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MELDUNG/024: Pakistan - Nicht als Muslime akzeptiert, Ahmadiyya-Gemeinschaft zunehmend verfolgt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. November 2011

Pakistan: Nicht als Muslime akzeptiert - Ahmadiyya-Gemeinschaft zunehmend verfolgt

von Zofeen Ebrahim


Karachi, 23. November (IPS) - Muslime aus der Ahmadiyya-Gemeinde müssen in Pakistan um ihr Leben fürchten. "Der Hass gegen uns hat inzwischen auch auf kleine Städte und Dörfer übergegriffen", berichtet der Sprecher der Bewegung, Saleemuddin.

Die Glaubensgemeinschaft verehrt ihren Gründer Mirza Ghulam Ahmad als "Messias, den Gott versprochen hat". Mit dieser Sichtweise haben sie sich Feinde gemacht. Gemäß der Verfassung gelten die etwa vier Millionen Anhänger der Ahmadiyya-Bewegung in Pakistan nicht als Muslime. Ihnen ist es verboten, die Orte, an denen sie beten, als Moscheen zu bezeichnen und Loblieder auf den Propheten Mohammed zu singen.

Saleemuddin lebt in Rabwah. 95 Prozent der Einwohner der in der Provinz Punjab liegenden Stadt, die auch unter dem Namen Chenab Nagar bekannt ist, bekennen sich zu Ahmadiyya. "Wir stecken in der Klemme", erklärte er. "Wenn wir sagen, wir sind Muslime, kommen wir vor Gericht und werden verurteilt. Wir können aber nicht leugnen, dass wir Muslime sind."

Im Mai vergangenen Jahres wurden 94 Mitglieder der Gemeinde während des Freitagsgebets in mehreren Moscheen der ostpakistanischen Stadt Lahore ermordet. Seitdem habe die Verfolgung deutlich zugenommen, sagt Saleemuddin. Elf weitere Menschen seien getötet worden.


Lehrerin aus Glaubensgründen der Schule verwiesen

Die Regierung von Punjab verlangt seit dem letzten Jahr von allen Schülern und Studenten vor der Anmeldung eine Erklärung darüber, ob sie Muslime oder Nicht-Muslime sind. Vor zwei Monaten erhielt Raziatul Bari, eine 23-jährige Englischlehrerin an der 'Chenab Public School' im Dorf Dharanwali, plötzlich die Kündigung. Am selben Nachmittag flogen zehn Kinder von mehreren Schulen am Ort.

"Trotz aller Warnungen verbreitete die Lehrerin ihren Glauben im Unterricht", erklärte der Direktor der 'Chenab Public School', Yasser Arafat, IPS. "Deshalb musste sie gehen. Die Schüler sind ihr aus Protest gefolgt." Arafat warf der Lehrerin und den Schülern vor, international Aufmerksamkeit erregen zu wollen, um anderswo Asyl zu erhalten.

Bari erklärte, sie sei noch nie in einer solchen Situation gewesen. "Alles fing vor einigen Monaten an, als ein Geistlicher in unser Dorf kam und die Atmosphäre vergiftete." Arafat habe sie danach mehrfach aufgefordert, zum Islam überzutreten, sagte Bari. "Ich habe ihm jedes Mal gesagt, dass ich bereits Muslimin bin."

Von etwa 210 Familien in Dharanwali bekennen sich nur neun zu Ahmadiyya. Diese Menschen leben in ständiger Angst vor Repressalien. "Heute werden unsere Kinder von der Schule geworfen, morgen müssen wir vielleicht unsere Häuser verlassen. Wohin sollen wir dann gehen?" fragt Bari.

Jahrelang sind die Anhänger der Glaubensgemeinschaft im öffentlichen Leben Pakistans aus Vorsicht kaum in Erscheinung getreten. Inzwischen haben die Ressentiments aber zugenommen, und die Gegner werden immer aggressiver. In mehreren Fällen sind Menschen ganz offensichtlich aufgrund ihres Glaubens verfolgt worden.


Drohungen und Morde

Im Juni kamen in der Stadt Faisalabad Schmähschriften mit den Namen und Adressen von Mitgliedern der Ahmadiyya-Bewegung in Umlauf. Darin wurde offen zum Mord aufgerufen. Wenige Monate später wurde der 55-jährige Naseen Ahmed, dessen Name auf der Liste stand, in seinem Haus erschossen.

In einem anderen Fall drohte der oberste Geistliche in einem Dorf all denjenigen, die für einen 'Ungläubigen' beten würden, mit dem Ausschluss aus dem Islam. Zuvor hatten die Söhne eines verstorbenen Ahmadiyya-Anhängers für ihren Vater ein Gebet gesprochen.

Auch in Quetta, der Hauptstadt der Provinz Belutschistan, werden 'Abtrünnige' verfolgt. Eine Gruppe Geistlicher zwang einen Mann dazu, seinem Glauben abzuschwören. Sie drohten damit, andernfalls sein Geschäft anzuzünden und ihn zu töten.

Auf den Listen für die kommenden Wahlen 2013 wird erstmals auch die Religionszugehörigkeit aufgeführt. Wenn Ahmadiyya-Mitglieder ihre Stimme abgeben, sind sie gezwungen, sich als 'Nicht-Muslime' zu deklarieren.

Dieses Vorgehen der Regierung sei ein "historischer Fehler", erklärte der Direktor der Organisation 'Human Rights Watch' in Pakistan, Ali Dayan Hasan. Da die Behörden nicht gewillt seien, die diskriminierende Gesetzgebung zu revidieren, hätten sie sich zu Komplizen der Angreifer gemacht. Bereits seit 1974 sind verschiedene Regelungen erlassen wurden, die die Ahmadiyya-Anhänger benachteiligen. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. November 2011