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STANDPUNKT/278: Saat des Lebens - Alternativen zum Agrobusiness (ÖRK)


Ökumenischer Rat der Kirchen - Feature vom 25.01.2007

SAAT DES LEBENS - AUF DER SUCHE NACH ALTERNATIVEN ZUM VORHERRSCHENDEN MODELL DES AGROBUSINESS

Von Juan Michel (*)


Warum hat sich eine alarmierende Zahl indischer Bauern in den letzten Jahren das Leben genommen? Warum gehen Menschen in dem ländlichen Bezirk Jang Seong in der Nähe von Kwangju in Südkorea zu biologischer Landwirtschaft über? Warum setzen sich kirchlich geförderte Organisationen in Brasilien für die Rettung von heimischem Saatgut ein? Die Antwort auf diese Fragen hat viel zu tun mit den Folgen der wirtschaftlichen Globalisierung für die Landwirtschaft, in der sich gegenwärtig zwei Modelle einen Wettbewerb auf Leben und Tod liefern.

Im Falle Indiens beginnt die Geschichte mit der Einführung von genetisch verändertem Baumwollsaatgut vor etwa 15 Jahren. Die aufgrund staatlicher Subventionen für die Baumwollproduktion zu erwartenden hohen Profite überzeugten die Bauern, in die Monokultur von Baumwolle einzusteigen. Sie nahmen Darlehen auf, um größere Flächen Land pachten zu können, und hörten schließlich auf, Gemüse und andere Nahrungspflanzen anzubauen.

Alle schienen glücklich zu sein, bis der Markt zusammenbrach und die Preise sanken. Die Bauern konnten ihre Darlehen nicht zurückzuzahlen und die Banken enteigneten ihr Land. Daraufhin begingen erst einige, dann immer mehr Bauern Selbstmord. Im Zeitraum von 1993 bis 2005 erreichte ihre Zahl 100 000.

"Es ist eine tödliche Falle", erklärt William Stanley, Sozialaktivist aus Indien, der mit der lutherischen Kirche und zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammenarbeitet. "Die Bauern haben innerhalb eines Jahrzehnts den völligen sozialen Abstieg erlebt. Viele haben diesen Verlust an Würde nicht ertragen."

Stanley sprach vor den Teilnehmenden eines Workshops zum Thema "Landwirtschaft für das Leben", der von einer Koalition ökumenischer Organisationen unter Leitung des Ökumenischen Rates der Kirchen im Rahmen des Weltsozialforums veranstaltet wurde, das vom 20.-25. Januar in Nairobi, Kenia, stattfand.

In demselben Workshop berichtete Seong-Won Park, ein Theologe aus Südkorea, den Teilnehmenden über die wachsende Zahl von Menschen in seinem Land, die zu einem alternativen Lebensstil übergehen.

In einem offensiv modernen, verstädterten, industriell und technologisch hoch entwickelten Land, das vielen als Modell für erfolgreiche Entwicklung gilt, kehren einige zu einem ökologischen Lebensstil zurück. "Nicht viele, aber doch eine ganze Reihe von Südkoreanern fühlen sich erschöpft von dem aktuellen Lebensstil und sind bereit, auf die damit verbundenen Privilegien zu verzichten", berichtete Park.

Er selbst hat sein Engagement für den biologischen Landbau am Theologischen Young Nam-Seminar entdeckt, wo er unterrichtet und die Studierenden ermutigt, ihren zukünftigen Dienst in ökologischer Perspektive zu sehen. Zu Hause baut Park Gemüse für seine Familie an. Die notwendigen Kenntnisse hat er sich bei erfahrenen Bauern angeeignet, mit denen er auch direkten Handel treibt.

Parks persönliche Erfahrungen finden ein Echo in einer breiteren Bewegung in Südkorea. So spielt eine Gemeinde im ländlichen Bezirk Jang Seong in der Nähe von Kwangju eine wichtige Rolle bei der Förderung von ökologischem Landbau und von direkten Handelsbeziehungen zwischen Herstellern und Verbrauchern. Nach 15-jähriger intensiver Vorarbeit arbeiten die Kirche, zivilgesellschaftliche Organisationen und die kommunalen Behörden mittlerweile im Rahmen eines "Forums für eine alternative Vision" zusammen, das biologische Anbaumethoden sowie traditionelle Bauernmärkte auf lokaler Ebene fördert.


Mehr als nur Saatgut

Egal, welche Art von Landwirtschaft ein Bauer betreibt, er muss auf jeden Fall Saatgut säen. Auf den ersten Blick scheint die Sache einfach zu sein: Saatgut ist Saatgut, oder? Nein, eben nicht. Die zwei Landwirtschaftsmodelle - die biologische Landwirtschaft, die Park und andere als "Landwirtschaft für das Leben" bezeichnen, und das derzeit vorherrschende, von Marktkräften bestimmte Agrobusiness - benötigen und verwenden unterschiedliches Saatgut.

Aus diesem Grund setzen sich in Brasilien und anderswo Einzelne und Organisationen, die biologische Landwirtschaft betreiben und fördern, für die Rettung und den Schutz der großen Vielfalt heimischen Saatguts ein, das bedroht ist, weil agrotechnische Unternehmen den Bauern hybrides und transgenes Saatgut aufzwingen.

"Saatgut wird heute als Mittel benutzt, um Macht und Herrschaft auszuüben", berichtet Nancy Cardoso, eine brasilianische Theologin. "Die technologische Manipulation, Kontrolle, Konzentration und Kommerzialisierung von Saatgut durch eine kleine Gruppe kapitalistischer Großunternehmen", so Cardoso, "bringen Menschheit und Natur in Gefahr".

Für Nancy Cardoso ist Saatgut mehr als "nur Saatgut" und der Anbau und Handel mit Saatgut ist mehr als nur eine wirtschaftliche Aktivität. Sie vertritt den Standpunkt, dass Samen nicht nur materielle, sondern auch symbolische Strukturen haben. "Samen verfügen über Codes, Informationssysteme - sie stellen lebendige Pfade aus Urzeiten dar, die bis in unsere Gegenwart reichen und Schlüssel für mögliche Entwicklungen enthalten, die wir heute noch nicht kennen", argumentiert sie.

Daher stellen Anbaumethode und Verwendung von Saatgut nicht einfach eine mechanische Aktivität dar, sondern sind Ausdruck sozialer Beziehungen, die Natur und Wirtschaft, aber auch Politik und Ökologie miteinander verbinden. Für Cardoso wird der Kampf um die Rettung und den Schutz der Vielfalt heimischen Saatguts damit zu einer dringlichen Aufgabe, die eine klare theologische Dimension beinhaltet - die Bewahrung des Lebens durch die Gewährleistung von Ernährungssouveränität und -sicherheit.


Gemeinsame Suche nach Alternativen

Die Anstrengungen für die Rettung heimischen Saatguts sind nur Teil eines umfassenderen Engagements für die Förderung einer lebenserhaltenden Landwirtschaft. Eine wachsende Zahl von Organisationen und Einzelnen tritt für dieses Modell ein und setzt es dem vorherrschenden landwirtschaftlichen Produktionsmodell entgegen. Das Konzept ist von der Ökumenischen Koalition für Alternativen zur Globalisierung (ECAG) entwickelt worden, die im April 2005 das erste "Forum für eine lebenserhaltende Landwirtschaft" in Wonju, Südkorea, abgehalten und dieses Modell als notwendige Alternative zu einer "lebenszerstörenden" Landwirtschaft vorgestellt hat.

Das Forum kritisierte das gegenwärtig dominierende Modell als kapitalintensiv, exportorientiert, primär von Profit getrieben und auf Monokultur ausgerichtet. Dieses Modell, erklärte Park, der an dem Forum teilgenommen hatte, "zwingt die Bauern, genetisch verändertes Saatgut, Pestizide, chemische Düngemittel und Automatisierungstechniken einzusetzen. Das Ergebnis ist Bodenverarmung, Verlust der Artenvielfalt und Konzentration des Landes in den Händen einiger weniger".

Das Modell der lebenserhaltenden Landwirtschaft basiert dagegen - mit den Worten von Lucy Ngatia, einer Ökologin und Absolventin der Universität Nairobi, - auf biologischen Anbaumethoden und ist "sozial gerecht, umweltschonend und ökonomisch tragfähig". Sie erklärte den Teilnehmenden an dem Workshop "Landwirtschaft für das Leben" ferner, dass es den Bauern in Afrika faktisch gelungen sei, ihre Produktion mit Hilfe ökologischer Anbaumethoden zu steigern und so einen Beitrag zur Armutslinderung bei gleichzeitiger Erhöhung der Ernährungssicherheit zu leisten.

"Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen Samen", so heißt es in der jahrhundertealten Geschichte im Lukasevangelium (Lk 8,5). Das hört sich einfach an, ist es aber nicht. Und ist es nie gewesen. Die Befürworter einer Landwirtschaft für das Leben würden jedoch auf die Erfahrung verweisen, die zeigt, dass Widerstand gegen das vorherrschende Modell möglich ist, wenn alle Mitglieder einer Gemeinschaft bei der Suche nach Alternativen an einem Strang ziehen.

(*) Juan Michel, ÖRK-Medienbeauftragter, ist Mitglied der Evangelischen Kirche am La Plata in Buenos Aires, Argentinien.


Die Meinungen, die in ÖRK-Features zum Ausdruck kommen, spiegeln nicht notwendigerweise die Position des ÖRK wider.


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Der Ökumenische Rat der Kirchen fördert die Einheit der Christen im Glauben, Zeugnis und Dienst für eine gerechte und friedliche Welt. 1948 als ökumenische Gemeinschaft von Kirchen gegründet, gehören dem ÖRK heute mehr als 348 protestantische, orthodoxe, anglikanische und andere Kirchen an, die zusammen über 560 Millionen Christen in mehr als 110 Ländern repräsentieren. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche. Der Generalsekretär des ÖRK ist Pfr. Dr. Samuel Kobia, von der Methodistischen Kirche in Kenia. Hauptsitz: Genf, Schweiz.


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Quelle:
Feature vom 25. Januar 2007
Herausgeber: Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK)
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E-Mail: ka@wcc-coe.org
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2007