächlich in die Wirklichkeit übersetzt werden sollen.

Die Weltgemeinschaft wird im Übrigen nicht umhin kommen, aktiv mit den geostrategischen Dimensionen des Afghanistan-Engagements umzugehen. Anders als in den Vereinigten Staaten werden diese Probleme in der deutschen Öffentlichkeit bislang nur wenig erörtert. Ohne eine verlässliche Stabilisierung Pakistans aber wird auch in Afghanistan kein Frieden einkehren. Dazu ist die Einbeziehung von Indien, China und Russland dringend geboten. Hier wäre, so denke ich, ein lohnendes Feld, auf dem die deutsche und europäische Diplomatie Kreativität entwickeln sollte.

Es ist gut und hilfreich, dass es im Deutschen Bundestag eine breite Mehrheit für den Strategiewechsel in der Afghanistan-Politik gibt. Sowohl die Regierung als auch SPD und Die Grünen haben in den letzten Wochen weitgehend der Versuchung zur parteitaktischen Vorteilnahme widerstanden. Dies ist ein hoffnungsvolles Zeichen dafür, dass auch in Zukunft die lange vernachlässigte Diskussion über das deutsche Engagement in Afghanistan mit dem angemessenen Ethos geführt wird. Das Verhalten von Regierung und Opposition im anstehenden Untersuchungsausschuss zur Kundus-Affäre wird eine erste Probe der Ernsthaftigkeit in der politischen Diskussion nach den Londoner Beschlüssen sein.

Erlauben Sie mir noch einige Worte zum Thema "Versöhnung", das in den vergangenen Wochen und auch auf der Londoner Konferenz, oft vermischt mit der Frage nach Angeboten für verhandlungswillige Aufständische, angesprochen worden ist. So begrüßenswert die Versöhnungsperspektive ist - die akute Gewalteindämmung durch finanzielle Offerten an Aufständische ist von Versöhnungshandeln zu unterscheiden. Mir liegt an dieser Feststellung, um einer allzu naiven und wenig sorgfältigen Rede von Versöhnung zu wehren. Denn wer vorschnell von Versöhnung spricht, ohne die Tiefe der gesellschaftlichen Verletzungen ernsthaft vor sich zu bringen, der hebt nicht, sondern beschädigt die in der Gesellschaft vorhandenen Versöhnungspotentiale. So lange in Afghanistan Kriegsverbrecher, gleich welcher der Konfliktparteien sie angehören, unbehelligt sind, wird die Rede von der Versöhnung leer bleiben. Die Wunden von 30 Jahren Krieg lassen sich nicht in Kürze heilen. Wer hier beitragen will, braucht einen umfassenden Blick auf die Erschütterungen der Menschen in Afghanistan. Hast ist kein guter Ratgeber.

Es ist klar, dass diese Prozesse nicht in wenigen Jahren vollendet werden können. Daher sollte man um der Redlichkeit und politischen Durchhaltefähigkeit willen keine illusorischen Zielsetzungen ausgeben. Gefragt ist ein sehr nüchterner und sehr realistischer Blick auf die vorhandenen Potentiale für Veränderungen. Auch wenn heute eine verständliche Erleichterung darüber festzustellen ist, dass die internationale Gemeinschaft ein neues Kapitel des Einsatzes in Afghanistan aufgeschlagen hat, sollten wir uns keinen Täuschungen hingeben, die nur unseren Hoffnungen geschuldet sind. Die Lage in Afghanistan wird auf lange Sicht ambivalent bleiben. Trotz mancher Fortschritte werden wir es noch lange aushalten müssen, unzufrieden zu sein.


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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 030b vom 23. Februar 2010
Herausgeber: P. Dr. Hans Langendörfer SJ,
Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz
Deutsche Bischofskonferenz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2010