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BERICHT/086: Herausforderung eines "Verlags der Weltreligionen" (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion 1/2008

Und wo bleibt Gott?
Die theologische Herausforderung eines "Verlags der Weltreligionen"

Von Magnus Striet


Hinter dem vom Verlag Suhrkamp gestarteten Großprojekt eines "Verlags der Weltreligionen" steht die sich wandelnde Einschätzung religiöser Phänomene, ihrer Behauptungskraft und damit ihrer Bedeutung für die geisteswissenschaftliche Gegenwartserschließung. Im Herbst letzten Jahres wurden die ersten Bände vorgelegt.


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Wenn ein renommierter Verlag wie der Verlag Suhrkamp unter seinem Dach einen "Verlag der Weltreligionen" gründet, lässt dies nicht nur in der theologischen Welt aufmerken. Noch vor einiger Zeit hätte man das nicht unbedingt erwartet. Denn auch wenn bei Suhrkamp immer religionsphilosophische, religionspsychologische, religionssoziologische und religionshistorische Themen ihren Ort fanden, so stand das wissenschaftliche Verlagsprogramm nicht für eine dezidiert religionsbezogene Forschung, die mit der bleibenden normativen Kraft religiöser Traditionen in einer sich stetig weiter technologisierenden und modernisierenden Gesellschaft rechnete oder gar für diese Kraft plädierte.

Natürlich gab es Ausnahmen. Ausdrücklich erwähnt sei etwa Helmut Peukerts bis heute bedeutende Studie "Wissenschaftstheorie - Handlungstheorie - Fundamentale Theologie", die in der Tradition Walter Benjamins und Max Horkheimers die Grenzen einer sich auf sich selbst beschränkenden, womöglich sogar sich szientistisch-positivistisch verengenden Vernunft aufzeigt und so die bleibende Sinnhaftigkeit des Gottespostulats offenlegt. Nach Peukert kann eine Vernunft, die sich auf das Geschehene ausstreckt und auch die Geschundenen und Gemordeten der Geschichte in ihren Horizont einholt, nicht gleichgültig werden angesichts einer Hoffnung auf Rettung und Gerechtigkeit, wie sie sich im Anschluss an den Exodus-Gott Israels in der Geschichte herausschälte.

Auch die editorischen Großleistungen, durch die die Werke eines Walter Benjamin, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno zugänglich blieben, die religionsphilosophisch und theologisch bis heute nichts an Aktualität verloren haben, sind ein Beispiel dafür, dass das Religionsthema seinen Ort bei Suhrkamp hatte und hat. Auch in zutiefst skeptischer Wendung blieb es gegenwärtig. Nur ein ungenauer, ausschließlich an religiöser Affirmation interessierter Blick konnte das übersehen. Adornos "Negative Dialektik" etwa verweigert zwar alles Affirmative. Aber gerade darin, Gott in einer Radikalität ohnegleichen zu vermissen, sich angesichts des Grauens in der Geschichte jede heitere Affirmation zu verbieten, bleibt dieses Meisterstück entlarvender Philosophie einem zutiefst biblischen Impuls, der zutiefst beunruhigenden Frage verhaftet: Wo ist Gott?

Die Theoretiker des gesellschaftlichen Diskurses der 68er-Zeit waren nicht allesamt blind für die heimlichen Triebfedern der religiösen Frage, der Sehnsucht nach Rettung und Gerechtigkeit. Aber das erschreckende Vermissen Gottes melancholisierte auch viele. Leichtfertig-einfache Antworten verboten sie sich. Nur weil der Mensch diese Sehnsucht in sich hat, müssen Antworten auf sie, die einen Gott dafür herhalten, noch nicht wahr sein. Die europäische Moderne ist immer tiefer von diesem Zweifel durchdrungen worden.


Der Verlag der Weltreligionen als Zeichen der Zeit

Vielleicht stand auch deshalb das Wissenschaftsprogramm von Suhrkamp eher im deutlich religionssoziologischen Erwartungshorizont einer voranschreitenden Säkularisierung. Ein Großteil der Suhrkamp-Autoren hätte sich in den siebziger und noch in den achtziger Jahren wohl vehement gegen die Prognose gewehrt, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts weltweit ein Wiedererstarken religiöser Phänomene zu beobachten sein würde, dass nicht nur einzelne Individuen, sondern kollektiv sich menschliche Sehnsüchte wieder auf religiöse Welt- und Selbstausdeutungsmuster richten könnten.

Wenn Suhrkamp sich nun zu einem solchen Großprojekt, einem "Verlag der Weltreligionen" entscheidet, so darf gefragt werden, ob dahinter nicht eine wandelnde Einschätzung religiöser Phänomene, ihrer Behauptungskraft und damit ihrer Bedeutung für die geisteswissenschaftliche Gegenwartserschließung steht. Ein Verstehen der Zeichen der Zeit, das den Religionsfaktor ausklammert, scheint nicht möglich zu sein. Religiöse Bedürfnisse verklammern sich unausweichlich mit dem Fragen des Menschen nach sich selbst.

Denn um den Hintergrund der Wiederkehr religiöser Sehnsucht verstehen zu können, greift es zu kurz, hierfür erst die Ereignisse beginnend mit dem 11. September 2001 verantwortlich zu machen.

Zwar zeigt sich auch beim Erscheinen der ersten Bände des neuen Verlages bereits, wie stark das in den Religionen schlummernde Gewaltpotenzial, die politische Verzweckbarkeit der religiös Überzeugten durch politische Amokläufer die Diskussionslage dieser Bände zumindest mitbestimmen wird. Und es sind ja nicht nur die historischen Hypotheken der Religionen, die beunruhigen.

Die fundamentalistische Versuchung ist real. Sie ist nicht nur empirisch belegbar durch den manchmal freilich sehr schnell zitierten Vorzeigekandidaten Islamismus, sondern kommt, wie Michael Hochgeschwender (Amerikanische Religion. Evangelikalismus, Pfingstlertum und Fundamentalismus, Verlag der Weltreligionen [VdWR], Frankfurt 2007) erschreckend zeigt, etwa in den USA auch als Massenphänomen vor. Dabei stimmen, so differenziert fundamentalistisch-evangelikale Phänomene im Einzelnen auch zu betrachten sein mögen, sie in einem überein: Unübersichtlichkeit wird auf Übersichtlichkeit reduziert. Durch die eigene, göttlich abgesicherte Überzeugung wird Unübersichtlichkeit in eine einfache Sicht der Wirklichkeit zusammengefasst. Von hier aus bis zu einer Politik, die paradiesische Zustände schafft, ist es dann nicht mehr weit.

Weil für Fundamentalisten eben "das Persönliche das Politische und umgekehrt" (16) ist, lassen sie sich so schwer auf Grundregeln einer demokratisch verfassten, mehrheitsverantworteten Gemeinschaft verpflichten. Um der immer wieder neu aufkeimenden fundamentalistischen Versuchung nicht zu erliegen, sind religiöse Überzeugungen dem Geschäft diskursiver Kritik auszusetzen. Ein Gemeinwesen, das in Freiheitsprinzipien gründet, wird deshalb auch Institutionen pflegen, die diese fördern.

Allerdings werden wohl auch die Spannungen bleiben. Religiöse Überzeugungen sind, wenn sie nicht nur spielerisch sind, empfindlich. Dies zeigt sich spätestens dann, wenn sie karikiert werden. Freilich muss klar bleiben: Bei aller Sorge um die Persönlichkeitsrechte der Einzelnen kann ein säkularer Staat "Gotteslästerung" nun nicht wieder "als Delikt neu auf die Tagesordnung stellen" (Jean-Pierre Wils, Gotteslästerung, VdWR, 201), auch wenn sich Einzelne oder gar Gruppen in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlen. Religiöse Streitigkeiten gilt es zu rationalisieren, was jedoch nicht bedeutet, dass religiösen Wahrheitsansprüchen grundsätzlich ihre rationale Möglichkeit abgesprochen werden muss.


Religiosität als Wohlgefühl

Auf europäische Kontexte und auch auf Deutschland bezogen ist der Trend zu einer politikfernen Patchworkreligiosität indessen deutlich verbreiteter. Auch hier ist Diskursivität allerdings nicht gerade ein Markenzeichen. Religion soll einfach sein, im besten Fall Entlastung vom Alltag schaffen.

Die relative Gelassenheit, mit der in Talkshows über eigene religiöse Befindlichkeiten gesprochen wird, weckt allerdings auch den Eindruck einer seltsamen Beliebigkeit. Der Erfolg von Hape Kerkelings "Ich bin dann mal weg", inzwischen über zwei Millionen Mal verkauft, erklärt sich nur deshalb, weil Kerkeling den Nerv der Zeit trifft. Eine unbestimmte, auch seltsam wenig anspruchsvolle Sehnsucht nach Religion - da muss es doch noch etwas mehr geben als die Hektik des Alltags - sucht sich ihren heiteren Event. Man pilgert den Jakobsweg und legt, so Kerkeling, seine eigene religiöse Überzeugung als Mischung aus Buddhismus und christlichem Unterbau aus (vgl. ds. Heft, 44f.).

Es wird zusammengestrickt, was gefällt, im Theorieanspruch hält man sich merklich zurück. Gute Religion hat der Seele gut zu tun, mehr nicht. Religiosität wird zum Trend, Pilgern zur Trendsportart, aber eben in der angedeuteten synkretistischen, selbstgestrickten und selbstgenügsam behaupteten Art. Und weil diese immer ironisch gebrochen ist, man sich selbst nicht ganz so ernst nimmt, weil man sich nicht ernst nehmen darf, da die durch zivilisatorische Errungenschaften selbstverständlich gut eingebettete religiöse Abenteuerlust dann sauer aufstößt, ist sie auch gesellschaftlich völlig belanglos. Die Eventreligiosität der Gegenwart folgt dem "Wie es Euch gefällt", man stößt sich nicht an ihr.


Ein extrem integrationsfähiger Religionsbegriff

Gegenstimmen haben es schwer, aber auch sie gibt es. Wer noch leiden kann, wird sich nicht abfinden können mit diesen Trends: mit der um sich greifenden Politikunwilligkeit oder der allerorten spürbaren Resignation, politisch und gesellschaftlich kaum etwas ändern, geschweige denn kreativ in die Zukunft entwickeln zu können; damit dass Religion, eine ausschließlich nach innen gekehrte Spiritualität, die Restunruhe beruhigt, im Jargon der Eigentlichkeit die Weltabstinenz rühmt oder gar die psychischen Ressourcen erzeugt, die den Protagonisten des modernen survival einen Fitnessvorteil bietet.

Wer sich hier innerlich wehrt, dem sitzt noch der Gerechtigkeitsimperativ des Exodus-Gottes im Fleisch. Oder aber er hadert deshalb mit all diesen weichgespülten Wohlfühlreligiositäten, weil das Bewusstsein dafür noch da ist, dass sich in dem Wort Gott einst die ganze Hoffnung des Menschen nach einem Sinn zusammenfasste, der über das Menschenmögliche hinausreicht.

Herbert Schnädelbach hat kürzlich an dieses unabgegoltene Erbe der religiösen Frage erinnert. Auch wenn es nicht mehr lebbar sei, so könne das kindliche "Bedürfnis nach Geborgenheit im Glauben an einen Vater im Himmel" nicht ganz zum Schweigen gebracht werden. Angesichts so mancher "religiöser" Phänomene wird man Schnädelbach nur zustimmen können, der hier nichts anderes als "intellektuelle Regression" vermutet. (Der fromme Atheist, in: Neue Rundschau 118/2007, Heft 2, 114).

Angesichts so mancher Religionsphänomene mag man sich erstaunt die Augen reiben, man kann aber auch zunächst einmal nüchtern bilanzieren. Die Palette der Religionsphänomene weist auf ein Gemeinsames hin, nämlich dass das religiöse Bedürfnis dem Menschen mitgegeben zu sein scheint. Womöglich ist es das Unglück des Menschen schlechthin, dass er, kaum zu Verstand gekommen, sich unausweichlich der Frage nach einem letzten Horizont stellen muss und in vernunftüberfordernde Entscheidungen gedrückt ist.

Dass aber der Mensch sich überhaupt der Frage nach einem letzten Horizont seiner Herkunft und seiner möglichen Zukunft zu stellen hat, ist ihm in die Wiege gelegt. In einer globalisierten Welt ist dies notwendig komplexer. Ob der Mensch will oder nicht, er muss sich in einem umfassenden Horizont, andere Selbstverständnisse und Kulturleistungen einschließend, verstehen lernen. Auch noch die Verweigerung, dieses zu tun, verweist auf die prinzipielle Möglichkeit. Religion avanciert so zu dem integrativen Diskurs, der alle anderen Diskurse des Erklärens und Verstehens in sich aufnimmt.

In der Definition von Michael von Brück stellt der kulturelle Diskurs der Religion "die Gesamtheit menschlicher Kulturleistungen in einen Erwartungsrahmen des Letztgültigen" (Einführung in den Buddhismus, VdWR, 12). In diesem Verständnis ist eine die kulturellen Religionsdiskurse erfassende Religionswissenschaft weit mehr als nur an einem positivistischen Wissenschaftsideal orientierte Deskription von religiösen Phänomenen. Ein solcher Empirismus wäre auch wissenschaftstheoretisch naiv. In jedes Verstehen geht vielmehr das normative Selbstverstehen des Verstehenden ein und damit auch die kollektiv sich ausbreitenden religiösen Verstehensmuster.

Sind solche normativen Fragen aber überhaupt gewollt? Es wird abzuwarten bleiben, welche normative Behandlung religiöse Phänomene in diesem gigantischen Projekt einer enzyklopädischen Weltreligiosität erfahren werden. Dabei wird vor allem eine Rolle spielen, wie sich - neben den Editionen und Einführungsbänden findet sich auch eine Reihe mit Essays- und Studienbänden - die Essayisten positionieren. Denn der von Michael von Brück eingebrachte Religionsbegriff ist extrem integrationsfähig; er vermag problemlos Religionen ohne Gott, polytheistische Götterszenarien und Offenbarungsreligionen in sich aufzunehmen.


Pfingsten bei Sloterdijk - ganz diesseitig

Bezeichnend hierfür ist das Resümee von Peter Sloterdijk (Gottes Eiferer. Vom Kampf der drei Monotheismen, VdWR), der es, wie immer artistisch vorgetragen, bei allem rhetorischen Spieldrang an normativem Einschätzungswillen nicht fehlen lässt. "Globalisierung" heiße: "Das jüngste Gericht mündet in die alltägliche Arbeit." Und das Buch schließt: "Ich wiederhole es wie ein Credo und wünsche ihm die Kraft, sich mit Feuerzungen zu verbreiten: Der zivilisatorische Weg ist allein noch offen." (217f.)

Dieses Credo verfasst sich als Magna Charta einer "renovierte(n) Religionskritik". Sie knüpfe "bei den Konzepten der Allgemeinen Kulturtheorie an, die nach den Bedingungen fragt, unter denen kulturelle Programme in einer gegebenen Population horizontale Kohärenz, vertikale Überlieferungsfähigkeit und personale Verinnerlichung erreichen" (28).

Auch für Sloterdijk verspricht die allgemeine Kulturtheorie Entlastung. Allein die Entlarvung der Mechanismen, unter denen sich die monotheistischen Religionen entwickeln, die sich in ihrer Herkunft und ihrem lebensnormierenden Potenzial einem Adressaten von außen, sprich Gott, verdanken, wirkt befriedend. Der Heilige Geist ist menschlich geworden, sich selbst zugeschickt und feiert seine Inkarnation in der Allgemeinen Kulturtheorie.

So richtig verbergen lässt sich der Hegelsche Aufhebungsgestus der Sloterdijkschen Analysen und Empfehlungen für eine zivilere Zukunft nicht. Wobei es Sloterdijk konzeptionell nicht mit Hegel hält, der meinte, die menschliche Vernunft allein aus einem Begriff von einem Absoluten heraus einsichtig machen zu können, dass sich die gesamte religiöse, kulturell-ästhetische und gesellschaftlich-politische Phänomenwelt als notwendige Selbstwerdungsmomente dieses Absoluten begreifen lasse.


Der Religionsdiskurs kann ohne die Frage nach Wahrheit nicht auskommen

Nicht zu vergessen ist hierbei Sloterdijks Rede zum 100. Geburtstag Friedrich Nietzsches, die durch und durch von diesem vornehmen Ton in der Philosophie widerhallt, der merkwürdig metaphysisch klingt und sich selbst nicht mehr prüft, ob er möglich ist oder doch zumindest andere Tonlagen offenhalten müsste. Wohl kaum zufällig hat Sloterdijk keinen anderen als Friedrich Nietzsche "als Trend-Designer des Individualismus" gerühmt und in diesem Sinn von seiner Philosophie als von einem "großen Wurf" gesprochen ("Über die Verbesserung der guten Nachricht". Nietzsches fünftes "Evangelium", Frankfurt 2001, Zitat 61).

Der in der reinen Diesseitigkeit mündende, mit sich frei experimentierende Individualismus muss sich fragen lassen, wie ernst er die Wahrheitsansprüche religiöser Deutungsmuster überhaupt nimmt oder ob er nicht selbst bereits wieder Weltgeist spielt, dieses Mal in biopolitisch aufgeregter Zukunftsmanier. Der Kampf, so Sloterdijk, gehe darum, "wie jeweils innerhalb der zum Eifern disponierten Religionen - und der wütenden Ideologien, die auf die universalistischen Religionen folgten - die Kontrolle der extremistischen Potenziale sicherzustellen wäre" (152).

Aber ist nicht auch die Philosophie einer strengen Diesseitigkeit kontrollbedürftig? Müssten nicht Kriterien benannt und in ihrer universalen Gültigkeit ausgewiesen werden, die den Individualismus davor gefeit sein lassen, maßstabslos zu werden? Extremistische Potenziale gibt es auch nachreligiös, wobei Sloterdijk - und dies völlig zu Recht - auch die nachreligiösen "Religionen", die Totalitarismen im Auge hält.

Aber es gibt eben auch eine nachreligiöse, präziser: nachmonotheistische Pluralitätsforderung, die sich erstaunlich selbstverständlich am monotheistischen Prinzip orientiert und eifert. Nietzsche wollte etwas, und Sloterdijk unverkennbar auch. Ein Gott, eine Wahrheit, wie sollte dies auch anders für das vernunftbegabte Tier Mensch sein. Nur dass das neue Prinzip nicht mehr die eine, absolute Wahrheit, Gott, kennt, sondern alles zum Design erklärt, in das zweckfreie Spiel aufheben will und dies zur alles umfassenden Wahrheit erhebt. Erst wenn auch diese Metawahrheit angezweifelt wird, ist der Religionsdiskurs, der ohne die Frage nach Wahrheit nicht auskommen kann, ohne sich selbst aufzuheben, eröffnet.

Ein Verlag, der dies wollte, gäbe ein wirkliches Zeichen der Zeit. Aber dazu müsste eben die philosophische Hybris, auch die menschliche Sehnsuchtsdemontage entlarvt werden, die in der selbstgewissen Reduktion religiöser monotheistischer Traditionen auf kollektive psychische Muster steckt. Selbst wenn das lähmende Gefühl seit Nietzsche vorherrscht, dass Gott tot sein könnte, die Kirchen nur die Grabmäler Gottes sind, so muss Gott nicht tot sein.

Vor allem aber ist es menschlich abschätzig, die Sehnsüchte zu verschweigen, die sich in diesen Traditionen aussprachen. Selbst wenn kein Gott existieren sollte, der die Gepeinigten rettet, ist es immer noch zutiefst menschlich, auf einen solchen Gott zu hoffen. Um diese Sehnsucht dimensionieren zu können, bedarf es freilich eines ambitionierteren Begriffs vom Menschen, der danach fragt, was noch alles sein könnte - der Begriff einer unendlichen Hoffnung.


Ein Verlag der Weltreligionen als Chance?

Die Schriften der großen religiösen Welttraditionen und deren Auslegungstraditionen der Öffentlichkeit zu erschließen, ist zweifelsohne enorm verdienstvoll. Weder ein Verstehen der Vergangenheit noch ein Verstehen der Gegenwart und deren Bewältigung sind möglich ohne eine präzise Kenntnis religiöser Traditionen. Man muss nicht der These vom Clash of civilizations (Samuel Huntington) anhängen, um die enorme Bedeutung zu akzeptieren, die religiöse Traditionen, deren Rituale, Normen, Organisationsformen auf Kultur, Politik und Gesellschaft, vor allem aber auch auf das Leben der Einzelnen bis heute ausüben. Selbst da, wo sie in ihrem Wahrheitsanspruch längst abgelehnt sind, prägen sie weiter. Auch säkulare Kontexte sind nicht einfach religionslos. Wer darauf besteht, rüttelt keineswegs schon an der Legitimität der Neuzeit.

Zu einem ernsthaften Anwalt der religiösen Frage wird der Verlag der Weltreligionen erst dann, wenn er nicht nur gegen fundamentalistische Strömungen, sondern auch gegen die pilgernden Trendsetter von heute, die vor lauter Sattsein nur mal weg sein wollen und deren größtes Leiden das Leiden an den Fußblasen ist, eine Plattform bietet, auf der die Frage: Was ist der Mensch? nicht nur mit historisch-philologischem Eifer, sondern mit der Sehnsucht nach Antwort debattiert wird. Wenn also im Verlag der Weltreligionen nicht nur die Ausstellungsstücke für ein zukünftiges Museum vergangener Hoffnungen beziehungsweise religiöser Selbstverortungen im Gesamt des Kosmos vorbereitet werden sollen, sondern er in den Religionsdiskurs einlädt. Die ersten Bände sind in der Kombination vielversprechend. Die Essays sind provokant. Die Texteditionen bieten Texte in begleitender Kommentierung.

Theologisch ist diese Verlagsneugründung mit ihrem programmatischen Anspruch eines Verlages der Weltreligionen von einer unerahnten anderen Chance. Die interreligiöse Wahrnehmung wird durch sie befruchtet werden, auch wenn man immer Desiderate anmelden kann. Zunächst einmal ist das in einem eigenen Almanach benannte Programm aber signifikant für die Verschiebung der religiösen Großwetterlage in Deutschland. Auf zwei Indizien hierfür sei hingewiesen, die zugleich zeigen, dass die christliche Theologie aufgefordert ist, Stellung zu beziehen und dabei ihre eigenen Begriffe zu bedenken.

Der europäische, maßgeblich von jüdisch-christlichen Traditionen gelenkte Blick auf das Phänomen des Religiösen ist in der Programmgestaltung nicht mehr leitend. Das Editionsprogramm weist diesen Traditionen nur noch eine Stimme in der Pluralität der religiösen Stimmen zu. Liest man ein solches Programm einmal unter dem Gesichtspunkt ökonomischer Erwartungen, dann ist es zum einen das religiös Fremde, auf das gesetzt wird, und zum anderen das, was unter dem extrem weitläufigen und flexiblen Begriff der Mystik gefasst wird.

Rein quantitativ betrachtet spielen Texte der christlichen Glaubensüberlieferung jedenfalls nur eine nebengeordnete Rolle. Man kann natürlich sagen, dass dies bei einem deutschen Verlag der Weltreligionen auch nicht überraschen kann. Schließlich gibt es im deutschen Sprachraum immer noch eine große Verlagstradition, die christlich-theologische Literatur in historischen Ausgaben und Neuansätzen vorhält.

Der eigentliche Grund für diese globale Orientierung dürfte indessen woanders liegen, was wiederum ein signifikantes Licht auf die religiöse Situation hierzulande wirft. Zunächst befriedigt sich die globalisierte Reiselust westlicher Menschen längst auch religiös global, experimentiert vor Ort und in Bücherlandschaften mit Möglichkeiten und Zielen. Dass das Fremde eine natürliche Attraktion ausübt, ist nicht neu. Die selbstverständlich unterstellte Echtheitsevidenz indisch-asiatischer Religionen erklärt das aber noch nicht allein.

Als Motiv kommt Kirchendistanz hinzu, gepaart mit einem tiefen Unbehagen an der Existenz eines persönlichen, allmächtigen Gottes. Die biblische Frage: Wo ist Gott?, das Problem der Theodizee stürzt den Theismus seit Jahrhunderten von Krise zu Krise. Wie häufig diagnostisch treffsicher hat Jacobi bereits im 19. Jahrhundert den Alleinheitsdenker Spinoza für die Frömmigkeit seines Atheismus gelobt. Atheismus meint für Jacobi aber gerade die Leugnung des personalen Gottes. Bestätigt die verbreitete Sehnsucht nach einer Spiritualität aus dem Geiste Indiens vielleicht nur die Irritation dieses Gottes? Ob die Theologie diese Irritation schon angemessen in sich aufgenommen hat, kann hier nicht diskutiert werden. Sie kann die Sehnsucht nach Indien aber als Mahnung nehmen, sich nicht zu drücken, aber eben auch kraftvoll den Gott zu denken, der die Bitte des Menschen hören kann. Der Gebetsglaube Jesu ist an einen solchen Gott gebunden.

Die sich hier zeigende Pluralität religiöser Selbstverständnisse markiert, wie dringlich die religionstheologische Frage ist. Ein Glaube wie der christliche, der von seiner universalen Bedeutung überzeugt ist, muss sich fragen, warum überhaupt es zu dieser Pluralität kommen konnte. Sollte dies die Konsequenz einer von Gott in der einen Evolution des Lebendigen gewollten offenen Geschichte sein, damit er sich würde offenbaren können? Muss vielleicht auch noch die religiöse Konfliktgeschichte als Folge der Risikobereitschaft Gottes interpretiert werden, einen Großteil der Menschheit nicht in der Bestimmtheit erreichen zu können, mit der er in seiner singulären Menschwerdung Menschen von sich überzeugen wollte und konnte?


Magnus Striet (geb. 1964) wurde 2001 in Münster habilitiert und ist seit 2004 Professor für Fundamentaltheologie an der Universität Freiburg. Arbeitsschwerpunkte: Gotteslehre, Theodizee und Eschatologie, Fragen einer theologischen Anthropologie.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
62. Jahrgang, Heft 1, Januar 2008, S. 11-15
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2008