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BERICHT/109: Religiosität in Deutschland (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 10/2009

Religiosität in Deutschland
Was leistet der "Religionsmonitor" der Bertelsmann Stiftung?

Von Martin Rieger


Die Bertelsmann Stiftung hat mit dem "Religionsmonitor" ein neues religionssoziologisches Messinstrument entwickelt. Was zeichnet es aus, was sind die ersten Ergebnisse und welche Schlüsse können die Kirchen aus diesen ziehen?


*


Wie hältst Du es mit der Religion? Die Gretchenfrage hat nichts an Aktualität eingebüßt. Im Gegenteil. Spätestens seit dem häufig diskutierten Dialog zwischen dem seinerzeitigen Kardinal Joseph Ratzinger und Jürgen Habermas lässt sich eine neue wissenschaftliche Diskursfreude über die Bedeutung und die Rolle von Religion in (post-)modernen Gesellschaften vernehmen. Und auch die Präsenz religiöser Themen in den Medien ist ein deutlicher Indikator für die öffentliche und wohl auch politische Relevanz von Religiosität.

Schon länger wird über die "Renaissance der Religion" (Hans Joas), über die "unsichtbare Religion" (Thomas Luckmann) oder über "Religionskomponisten" (Paul M. Zulehner) reflektiert. Die vergangenen Jahrzehnte waren geprägt von vielfältigen religiösen Migrationsbewegungen innerhalb unserer Gesellschaft. Scheinbar lässt sich eine deutliche Abkehr von institutionalisierter Religiosität hin zu neuen Formen religiöser Praxis erkennen. Religiöse Individualisierung und Privatisierung erschweren die Vergleichbarkeit zwischen den Religionen und religiösen Konstrukten.


Inhalte und Intensität religiöser Einstellungen

Aber was glauben eigentlich die "Gläubigen"? Welche Gefühle werden mit Gott empfunden? In welcher Intensität sind religiöse Dimensionen ausgeprägt? Wie lässt sich eine Religiosität beschreiben und vergleichen - innerhalb und außerhalb einer institutionellen Verfasstheit?

Diesen Fragen widmet sich die Bertelsmann Stiftung seit 2007 durch den "Religionsmonitor", ein Messinstrument, das rund 100 Fragen umfasst. Der Religionsmonitor berücksichtigt soziologische, theologische, religionswissenschaftliche und psychologische Aspekte. Zugrunde liegt ihm ein substantieller Religionsbegriff, der als wesentliches Merkmal den Transzendenzbezug hat. Der Religionsmonitor wurde als internationale und repräsentative Umfrage im Sommer 2007 in 21 Ländern auf allen Kontinenten durchgeführt (ein großer Teil der international gestellten Fragen lässt sich im Internet unter www.religionsmonitor.com selbst beantworten). Dabei wurden alle Weltreligionen berücksichtigt. In Deutschland wurden zusätzlich Tiefeninterviews geführt. Im Sommer 2008 wurden zusätzlich die Muslime in Deutschland zu ihrer Religiosität befragt (vgl. Religionsmonitor 2008. Muslimische Religiosität in Deutschland).

Eine angemessene Analyse des religiösen Feldes konnte wegen der Heterogenität religiöser Einstellungen und Praktiken nur gelingen, weil sowohl theistische als auch pantheistische Spiritualitätsmuster berücksichtigt wurden. Erst diese Breite der Erfassung von Religiosität ermöglichte einen tiefen Vergleich der verschiedenen Religionsformen. Das galt gleichermaßen für institutionell verfasste und für frei schwebende ("Patchwork"-) Religiosität.


SCHEMA ZUM AUFBAU DES RELIGIONSMONITORS
Soziologie
Theologie
Psychologie
Allgemeine Intensität


Spezifische Themen



     Intellekt



K    Ideologie (Glaube)
E
R
N
D
I    Öffentliche Praxis
M
E
N    Private Praxis
S
I    Erfahrung
O
N    Konsequenzen
E
N


Interesse an religiösen Themen



Glaube an Gott oder etwas Göttliches
Glaube an ein Leben nach dem Tod



Gottesdienst, Gemeinschaftsgebet,
Tempelbesuch

Gebet - Meditation

Du-Erfahrung - Einheits-Erfahrung

Allgemeine Alltagsrelevanz der
Religion



Religiöse Reflexivität;
Religiöse Suche; Theodizee;
Spirituelle und relig. Bücher

Gottesbilder; Weltbilder;
Relig. Pluralismus; Relig.
Fundamentalismus; sonstige
religiöse Vorstellungen

Interreligiöse Praxis


Pflichtgebet; Hausaltar

Religiöse Gefühle

Relevanz der Religion in
verschiedenen Lebensbereichen
(z.B. Familie, Politik);
religiöse Gebote
Zentralität


Nicht-religiös
Religiös
Hoch-religiös
Religiöses und spirituelles
Selbstkonzept

Bertelsmann Stiftung


Eine Besonderheit des Religionsmonitors besteht darin, dass er über die religiöse Selbsteinschätzung der Befragten weit hinausgeht. Er stellt also nicht nur dar, für wie religiös sich die einzelnen Befragten halten. Dieses religiöse Selbstbild der Befragten ist stark kulturabhängig oder von autobiographischen Erfahrungen geprägt. Beispielsweise gehört es in manchen Gesellschaften "zum guten Ton", sich selbst als religiös zu titulieren. In anderen Gesellschaften wiederum wird unter "religiös" häufig "kirchlich aktiv" oder ähnliches verstanden. Die Befragten bejahen oder verneinen ihre persönliche Religiosität häufig in Relation zum gesellschaftlich dominanten, in Deutschland oft kirchlich geprägten Code. Sie ordnen die allgemeine Frage zur Religiosität also in ein Bezugssystem ein, das aus der tatsächlichen oder vermeintlichen Kenntnis religiöser Vielfalt erwächst.

Dagegen möchte der Religionsmonitor helfen, tiefer zu sehen. Er ist ein Beitrag zu einer besseren Objektivierung der Beschreibung von Religiosität. Neben dem höchst subjektiven Charakter des religiösen Selbstbildes versucht er vielmehr den objektiveren Charakter der tatsächlich vorhandenen religiösen Einstellung und Praxis abzubilden. Er berücksichtigt nicht nur exogene Faktoren, wie zum Beispiel die öffentliche religiöse Praxis, sondern auch endogene, wie etwa die Einstellungen zu religiösen Praktiken oder aber persönliche religiöse Erfahrungen.

Der Religionsmonitor unterscheidet einerseits zwischen den Inhalten der Religiosität und andererseits zwischen der jeweiligen Intensität der religiösen Einstellungen und Praxis. Daher erfragen sechs religionssoziologisch definierte Kerndimensionen (vgl. die Arbeiten des amerikanischen Soziologen Charles Glock) die Vielfalt religiöser Praktiken: Die intellektuelle Kerndimension berücksichtigt unter anderem Fragen zur religiösen Suche und Reflexivität oder das Interesse an spirituellen Büchern. Den Glauben an Gott oder an ein Leben nach dem Tod nimmt die ideologische Kerndimension in den Blick. So lässt sich der religiöse Pluralismus mit den verschiedenen Gottesbildern und Weltbildern darstellen. Die Bedeutung des Gottesdienstes erfasst die Kerndimension "öffentliche Praxis". Über die Ausprägung von Gebet und Meditation gibt die Kerndimension "private Praxis" Auskunft.


Weil Religiosität aber weit über den kognitiven und exogenen Bereich hinausgeht, widmen sich die Fragen der Kerndimension "Erfahrung" der religiösen Gefühlswelt. Schließlich wird die allgemeine Alltagsrelevanz der Religion für elf Lebensbereiche in der Kerndimension "Konsequenzen" aufgezeigt. Diese sechs Kerndimensionen kommen in allen religiösen Kulturen vor. Deshalb bilden sie eine gute Basis für den Religionsmonitor als betont internationales und interreligiöses Erhebungsinstrument.

Die sechs Kerndimensionen können in einer Persönlichkeit äußerst unterschiedlich akzentuiert sein. Beispielsweise lässt sich von einem regelmäßigen Gottesdienstbesuch keineswegs auf eine gleichermaßen intensive private Praxis schließen oder umgekehrt. Es gibt also keine notwendigerweise existierende Interdependenz der verschiedenen Kerndimensionen in den Individuen. Vielmehr ist es für eine differenzierte Betrachtung von Religiosität notwendig, die Ausprägung der einzelnen Kerndimensionen zunächst getrennt zu betrachten.

In einem nächsten Schritt kann der Religionsmonitor zwischen der eigentlichen Präsenz von Religiosität im Individuum und den Konsequenzen für den Alltag unterscheiden. Die Ausprägung der intellektuellen und ideologischen Kerndimensionen, der öffentlichen und privaten Praxis und der Erfahrungsdimension zeigen die Einstellung, die Präsenz des Religiösen in der konkreten Persönlichkeitsstruktur. Die Antworten auf die Fragen der sechsten Kerndimension (Konsequenzen für den Alltag) zeigen dagegen die soziale Relevanz der persönlichen Religiosität.


Welche Konsequenzen hat Religiosität für den Alltag?

Als religionspsychologisches Messinstrument und zugleich als Novum erweist sich der Religionsmonitor spätestens darin, dass er die Verankerung des Religiösen in der Persönlichkeitsstruktur aufzeigt. Dazu werden die Ergebnisse der ersten fünf, sozusagen intrinsischen Kerndimensionen in einem Zentralitätsindex verdichtet. Die Kategorie der Zentralität beschreibt die Stärke der Religiosität beziehungsweise die Intensität ihrer Präsenz in der Persönlichkeit. Je zentraler Religiosität für einen Menschen ist, desto stärker bestimmt sie sein Erleben und Verhalten. So ermöglicht der Zentralitätsindex eine Kategorisierung in so genannte Hochreligiöse, Religiöse und Nichtreligiöse (vgl. Stefan Huber, Der Religionsmonitor 2008. Strukturierende Prinzipien, operationale Konstrukte, Auswertungsstrategien, in: Woran glaubt die Welt? Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2009, 17ff.).


Für die Gruppe der Hochreligiösen ist Religiosität der bestimmende Faktor für den persönlichen Alltag. Ihr Erleben und Verhalten ist häufig religiös bestimmt. Die Religiosität bildet sozusagen das Koordinatensystem des persönlichen Lebens. Dagegen konnte bei den Nichtreligiösen nur eine marginale religiöse Einstellung und Praxis festgestellt werden.

Das Mittelfeld zwischen Hochreligiösen und Nichtreligiösen bildet die Gruppe der Religiösen. Diese sind für religiöse Inhalte ansprechbar und praktizieren auch mehr oder weniger eine persönliche Religiosität. Allerdings hat für die Religiösen ihre Religiosität keine gleichermaßen intensive Relevanz für die Persönlichkeitsstruktur wie etwa für die Hochreligiösen. Huber beschreibt die Religiösen als resonanzfähig hinsichtlich religiöser Semantiken. Jedoch hätten religiöse Diskurse eher den Charakter einer Hintergrundmusik. Auf dieser Basis sei die Gruppe der Religiösen gleichwohl religionspolitisch "mobilisierbar" (vgl. Huber, 69).


Was sind nun die Ergebnisse des Religionsmonitors, vor allem mit Blick auf Deutschland? Der Religionsmonitor konnte feststellen, dass 70 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung über 18 Jahren religiöse Menschen sind (52 Prozent religiös, 18 Prozent sogar hochreligiös). Es kann also davon ausgegangen werden, dass in Deutschland insgesamt mindestens 15 Millionen hochreligiöse Menschen leben. Wie erwartet lassen sich große Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland feststellen. Rund 80 Prozent der Westdeutschen, aber nur ein gutes Drittel der Ostdeutschen können als religiös bezeichnet werden.

Auffällig ist aber die Ausprägung der intellektuellen Dimension von Religiosität in Ostdeutschland. Rund die Hälfte der Ostdeutschen hat Interesse an religiösen Themen und Fragen. Zu Recht weist Matthias Petzoldt aber darauf hin, dass eine Offenheit religiösen Themen gegenüber nicht zugleich bedeutet, sich auf spirituelle Angebote einzulassen oder von religiösen Inhalten überzeugt zu sein. Sobald nämlich in der intellektuellen Dimension der Religiosität eine persönliche Motivation ins Spiel kommt, lassen sich nur noch 26 Prozent ("mittel" bis "hoch") von religiösen Themen bewegen (vgl. Zur religiösen Lage im Osten Deutschlands. Sozialwissenschaftliche und theologische Interpretationen, in: Woran glaubt die Welt?, 132).


Deutschland ist kein atheistisches Land

Auch der Vergleich zwischen den großen christlichen Konfessionen zeigt deutliche Unterschiede hinsichtlich der Intensität von Religiosität. Zwar sind jeweils rund 80 Prozent der Kirchenmitglieder religiös. Von den evangelischen Christen in Deutschland können jedoch nur 14 Prozent als hochreligiös bezeichnet werden. Bei den Katholiken sind es 27 Prozent. Weltweit betrachtet relativiert sich jedoch dieser konfessionelle Unterschied. Beispielsweise können in den USA zwar über 70 Prozent der Katholiken als hochreligiös tituliert werden, bei den evangelischen Christen sind es aber 84 Prozent.

Sehr differenziert sollte auch der Zusammenhang von Kirchenmitgliedschaft und tatsächlicher Religiosität betrachtet werden. Denn mindestens 15 Prozent der Kirchenmitglieder in Deutschland sind nicht religiös. Und ein Drittel der Konfessionslosen sind religiös. Auch sagen immerhin 25 Prozent der Konfessionslosen, nach religiösen Geboten zu leben.


Eine religionspsychologische Theorie besagt, dass es eine geschlechtsspezifische religiöse Prägung der Kinder gibt. Es wird davon ausgegangen, dass meistens die Mutter die Religiosität der Tochter prägt und der Vater die des Sohnes. Weil es dazu aber keine validen empirischen Daten gibt, wird dieser Zusammenhang im Online-Tool des Religionsmonitors erfragt. Eine erste Auswertung der Befunde von mehreren 10000 Nutzern wird im Dezember 2009 erste verlässliche Ergebnisse aufzeigen. Fest steht schon heute, dass es große Unterschiede in der religiösen Praxis zwischen Frauen und Männern gibt. Zwei Drittel der Männer in Deutschland sind religiös, aber drei Viertel der Frauen. Auch haben Frauen wesentlich häufiger das Gefühl, dass Gott in das eigene Leben eingreift, und sie beten häufiger. Wenig überrascht es dann, dass für die Hälfte der Frauen der Gottesdienst prinzipiell wichtig ist, das aber nur für 37 Prozent der Männer gilt.

Jedenfalls ist Deutschland kein atheistisches Land. Denn 64 Prozent der Deutschen sind mittelmäßig, ziemlich oder sehr davon überzeugt, dass es ein göttliches Wesen gibt. 44 Prozent sind sogar ziemlich oder sehr von der Existenz Gottes überzeugt. Gerade einmal 19 Prozent sagen, dass sie gar nicht an Gott oder etwas Göttliches glauben. Junge sind dabei nicht weniger gottgläubig als die Älteren: Es lassen sich keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Altersgruppen feststellen. Als "ungläubigste Altersgruppe" zeigen sich die 40- bis 50-Jährigen. Dort sagt jeder Vierte, dass er gar nicht an Gott glaube.

Auch bei der konkreten Gottesfrage zeigen sich große Diskrepanzen im Antwortverhalten zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland. Nur 11 Prozent der Westdeutschen sagen von sich, gar nicht an ein transzendentes Wesen zu glauben. In Ostdeutschland ist es jeder Zweite. Werden die konfessionellen Orientierungen in den Blick genommen, so fällt auf, dass 94 Prozent der Katholiken und 90 Prozent der Evangelischen in Deutschland mindestens etwas von der Existenz Gottes überzeugt sind. 80 Prozent der katholischen Christen halten das sogar für mittelmäßig, ziemlich oder sehr wahrscheinlich. Bei den evangelischen Christen trifft das auf 71 Prozent zu. Interessant ist, dass zwar 54 Prozent der Konfessionslosen gar nicht an die Existenz eines Gottes glauben, jeder Vierte das aber für mittelmäßig bis sehr wahrscheinlich hält.


Doch wie stellen sich die Menschen Gott vor oder welche Gefühle werden mit einem göttlichen Wesen in Verbindung gebracht? Wird Gott eher als ein numinoses, unbekanntes Wesen angesehen - weit entfernt und enthoben vom persönlichen Alltag? Rund die Hälfte der Deutschen berichten von der Erfahrung, dass Gott oder etwas Göttliches ihnen etwas sagen oder zeigen will oder in das persönliche Leben eingreift.

Aufschlussreich ist auch der Blick auf die religiösen Gefühle. Was also empfinden die religiösen Menschen, wenn sie an Gott denken? Vorherrschend ist ein positives Gottesbild: Dankbarkeit, Hoffnung, Liebe und Freude sind die meistgenannten Begriffe. Dagegen werden am seltensten die Begriffe Zorn, Befreiung von einer bösen Macht, Verzweiflung oder Angst mit Gott verbunden. Wer an Gott glaubt, glaubt an einen guten Gott.

Gespalten ist unser Land hinsichtlich des Glaubens an einen Gott, der sich mit jedem Menschen persönlich befasst - immerhin eine Grundüberzeugung nicht nur des Christentums. Gerade einmal 37 Prozent stimmen dieser Aussage zu. Jedoch halten das 41 Prozent für unwahrscheinlich und immerhin jeder Fünfte hat dazu keine feste Meinung. Angesichts der rund 6,5 Milliarden Menschen, die augenblicklich auf unserer Erde leben, sowie der Menschen, die bereits gelebt haben, scheint es für viele offensichtlich unglaublich zu sein, dass Gott sich mit jedem Einzelnen befasst. Spannend schiene in diesem Kontext wohl eine Diskussion, ob Gott dabei zu klein gedacht oder der Mensch für zu unbedeutend gehalten wird.

Immerhin sind über die Hälfte der religiösen Menschen in Deutschland davon überzeugt, dass die Menschen zu Gott sprechen können; nur 16 Prozent teilen diese Ansicht überhaupt nicht.


Keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Altersgruppen

Interessant ist gewiss auch der Altersgruppenvergleich. Betrachtet man zunächst den gesamten Bereich der Religiosität, so zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen denen, die älter als 60 Jahre sind, und den anderen Altersgruppen. Drei Viertel jener Generationen sind religiös oder sogar hochreligiös (28 Prozent). Dagegen können in den anderen Altersgruppen knapp ein Drittel sogar als nichtreligiös kategorisiert werden. Zwar bietet der Religionsmonitor nur eine Bestandsaufnahme, weil erst mehrmalige Wiederholungen der Umfrage gesellschaftliche Trends aufzeigen können.

Diese Bestandsaufnahme zeigt aber eine große Konstanz im Altersgruppenvergleich derer, die jünger sind. Für rund die Hälfte ist das persönliche Gebet wichtig und für rund 40 Prozent dieser Altersgruppen hat der öffentliche Gottesdienst eine mittlere oder hohe Wichtigkeit. Etwas weniger wichtig ist die Religiosität insgesamt und speziell auch die öffentliche Praxis nur für die 40- bis 49-Jährigen, besonders in Ostdeutschland. Dort konnte in dieser Zufallstichprobe kein Prozent als hochreligiös bezeichnet werden. Ein Phänomen besonderer Prägung dieser Altersgruppe durch die DDR?

Betrachtet man speziell die ideologische Kerndimension, so lassen sich keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Altersgruppen feststellen. Die Jugend ist nicht weniger gläubig als die Älteren. Auffällig ist, dass in der jüngsten erhobenen Altersgruppe sogar mehr an ein Weiterleben nach dem Tod glauben als in der Altersgruppe derer, die älter als 60 Jahre sind.


Bei der weltweiten Befragung durch den Religionsmonitor wurde deutlich, dass es für alle erhobenen Religionen wichtig ist, Inhalte oder Einstellungen des Glaubens an kommende Generationen weiterzugeben. Vielleicht hat religiöse Bildung für so genannte Offenbarungsreligionen sogar eine besondere Relevanz.

Deshalb überrascht es umso mehr, dass religiöse Erziehung im Gegensatz zu den meisten anderen erhobenen Ländern in Deutschland keine große Rolle spielt. Man darf wohl diesbezüglich schon von einem Affekt in Deutschland sprechen. Das zeigt sich etwa im Altersgruppenvergleich der Selbsteinschätzung, religiös erzogen worden zu sein. Behaupten noch mehr als drei Viertel derer, die älter als 60 Jahre sind, religiös erzogen worden zu sein, sagen das nur knapp die Hälfte derer, die jünger als 30 Jahre sind. Immerhin sagen rund zwei Drittel der religiösen Kirchenmitglieder, dass ihre persönliche Religiosität einen mittleren oder hohen Einfluss auf die Erziehung der Kinder hat.

Religiöse Erziehung und Bildung nehmen also im Altersgruppenvergleich beständig ab. Diese Tatsache ist nicht zuletzt deswegen interessant, weil sich die persönlichen Bildungsbiographien in den vergangenen Jahrzehnten signifikant verändert haben. Geben weniger als 10 Prozent von den älteren Kirchenmitgliedern an, eine höhere Schule besucht zu haben, sind es von den 18- bis 29-Jährigen über 40 Prozent. Der Bildungsstand weist im Altersgruppenvergleich also große Unterschiede auf.

Zwar lässt sich prinzipiell kein Zusammenhang zwischen Bildungsstand und Ausprägung der Religiosität feststellen. Dennoch spielt der Bildungsstand gewiss eine Rolle hinsichtlich der Vermittlungsformen und didaktischen Konzepte kirchlicher Glaubensüberzeugungen. Unter dem Gesichtspunkt der Lehr- und Lernmethodik ist der Bildungsfaktor ein nicht zu unterschätzender Aspekt. Der Religionsmonitor zeigt, dass ein Bedarf an religiöser Bildung definitiv vorhanden ist. Das Nachdenken über religiöse Themen und das Interesse, mehr über religiöse Themen zu erfahren - also die intellektuelle Kerndimension von Religiosität - hat bei 17 Prozent eine hohe und bei weiteren 49 Prozent eine mittlere Ausprägung. Nur ein Drittel der Menschen in unserer Gesellschaft scheint religiös intellektuell gesättigt zu sein.


Das Medienverhalten bei der Glaubensbildung stärker
berücksichtigen

Was bedeutet das für die angemessene mediale Vermittlung von religiösen Inhalten? Laut Religionsmonitor scheint das Medium Buch nur wenige Menschen mit religiösen Inhalten vertraut machen zu können. Rund 80 Prozent derer, die noch keine 30 Jahre alt sind, haben nur ein äußerst niedriges Interesse an religiösen oder spirituellen Büchern. Das gilt auch für 70 Prozent der Katholiken aller Altersgruppen.

Offensichtlich sollte das allgemeine Medienverhalten der Zielgruppen künftig noch stärker in die Überlegungen zur Glaubensbildung mit einbezogen werden. Erfahrungen des Online-Tools zum Religionsmonitor legen das nahe. (Unter www.religionsmonitor.com kann ein Großteil der international einheitlich gestellten Fragen selbst beantwortet werden.) Zehntausende Menschen aller Altersgruppen haben es bereits genutzt. Das persönliche Antwortverhalten kann man sich durch ein Religiositätsprofil widerspiegeln lassen. Großer Beliebtheit erfreut sich auch der "Gruppenzugang". Beispielsweise haben schon zahlreiche Schulklassen oder Familienkreise dieses Tool genutzt. Die Rückmeldungen sprechen vor allem davon, durch den Religionsmonitor intensiv über die Vielfalt religiöser Praxis ins Gespräch gekommen zu sein - ein manchmal erster und entscheidender Schritt zur religiösen Bildung.

Die Kirchen in Deutschland scheinen jedenfalls weit davon entfernt zu sein, eines aktiven missionarischen Charakters "verdächtigt" werden zu können. Gerade einmal 12 Prozent der evangelischen und 13 Prozent der katholischen Christen in Deutschland wollen möglichst viele Menschen für die eigene Religion gewinnen. Ein Viertel der Evangelischen neigt eher zum "Missionsverzicht" und rund die Hälfte aller evangelischen Christen ist sogar strikt dagegen. Die Zahlen bei den Katholiken variieren kaum.

Eine Zusatzfrage in Deutschland beleuchtet den Zusammenhang von Religiosität und ehrenamtlichen Engagement. Das Ergebnis lässt Religiosität als eine zivilgesellschaftliche Ressource erscheinen: 43 Prozent der Hochreligiösen, 26 Prozent der Religiösen und 19 Prozent der Nichtreligiösen sind ehrenamtlich engagiert (vgl. auch die Untersuchung von Richard Traunmüller, Religion als Ressource sozialen Zusammenhalts? DIW Berlin, 2008).


Ein Fazit des Religionsmonitors lautet: Deutschland ist im internationalen Vergleich der 21 Länder weit weniger religiös als der Rest der Welt. Nur in Russland, Frankreich und Großbritannien weist der Zentralitätsindex niedrigere Werte auf. Dennoch kann Deutschland als religiöses Land gelten. In allen Altersgruppen sind mindestens 60 Prozent religiös. Evident ist, dass die Religiosität für die religiösen Menschen im Umgang mit wichtigen Lebensereignissen der eigenen Familie, wie etwa Geburt, Heirat oder Tod, eine stabile Normalität besitzt. Auch lässt sich in allen Generationen eine hohe religiöse Anschlussfähigkeit feststellen. Die mediale Erreichbarkeit und Vernetzung könnte jedoch weiter optimiert werden. Vielleicht werden die Erfahrungen mit der Social Community "Cathoo" zur besseren Vernetzung junger Katholiken hilfreich sein, die Mitte Dezember 2009 frei geschaltet wird.


Martin Rieger (geb. 1967) ist seit 2008 Direktor des Programms "Geistige Orientierung" bei der Bertelsmann Stiftung. Studium der Philosophie und Theologie. 2001 Promotion in Theologie. Seit 2006 leitet er das Projekt "Die Rolle der Religion in der modernen Gesellschaft".


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
63. Jahrgang, Heft 10, Oktober 2009, S. 505-510
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2010