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STANDPUNKT/364: Was aus der Affaire um "Vatileaks" zu lernen wäre (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 7/2012

Kollegialität!
Was aus der Affaire um "Vatileaks" zu lernen wäre

von Ulrich Ruh



Es verrät einen untrüglichen Sinn für knackige Überschriften, dass ein Beitrag, den Robert Mickens, Romkorrespondent der englischen katholischen Wochenzeitung "The Tablet", den vatikanischen Irrungen und Wirrungen der letzten Zeit gewidmet hat, mit "Der Butler, das Buch und der Banker" betitelt ist (Tablet, 2. Juni 2012). Der Butler, das ist der Ende Mai unter dem Verdacht, päpstliche Korrespondenz "geleakt" zu haben, festgenommene päpstliche Kammerdiener Paolo Gabriele. Das Buch: Gemeint ist das kurz vorher erschienene Buch "Sua Santità" des italienischen Journalisten Gianluigi Nuzzi, das eine ganze Reihe interner vatikanischer Papiere öffentlich macht. Schließlich der Banker: Es handelt sich um den am 24. Mai abgelösten Chef der Vatikanbank IOR, Ettore Gotti Tedeschi.

Gotti Tedeschis Ablösung geschah nicht gerade auf die sprichwörtliche "feine englische Art". Der seit dem September 2009 amtierende IOR-Chef (früher Wirtschaftsethiker an der Universität Mailand und Repräsentant der spanischen Bank Santander in Italien) wurde Hals über Kopf verabschiedet. Er war seinerzeit nicht zuletzt deswegen eingestellt worden, um fragwürdige Geschäftspraktiken der nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit agierenden Vatikanbank ("Istituto per Opere di Religione") zu unterbinden (vgl. HK, Dezember 2010,605 ff.). Dieses Anliegen hatte sich Benedikt XVI. ausdrücklich zu eigen gemacht.


Die Affäre um die nicht für die Öffentlichkeit bestimmten, aber auf mysteriösen Wegen bekannt gewordenen Schriftstücke vom Schreibtisch des Papstes beziehungsweise seines Sekretärs Georg Gänswein, hat mit den Vorgängen um die Vatikanbank nicht direkt zu tun. Zur Aufklärung der Indiskretionen hat Benedikt XVI. eine dreiköpfige Kardinalskommission (Salvatore De Giorgi, früher Erzbischof von Palermo; Julián Herranz, früherer Präsident des Päpstlichen Rates für die Interpretation von Gesetzestexten; Jozef Tomko, früherer Präfekt der Kongregation für die Glaubensverbreitung) ernannt. Sie hat dem Papst inzwischen über ihre bisherigen Erkenntnisse berichtet.

Der Chefredakteur der renommierten katholischen Monatszeitschrift "il regno", Gianfranco Brunelli, urteilte in einem Kommentar zu der vatikanischen Dokumentenaffäre (il regno - attualità, 10/2012 ), es sei unnötig, auf die einzelnen bekannt gewordenen Dokumente einzugehen: "Sie sind von unterschiedlichem Wert". Die Vorgänge um die Texte konvergierten allerdings in der Absicht, die Ablösung von Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone zu beschleunigen. Der frühere Erzbischof von Genua wurde von Benedikt XVI. 2006 in sein jetziges Amt berufen; er hat inzwischen das "normale" Rücktrittsalter für Bischöfe und auch für Kurienchefs von 75 Jahren schon fast drei Jahre überschritten. Der Papst hat ihn allerdings seinerzeit ausdrücklich gewürdigt und ihn gebeten, weiter seinen Dienst in der Leitung der Kirche tun.


Es ist praktisch nicht zu vermeiden, dass die Vorgänge der vergangenen Wochen und Monate Spekulationen über das Funktionieren der römischen Kurie und das Verhältnis von Papst und Kurie auslösen. Es handelt sich schließlich um ein Amt wie um eine Behörde sui generis. Dazu kommen noch Mutmaßungen über das nächste Konklave, die angesichts des Alters von Benedikt XVI. ein Stück weit verständlich sind.

Die letzte umfassende Reform der Kurie erfolgt 1988 unter Johannes Paul II., einem Papst ohne Kurienerfahrung, aber mit persönlichem Charisma und ausgeprägtem Führungswillen (vgl. HK, August 1988, 360 ff.). Bei dieser Reform wurden zwar viele Teilbereiche innerhalb der Kurie geändert, aber nicht die Grundstruktur. Der jetzige Papst hat anders als sein Vorgänger lange an herausragender Stelle in der Kurie gearbeitet: Benedikt XVI. hat zwar auf viele wichtige Posten Vertraute aus seiner Zeit als Kurienkardinal berufen (nicht zuletzt Kardinalstaatssekretär Bertone, der aus der Glaubenskongregation kommt), aber eine grundlegende Kurienreform jedenfalls bisher nicht angepackt, genauso wenig wie etwa eine entsprechende Reform der Bischofssynode.


Der Kirchenhistoriker Alberto Melloni (aus der Bologneser Schule von Giuseppe Alberigo) hat in einem Beitrag für den "Corriere della Sera" (4. Juni 2012) von drei Reformen gesprochen, die angesichts des derzeitigen Durcheinanders an der Spitze der katholischen Kirche notwendig seien. Sie beträfen die Kurie, die päpstliche Diplomatie und den Episkopat. Im Blick auf die Kurie erwähnt er die heikle Stellung des Kardinalstaatssekretärs: Berufe der Papst eine starke Persönlichkeit in dieses Amt, könne er leicht selber in deren Schatten geraten. Werde aber ein eher schwacher Kardinalstaatssekretär berufen, könne Unordnung um sich greifen. Es sei deswegen unumgänglich, die Beziehung zwischen dem Papst und seinem wichtigsten Mitarbeiter in einer ekklesiologischen Gesamtschau anzugehen.

Melloni erinnert auch daran, dass "Kollegialität" ein vergessenes Wort des Zweiten Vatikanischen Konzils sei. Es brauche aber als Gegengewicht zum Papst ein Bischofskollegium, das für die Gesamtkirche mitverantwortlich sei; davon könne der Papst menschlich wie theologisch gesehen profitieren. In diesem Zusammenhang nennt er die Bischofssynode, die einmal als ständiges kollegiales Organ gedacht war, aber zu einem bloßen Konsultativgremium geworden ist.

Das Konzilsjubiläum, das dieses Jahr und auch die kommenden Jahre begangen wird, wäre ein mehr als geeigneter Anlass, um solche Fragen neu zu stellen und konkrete Reformschritte zu überlegen. Gleich, wie es jetzt mit der Affäre um die "Vatileaks" weitergeht: Sie sollte ein Anstoß dazu sein, im Blick auf das Gefüge der zentralen Kirchenleitung über die Bücher zu gehen. Ohne ein größeres Maß an wirklicher Kollegialität ist beim Thema Kurie und Papst nicht weiterzukommen.


Ulrich Ruh, Dr. theol., geboren 1950 in Elzach (Schwarzwald). Studium der Katholischen Theologie und Germanistik in Freiburg und Tübingen. 1974-1979 Wiss. Assistent bei Prof. Karl Lehmann in Freiburg. 1979 Promotion. Seit 1979 Redakteur der Herder Korrespondenz; seit 1991 Chefredakteur.

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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
66. Jahrgang, Heft 7, Juli 2012, S. 328-329
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Oktober 2012