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STANDPUNKT/293: Wer sich auf die Schöpfung beruft... (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion 8/2007

Wer sich auf die Schöpfung beruft...
Klimawandel als Herausforderung für die Schöpfungstheologie

Von Andreas Lienkamp


Der vierte Sachstandsbericht des Weltklimarates (IPCC) von 2007 lässt kaum mehr Zweifel daran, dass der Mensch für den Großteil des globalen durchschnittlichen Temperaturanstiegs verantwortlich ist. Was kann eine christliche Theologie der Schöpfung dazu sagen?


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An Heiligabend des Jahres 1968 entsteht ein Foto, das Geschichte schreibt: eine Aufnahme des ersten "Erdaufgangs", den Menschen je gesehen haben. Bei lunarem Sonnenaufgang, am frühen Morgen des Weihnachtstages, lesen die drei Besatzungsmitglieder der Apollo-8-Mission für ihr irdisches Publikum abwechselnd die ersten zehn Verse des Buches Genesis, den Beginn der jüngeren der beiden biblischen Schöpfungserzählungen. Es ist ihre Entscheidung, keine Vorgabe der NASA.

Das "Time Magazin" kürt die drei Astronauten zu den "Männern des Jahres 1968" (Time Magazine 93 [1969] Nr. 1). Mit ihnen habe die Menschheit ein neues Zeitalter erblickt, eines, das das Bild vom Menschen und die Idee seiner Bestimmung zwangsläufig umformen werde. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, welches menschliche und ökologische Elend sich - für die Apollo-Crew unsichtbar - zeitgleich auf der Erde abspielt. Für das Time Magazine ist es "ein grausames Paradox dieser Zeit, das Menschen den fremdem Weltraum erobern können, aber nicht in der Lage sind, ihren Heimatplaneten in Ordnung zu halten."

Erst der Standpunkt außerhalb, wie ihn die drei Astronauten stellvertretend einnehmen, lässt erkennen, dass - wie es das Time Magazine treffend formuliert - "der Planet nicht mehr länger die Welt" ist. Diese Erkenntnis liegt auch dem polemischen Appell zu Grunde, den der Philosoph Hans Blumenberg Mitte der achtziger Jahre an die Friedens- und Umweltbewegung richtet. Im Kern lautet seine Botschaft, rhetorisch "abzurüsten" und die eigenen Ziele bescheidener zu formulieren. Zwar müsse man Verständnis dafür haben, dass niemand tot sein möchte, wenn es sich vermeiden ließe. Kein Verständnis habe er aber "für die heuchlerische Redeweise, es ginge darum, die Schöpfung entweder zu zerstören oder zu erhalten" (Rette was, wer kann!, in: NZZ, 6. April 1985).

Darin stecke eine törichte Anmaßung. "Der Mensch kann vieles zerstören, von Tag zu Tag mehr, und er kann mehr zerstören, als er jemals beigetragen hat zum Bestand der Dinge - aber die Schöpfung, das Universum der Welten und Sonnen, zahlloser Chancen für so etwas, wie er selbst ist - wenn bei dieser Gottestat es darauf jemals angelegt gewesen sein sollte -, diese Macht hat er nicht. Ja er ist lächerlich weit, unendlich weit von ihr entfernt." Der Mensch könne nicht in Konkurrenz zum Schöpfer treten, weder im Guten noch im Schlechten.

Die Kritik des Philosophen wird auch von der neueren Schöpfungstheologie geteilt. Sie betont, dass die Bewahrung der Schöpfung wesentlich zum schöpferischen Wirken Gottes gehöre. Darum könne sie "terminologisch nicht mit der unbestrittenen geschöpflichen Verantwortung des Menschen für seine Lebenswelt gleichgesetzt werden" (Medard Kehl, Und Gott sah, dass es gut war, Freiburg 2006, 335).

"Die Schöpfung wurde uns nach christlichem Verständnis zur Gestaltung und Bewahrung anvertraut. Heute müssen wir feststellen: Die Schöpfung ist bedroht" (Grundsätze für Deutschland, Nr. 39). Diese theologische Aussage findet sich (neben zahlreichen anderen) in dem vom Bundesvorstand der CDU am 1. Juli 2007 beschlossenen Entwurf eines neuen Grundsatzprogramms (vgl. ds. Heft, 387 ff.). Spielte im alten Hamburger Programm zwar das Thema "Bewahrung der Schöpfung", nicht aber der Klimawandel eine prominente Rolle, so inszeniert sich die größere der beiden Unionsparteien mit ihrem neuen Grundlagendokument als Partei des Klimaschutzes.

Schaut man allerdings auf die Praxis der Großen Koalition, so schmilzt die vollmundige Rhetorik zusammen wie die Alpengletscher angesichts der globalen Erwärmung. "Zur Erfüllung unserer ehrgeizigen Klimaziele, muss alles [!] daran gesetzt werden, Energie zu sparen oder CO2-freie Energie zu erzeugen", so Kanzlerin Angela Merkel in einem Video-Podcast zum Dritten Energiegipfel der Bundesregierung am 3. Juli 2007. Dann aber heißt es: Umweltverträglichkeit und Klimaschutz seien nur ein Ziel neben der Versorgungssicherheit und Stabilität der Energiepreise, denn man wolle "natürlich" international mit den eigenen Strompreisen konkurrenzfähig sein. Zudem wolle man verhindern, dass "unsere Automobilindustrie hier gegenüber andern Ländern benachteiligt wird", so die Kanzlerin weiter. Auch wenn sie den weitergehenden Wünschen der vier großen Energiekonzerne auf den ersten Blick widerstanden hat, so geht der rückwärtsgewandte Neubau klimaschädlicher Kohlekraftwerke weiter. Darüber hinaus "investiert" der Bund jährlich 34 Milliarden Euro in ökologisch kontraproduktive Subventionen und Steuervergünstigungen: niedrige Steuern auf Diesel, Begünstigungen für Dienstwagen mit hohem Spritverbrauch, Förderung des Braunkohleabbaus, Steuerhilfen für Atom-Rückstellungen, Mehrwertsteuerbefreiung bei grenzüberschreitenden Flügen sowie die Befreiung von der Mineralölsteuer bei Inlandsflügen - um nur einige der über 20 Vergünstigungen zu nennen, die Umweltverbände in einem Schwarzbuch im November 2006 Bundesfinanzminister Peer Steinbrück vorlegten (www.klimaschutz.com/aktuell/schwarzbuch.pdf).

Wie der CDU-Bundesvorstand so beruft sich auch die der Klimapolitik der Großen Koalition kritisch gegenüberstehende Klima-Allianz - von Einrichtungen der evangelischen und katholischen Kirche, Entwicklungsorganisationen, Umweltverbänden und anderen Institutionen im April gegründet - in ihrem Grundlagenpapier auf den theologischen Topos der Schöpfung: "Der Klimawandel ist kein Schicksal; er ist Folge eines Mangels an Verantwortung, ein Mangel an Gerechtigkeit gegenüber den besonders betroffenen Menschen in Entwicklungsländern, den indigenen Völkern, nachfolgenden Generationen und der Schöpfung."

Welche inhaltlichl-normative Aussagekraft hat aber der biblische Begriff der Schöpfung noch, wenn mit ihm zum Teil gegensätzliche Programme begründet werden und er unterschiedlichste Maßnahmen und Strategien legitimieren soll?

Die beiden Schöpfungserzählungen der Bibel wollen "keine biblische Theorie über die Entstehung der Welt" liefern, die in Konkurrenz zu naturwissenschaftlichen Erklärungen treten könnte. Sie wollen vielmehr eine im engeren Sinne theologische Aussage machen, eine Aussage über Gott und darüber, dass diese Welt und die Lebewesen auf ihr "'von Anfang an' aus der Lebensmacht und der Zuwendung des die Welt liebenden Gottes" leben - allen Störungen und Bedrohungen zum Trotz, so der Münsteraner Exeget Erich Zenger (Stuttgarter Altes Testament, Stuttgart 2004, 16). Bei diesen Texten handelt es sich um gegenwartsrelevante Ur-Geschichten.

Das spiegelt sich auch im theologischen Sprachgebrauch wieder, denn "Schöpfung" ist einerseits der Sammelbegriff für alles Geschaffene, das als Vergangenes wie als Existierendes auf Vollendung und Neuschöpfung hin angelegt ist. Andererseits bezeichnet der Ausdruck auch den unabgeschlossenen, aktiven Vorgang des Schaffens selbst sowie der Erhaltung des Geschaffenen, wobei Gott auch künftig - bis zum Ende der Zeiten - Neues hervorbringen wird.

Auch die zu erwartenden kommenden Generationen von Menschen, Tieren und Pflanzen werden also Teil der Schöpfung Gottes sein: "Sendest du deinen Geist aus, so werden sie alle erschaffen, und du erneuerst das Antlitz der Erde" (Ps 10, 30). Wann immer von "Schöpfung" oder "Kreatur" gesprochen wird: Eine solche Redeweise setzt einen Schöpfer voraus (sie wäre sonst sinnlos), der bei aller Differenz als in seiner Schöpfung anwesend erfahren und gedacht wird.

Kreativ, das heißt schöpferisch tätig sein, kann allerdings auch der Mensch. Er kann die Schöpfung als Gabe von Leben in "Ehrfurcht vor dem Leben" (Albert Schweitzer) verändernd gestalten und insbesondere das Geschenk des Lebens weitergeben, nicht nur durch Zeugung, sondern auch durch biophiles Verhalten gegenüber allem was lebt (vgl. Andreas Lienkamp, Achtung und Ehrfurcht vor dem Leben, in: Natur und Kultur 4, 2003, Nr. 1, 55-72).


Der missverstandene "Herrschafts"-Auftrag

Obwohl die Schöpfungserzählungen in den so genannten Billigungsformeln deutlich zum Ausdruck bringen, dass Gott sein Werk für "gut" beziehungsweise "sehr gut", das heißt für schön und lebensfördernd befindet, und obwohl etwa Psalm 104 die Weisheit betont, mit der er alles gemacht hat (V. 24), bewahrt sich die Bibel doch einen "nüchternen Blick für die harte und erschreckende Realität der Lebensphänomene. Leben lebt immer auch auf Kosten anderen Lebens" (Gott ist ein Freund des Lebens, Gütersloh 1989, 11.4), obschon "ursprünglich" Tier und Mensch kein Blut vergießen, also das Leben der anderen achten sollten (Gen 10, 29 f).

Zudem waren und sind nicht nur menschliche Verbrechen wie der Holocaust, sondern auch Naturkatastrophen wie das Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755 oder der Tsunami in Südostasien Ende 2004 für viele Menschen gewichtige Gründe, sowohl die Qualität der Schöpfungsordnung als auch die Güte beziehungsweise Allmacht des Schöpfers in Frage zu stellen (Theodizee). Mit Blick auf den anthropogenen, das heißt menschengemachten globalen Klimawandel geht es aber eher um eine Anthropodizee-Problematik, um die Rechtfertigung des Menschen angesichts des von ihm ausgelösten und durch ihn drohenden Leids, um seine Verantwortung und seinen Umgang mit dem ihm anvertrauten Teil der Schöpfung.

Wenn Gott ein "Freund des Lebens" (Weisheit 11,26) ist, kann die aufs Ganze gesehen Leben vernichtende Erderwärmung kaum seinem Willen entsprechen. Die "Tohuwabohu-Erde" (Zenger, Schöpfung, a.a.O., 218), wörtlich die "wüste" (tohû) und "Wirre" (bohû) (Gen 10, 2), lebensfeindliche Welt, hat Gott nicht überwunden, das "Chaos" hat er nicht durch einen "Kosmos" ersetzt, damit die Menschheit die Erde durch den gewaltigen Ausstoß von klimaschädlichen Gasen, durch die Rodung von Wäldern und die Ausrottung von Arten wieder in diesen Zustand zurückversetzt: "nicht zu Wüste (tohû) hat er sie geschaffen (bârâ), sondern zum Bewohnen hat er sie geformt" (Jes 45,18).

"Macht euch die Erde untertan!" Diese eng an Luthers Bibelübersetzung angelehnte, viel zitierte Paraphrase von Gen 10,28 wurde in Verbindung mit dem so genannten Herrschaftsauftrag, dem dominium terrae (Gen 10, 26.28), zur "Legitimationsformel des zivilisatorischen Fortschritts" und zur Rechtfertigung einer "schrankenloses Verfügungsgewalt" und "rücksichtslosen Beherrschung der Natur durch den Menschen" (Bernd Janowski, Herrschaft über die Tiere, in: Biblische Theologie und gesellschaftlicher Wandel, Freiburg-Basel-Wien 1993, 183, 194).

Obwohl Albert Schweitzer schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts darauf aufmerksam machte, reifte in Theologie und Kirche erst in den siebziger Jahren die Erkenntnis, dass in diesem "Naturverständnis, das den Menschen in falscher Weise in den Mittelpunkt stellt, die Natur bloß als Objekt betrachtet ... und den Eigenwert der Natur nicht wahrnimmt", eine zentrale Ursache menschlichen Versagens in der Umweltkrise liegt (Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung 1985, Nr. 7).

Die Ergebnisse der Bibelforschung lassen sich mit dem Luzerner Umweltethiker Hans J. Münk dahin gehend zusammenfassen, dass der "Herrschafts"-Auftrag "im Sinn einer Fürsorge für das 'Lebenshaus Erde' (Zenger), einer Ordnungs-, Schutz- und Konfliktregelungsfunktion sowie als Rechts- und Friedensherrschaft zur Abwehr der stets drohenden Chaosmächte" zu deuten sei (Schöpfungsauftrag, in: LTHK 9, 239). Nach Zenger ist er "keine schrankenlose Frei-Gabe, sondern eine zu verantwortende Auf-Gabe der Menschen für das gesamte Lebenshaus nach der Vor-Gabe des Schöpfergottes selbst" (Zenger: Das Geheimnis der Schöpfung, a.a.O., 48).

Wenn somit nicht länger der "Herrschafts"-Auftrag ein mitwelt- und klimaschädigendes Verhalten des Menschen rechtfertigen kann: Liegt dann möglicherweise in der allein den Menschen auszeichnenden Gottebenbildlichkeit eine hierarchische Auffassung des Mensch-Natur-Verhältnisses begründet, eine Überordnung, die dem Menschen als "Krone und Herr der Schöpfung" (so die Einheitsübersetzung in ihrem Kommentar zu Gen 10, 1-2,4a) unbegrenzte Nutzungsrechte über die ihm untergeordnete Schöpfung verleihen würde?

Nach jüdischer und christlicher Überzeugung ist die Aussage der Gottebenbildlichkeit in der Tat der Grund der Menschenwürde. Als Bild Gottes ist der Mensch aber nicht nur Mandatar Gottes, nicht nur königlicher Mensch, sondern steht als Kind Gottes in einer besonderen Gottesnähe, die ihn verpflichtet, wie eine gute Tochter beziehungsweise wie ein guter Sohn die Erde zu schützen und zu pflegen. Der Zusatz in Gen 10, 26 "wie unsere Ähnlichkeit" untermauert seine "Gottesverwandtschaft", die sich in seinem Verhalten und Handeln niederschlagen muss.

Eine zentrale Aussage über das Verhältnis des Menschen zum "Mitgeschöpf" Erde trifft die zweite Schöpfungserzählung: "Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen" (Gen 20,7). Gott "töpfert" aus dem roten (adom) Ackerboden (adamáh) den "Erdling" (adám), den er mit dem Einhauchen seines göttlichen Lebensatems zu einem Lebewesen macht. Die Beziehung von Mensch und Erde kann enger kaum gedacht werden: Sie sind aus demselben Stoff. Der "Erdling" ist von ihr genommen, ein Teil von ihr. Dass der heilige Franziskus in seinem Sonnengesang von der Erde als Mutter spricht, findet hier seinen biblischen Grund.

Die Schlussfolgerungen, die die Deutschen Bischöfe in ihrem 1980 publizierten Dokument "Zukunft der Schöpfung - Zukunft der Menschheit" ziehen, begründen eine erste Abkehr von der neuzeitlichen Anthropozentrik: Die Welt gehe "nicht darin auf, Material und Rohstoff für den Menschen zu sein". (Nr. II.3) "Tiere sind Tiere und nicht bloß Nahrungsmittel, Ausbeutungsobjekte oder Ware, Landschaft ist Landschaft und nicht bloß Terrain für unsere Planung." (Nr. III.1) "Die Geschöpfe haben einen Eigenwert, sie sind voneinander abhängig, füreinander wichtig (vgl. Ps 104)." (Nr. II.3) Dennoch darf der Mensch die Güter der Erde nutzen; er kann auch nicht anders, wenn er denn überleben will. Aber diese Nutzung ist strengen Regeln unterworfen: Es muss in jeder Hinsicht gerecht zugehen. Gerechtigkeit wird somit zum kritischen Regulativ für "Herrschaft".

Nur wenn die Menschheit ihre Eingebundenheit in das Ganze der Schöpfung erkennt und umsetzt, kann das "Schisma zwischen Mensch und Natur" (Hans Kessler, Das Stöhnen der Natur, Düsseldorf 1990, 31) überwunden werden. An seine Stelle muss ein Bewusstsein von dem allem menschlichen Tun vorgegebenen "umgreifenden Netzwerk der Natur" treten, wie es der Gedanke der "Retinität" zum Ausdruck bringt (Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit, Nr. 125). So kann die problematische Anthropozentrik zugunsten einer Anthroporelationalität aufgehoben werden, die die Beziehung des Naturwesens Mensch zur Natur, die Verwandtschaft des Geschöpfs Mensch mit seinen Mitgeschöpfen sowie die - angesichts des Klimawandels besonders erfahrbare - Schicksalsgemeinschaft mit ihnen stärker betont.

Für das biblische Denken ist Gott nicht nur der Schöpfer des Himmels und der Erde, d. h. des gesamten Kosmos, er ist nicht nur derjenige, der durch sein Wort alles ins Dasein gerufen hat und im Dasein hält. Er, nicht der Mensch, ist auch der bleibende Eigentümer dieser von ihm geschaffenen Welt (vgl. Lev 25, 23; Ps 24,1).

Dieser Gedanke findet sich im christlich-sozialethischen Grundsatz der Widmung der Erdengüter an alle wieder. Das Kompendium der Soziallehre der katholischen Kirche rechnet ihn zu den Prinzipien der kirchlichen Sozialverkündigung (Kap. 4). Der Grundsatz bestätige "sowohl die vollkommene und ewige Herrschaft Gottes über jede Realität als auch die Forderung, dass die Güter der Schöpfung in ihrer Bestimmung auf die Entwicklung des ganzen Menschen und der gesamten Menschheit ausgerichtet bleiben sollen" (Nr. 177). Dies gilt auch für das Klima (vgl. Nr. 470).

Der Mensch hat also an den Gütern der Schöpfung kein Recht im Sinne des bis heute nachwirkenden altrömischen Eigentumsbegriffs des ius utendi, fruendi et abutendi. Deshalb - so das Zweite Vatikanum unter Berufung auf Pius XII. und Johannes XXIII. - müsse die Erde mit allem, was sie enthalte, allen Menschen und Völkern "in einem billigen Verhältnis" zustatten kommen; "dabei hat die Gerechtigkeit die Führung, Hand in Hand geht mit ihr die Liebe" (GS 69). Paul VI. spricht von einem "Grundgesetz", dem andere Rechte - wie das auf Eigentum und freien Tausch - untergeordnet seien (PP 22). Johannes Paul II. hat in seinen Sozialenzykliken immer wieder auf diesen Grundsatz zurückgegriffen und seine zentrale Rolle unterstrichen, um die Verantwortung des Menschen im Umgang mit den Gütern der Schöpfung zu untermauern (LE 19.2 sowie SRS 42.5).

Die lehramtlichen Dokumente argumentieren allerdings immer noch eher gegenwartsbezogen und anthropozentrisch. Sie beziehen zwar, vor allem seit dem ersten Konzil der Weltkirche über die Weltkirche, alle lebenden Menschen mit ein; die künftigen Generationen der Menschheit und deren Rechte werden hingegen nicht hinlänglich bedacht. Dass die Schöpfung darüber hinaus nicht nur Lebensgrundlage des Menschen ist und dass auch die außermenschliche Natur Ansprüche auf ein artgerechtes Dasein hat, auch dies bleibt hier noch unberücksichtigt.


Die Schöpfung als Erbe

Erstmals in dieser Deutlichkeit blickt das Synodendokument "Unsere Hoffnung" (1975) über den Horizont der jetzt lebenden Generationen hinaus. Aufgerüttelt durch den Bericht des Club of Rome "Die Grenzen des Wachstums" (1972) konstatieren die Synodalen, dass "von uns - im Interesse eines lebenswürdigen Überlebens der Menschheit - eine einschneidende Veränderung unserer Lebensmuster, eine drastische Wandlung unserer wirtschaftlichen und sozialen Lebensprioritäten" gefordert ist - "im Interesse lebenswerteren Lebens für die wirtschaftlich und sozial benachteiligten Völker" sowie "im Interesse der Bewohnbarkeit der Erde für die Kommenden." (UH IV.4)

Denn die jeweils lebenden Generationen sind nur die "Verwalter": "Die Welt ist eine Gabe Gottes an den Menschen, und sie ist ihm gegeben zum Weitergeben. (...) So wird die Schöpfung zum Erbe, das jedes Geschlecht den kommenden Geschlechtern schuldet und ihnen nicht wegkonsumieren, nicht mit unerträglichen Hypotheken belasten darf. (...) Verantwortung des Menschen für die Schöpfung ist Verantwortung dafür, das Erbe zu hüten und nicht anstelle eines Gartens eine Wüste zu hinterlassen." (Zukunft der Schöpfung - Zukunft der Menschheit II.5)

Diese theologische Aussage findet ihren "säkularen" Niederschlag sowohl in der Idee des Weltnaturerbes (www.unesco.de/ 650.html) wie im Gedanken der Haushälterschaft, den sich auch der viel beachtete, von Nicholas Stern herausgegebene "Bericht über die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels" zu eigen macht: "Der Begriff 'Haushälterschaft' kann als eine spezielle Form der Nachhaltigkeit betrachtet werden. Er verweist auf besondere Aspekte der Welt, die in einem Zustand weitergegeben werden soll, der wenigstens genauso gut ist wie der, in dem sie von der Vorgängergeneration ererbt wurde" (Stern Review on the economics of climate change, 2006,43).

Die biblische Botschaft ist keine Blaupause für politisches Handeln. Auch kann es unter Christinnen und Christen, wie das Konzil betont, in der gleichen Frage bei gleicher Gewissenhaftigkeit legitimerweise zu verschiedenen Urteilen kommen (vgl. GS 43). Zudem muss man sich hüten, in Absetzung von den verhängnisvollen Missdeutungen der Vergangenheit nun "unterschwellig moderne Vorstellungen kollektiver Schöpfungsverantwortung" (Christoph Uehlinger, Vom dominium terrae zu einem Ethos der Selbstbeschränkung?, in: BiLi 64, 1991, 61) vorschnell in den biblischen Text einzutragen, die ihm in anderer Weise nicht gerecht werden.

Andererseits ist die Auslegung der biblischen Texte damit nicht einfach dem persönlichen Belieben anheimgestellt. Wenn denn dem Menschen eine Ordnungsfunktion für die drei Schöpfungsbereiche Meer, Himmel und Erde zugedacht ist, wenn der Grundauftrag Bearbeitung und Kultivierung unter den Leitlinien der Bewahrung und Erhaltung, Fürsorge und Pflege lautet, dann ist es angemessen, von denjenigen, die sich auf die Schöpfung berufen, auch eine konsequente Berücksichtigung der biblischen Vorgaben einzufordern.

Wenn die Bundesregierung die Folgen und Gefahren, die eine gefährliche anthropogene Klimaveränderung mit sich bringt, wirklich ernst nimmt, müsste sie die Ziele, auf die sie sich in ihrem Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 verpflichtet hat - "weltweit Armut zu bekämpfen, Frieden zu sichern, Umwelt zu schützen, die natürlichen Lebensgrundlagen und die Schöpfung zu bewahren, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zu verwirklichen sowie die Globalisierung gerecht zu gestalten" (Gemeinsam für Deutschland, 147) - viel energischer, und zwar in allen Politikbereichen, umsetzen. Die gesamte Schöpfung harrt der Befreiung und Erlösung, deren Vollendung Christinnen und Christen von Gott erhoffen (vgl. Röm 80,21 f.). Aber sie können und sollen - in der Gnade Gottes - an der Verwirklichung seines Reiches, an dem Neuwerden von Himmel und Erde, hier und jetzt mitwirken. Der neue Himmel und die neue Erde, "in denen Gerechtigkeit wohnt" (2 Petr 30,13), ist keine rein "jenseitige" Utopie, sondern eine durchaus präsentische Größe mit starken ethischen Implikationen. Um der globalen, intergenerationellen und ökologischen Gerechtigkeit willen und in Solidarität mit den gegenwärtigen und künftigen Opfern des Klimawandels gilt es, der Auf-Gabe der Sorge für das "Lebenshaus" Erde gemäß der Vor-Gabe des Schöpfergottes verantwortet nachzukommen.

Die Zeit drängt. Wirksame Maßnahmen der Minderung, das heißt zur drastischen Reduktion der Treibhausgasemissionen und zum Stopp der Waldvernichtung einerseits, sowie der Anpassung an den Klimawandel und seine Folgen, vor allem in den besonders gefährdeten Regionen des "Südens", andererseits, dulden keinen weiteren Aufschub. Noch können vor allem die Industrienationen, aber auch wir selbst, verhindern, dass der globale Klimawandel die Erde von einem "Lebenshaus" für alle in einen "Tohuwabohu"-Planeten verwandelt.


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Andreas Lienkamp (geb. 1962) ist Professor für theologisch-ethische Grundlagen Sozialer Arbeit an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin (KHSB) sowie Mitglied der Arbeitsgruppe für ökologische Fragen der Deutschen Bischofskonferenz. Seine Schwerpunkte sind Theologie und Ethik Sozialer Arbeit sowie Fragen der intergenerationellen Gerechtigkeit, der Bio- und Umweltethik


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
61. Jahrgang, Heft 8, August 2007, S. 427-431
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2007