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BERICHT/062: Europa und der Islam (Freiburger Uni-Magazin)


Freiburger Uni-Magazin - 2/April 2007

Europa und der Islam

Die Albert-Ludwigs-Universität im Dialog


Zahlreiche Besucher interessierten sich für den Vortrag "Europa und der Islam" der Samstags-Uni im Februar. Nicht alle fanden Platz, so dass ein zweiter Termin angeboten wurde, der ebenfalls gut besucht war. Der volle Hörsaal zeigt: Das Thema Islam beschäftigt die Menschen. Das Uni-Magazin sprach mit Professor Dr. Maurus Reinkowski vom Lehrstuhl für Islamwissenschaft und Geschichte der islamischen Völker, der mit seinem Vortrag aufklären, aber keine Handlungsansätze liefern will.


UNI-MAGAZIN: Wie erklären Sie sich das große Interesse an Ihrem Vortrag?

REINKOWSKI: Die Menschen in Europa fühlen sich verunsichert. Sie möchten sich mit dem Islam auseinandersetzen. Für mich war die Reaktion des Publikums interessant. Vielen hat der Vortrag gefallen, es gab aber auch Unmut: In der Samstagsvorlesung wurde mir eine Verharmlosung der Problematik vorgeworfen. Die Stimmung im Publikum zeigte ein starkes Bedrohungsgefühl. Bei meiner Wiederholungsvorlesung war das Publikum studentischer. Hier war die Argumentation eine ganz andere: Sobald man über Islam und Europa spräche, zementiere man den Konflikt. Vorurteile der Zuhörer würden dadurch bestätigt. Viele Besucher fühlten sich durch den Vortrag doppelt enttäuscht: Einerseits fehlte vielen der Aktualitätsbezug, andererseits erwarteten sie eine Handlungsanweisung, die ich nicht geben konnte. Die Lösungsansätze sind eventuell ganz andere, als die, die uns in Europa vertraut sind. Das war vielen zuviel.

UNI-MAGAZIN: Was wollten Sie mit Ihrem Vortrag erreichen?

REINKOWSKI: In einem solchen Vortrag kann man die Dinge relativieren und zurechtrücken. Wichtig ist dabei, die Ängste und Bedrohungsszenarien ernst zu nehmen und zu überlegen, wie man mit diesen Ängsten am besten umgeht, ohne Vorurteile zu bestätigen oder die Menschen zu brüskieren.

UNI-MAGAZIN: Bereits im Mittelalter gab es eine starke Auseinandersetzung mit der islamischen Welt. Was hat sich bei der Auseinandersetzung heute verändert?

REINKOWSKI: Früher kamen Muslime in der Regel nicht nach Europa. Es gab eher eine Wanderung von Europa in den Islam. Die demographische Entwicklung hat sich verändert: Um 1900 waren fünf Prozent der Weltbevölkerung Muslime, heute sind es 25 bis 30 Prozent. So wird Europa zum natürlichen Entlastungsraum für diesen demographischen Druck. Die Menschen fühlen sich heute persönlich bedroht. Dieses Gefühl existiert jedoch auf beiden Seiten. So wurde der 11. September für die USA zur Rechtfertigung, den Irak anzugreifen. Für viele Muslime wiederum ist klar: Es wurde ein Feindbild geschaffen, um die Gewalt zu rechtfertigen.

UNI-MAGAZIN: In den 70er Jahren war die Islamwissenschaft eher ein Orchideenfach. Das ist heute nicht mehr so. Was hat sich inhaltlich verändert?

REINKOWSKI: Es gibt heute so etwas wie einen öffentlichen Anspruch an uns, eine Erwartungshaltung. Die Islamwissenschaft soll erklären, ist aber noch nicht richtig darauf vorbereitet. Unsere Aufgabe war bisher eher kulturwissenschaftlicher Art, die Probleme sind jedoch eher soziologisch zu betrachten und zu erklären. Eigentlich ist dies eine paradoxe Situation. Im Moment erstellen wir einen Sammelband zum Selbstverständnis unseres Faches mit dem Titel "Unbehagen der Islamwissenschaft", der im September erscheinen soll.

UNI-MAGAZIN: Was sind die Studieninhalte der Islamwissenschaft?

REINKOWSKI: Neben zwei bis drei Sprachen, wie Arabisch, Persisch, Türkisch oder Suaheli, die 40 bis 50 Prozent des Studiums beanspruchen, lernen die Studierenden die Grundlagen der islamischen Kultur und des Korans sowie der Geschichte kennen. Oft schließt sich ein einjähriger Auslandsaufenthalt an, der sehr wichtig ist für ein höheres Verständnis der Kultur und für die Sprachausbildung.

UNI-MAGAZIN: Wer studiert Islamwissenschaft?

REINKOWSKI: Früher waren es fast ausschließlich deutsche Studierende, Kinder von Eltern, die länger im Orient gelebt hatten oder Studierende mit einem allgemeinen, abstrakten Interesse an diesem Gebiet. Das hat sich stark verändert. In Freiburg sind etwa ein Drittel der Studierenden der Islamwissenschaft Muslime. Viele davon sind in Deutschland aufgewachsen, aber auch Studierende aus dem Nahen Osten sind dabei. Studierende, die hier aufgewachsen sind, bringen Startvorteile mit: Sie sprechen neben deutsch bereits eine Sprache aus der Region.

UNI-MAGAZIN: Für Studierende aus den Ländern des Nahen Ostens ist ein Studium in Deutschland bestimmt nicht immer einfach.

REINKOWSKI: Gerade Muslime aus dem Nahen Osten fühlen sich hier oft fremd und haben ökonomische und sprachliche Probleme. Viele haben zwar bereits einen Hochschulabschluss und wissen sehr viel, allerdings fehlt ihnen meist eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihrem Fach, da in den Herkunftsländern oft eine andere Lehrkultur herrscht. Sie benötigen dadurch am meisten Betreuung.

UNI-MAGAZIN: Wie empfinden Sie die Stimmung in Freiburg und an der Universität?

REINKOWSKI: Freiburg ist eine sehr liberale Stadt. Das ist angenehm für Studierende aus den islamischen Ländern. Zwischen den Studierenden ist keine Mauer zu spüren. - SC


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Quelle:
Freiburger Uni-Magazin Nr. 2/April 2007, Seite 12
Herausgeber: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg,
der Rektor, Prof. Dr. Wolfgang Jäger
Redaktion: Dr. Thomas Nesseler (verantwortlich)
Kommunikation und Presse
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2007