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INTERNATIONAL/007: Pakistan - Drohnen töten Zivilisten, Journalisten widerlegen US-Unschuldsbehauptung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. Juli 2011

Pakistan: Drohnen töten Zivilisten - Journalisten widerlegen US-Unschuldsbehauptung

Von Naseema Noor


Washington, 25. Juli (IPS) - In dem verdeckten Krieg der USA gegen radikale Islamisten in Pakistan ist nach offiziellen Angaben aus Washington bislang kein einziger Zivilist getötet worden. Eine Studie des 'Bureau of Investigative Journalism' belegt jedoch das Gegenteil. So sind der Untersuchung zufolge seit August letzten Jahres mindestens 45 Zivilisten, darunter sechs Kinder, bei Drohnenangriffen ums Leben gekommen. Auch bei 15 Attacken zwischen August 2010 und Juni 2011 gab es zahlreiche Tote.

Der Studie zufolge sterben bei jedem fünften Drohnenangriff in der Stammesregion nahe der afghanischen Grenze Zivilisten. Dies könne von der US-Regierung nicht länger geleugnet werden, meint das Bureau. Dabei hat der stellvertretende nationale Sicherheitsberater John Brennan noch im Juni verkündet, dass bei den Operationen, an denen die USA in Pakistan beteiligt sei, aufgrund der hohen Präzision nicht eine einzige Zivilperson getötet worden sei.

"Die Studie hat der Öffentlichkeit den unumstößlichen Beweis geliefert, dass es zivile Opfer gegeben hat", sagte der pakistanische Soziologe Muhammad Idrees Ahmad, der an der Universität von Strathclyde lehrt, im Gespräch mit IPS. "Wir kennen die Namen der Toten, einige waren Kinder. Denn wir haben ihre Ausweise."


Zehnjähriger durch Granatsplitter getötet

Unter den zivilen Todesopfern war auch der zehnjährige Naeem Ullah, der von einem Granatsplitter getroffen wurde, als eine Drohne das Nachbarhaus zerstörte. Die britischen Enthüllungsjournalisten Chris Woods und Rahimullah Yusufzai fanden für die Bureau-Studie ferner heraus, dass der 17-jährige Sanaullah Jan in einem fahrenden Auto von einer Drohne getroffen wurde. Seine Leiche war so verkohlt, dass der Junge nur anhand der Reste seines verbrannten Ausweises identifiziert werden konnte.

In den meisten Medienberichten sei Sanaullah als Taliban-Kämpfer beschrieben worden, heißt es in der Studie. Seiner Familie zufolge war er jedoch Student der Ingenieurwissenschaften. Die Eltern wollen nun gemeinsam mit anderen Hinterbliebenen von Angriffsopfern den US-Geheimdienst CIA verklagen, der die Drohneneinsätze zu verantworten hat.

Getötet wurden auch Zivilisten, die von Terrorverdächtigen gefangen gehalten wurden, sowie Pakistaner, die den Opfern von Luftschlägen zur Hilfe kommen wollten. Auch Familien, die sich als Taliban-Gegner zu erkennen gaben, wurden beschossen.

Das Bureau identifizierte die bei den Angriffen getöteten Pakistaner, indem es Tausende Zeitungsartikel studierte und mit Anwälten sprach, die Familien von mutmaßlichen Opfern vertraten. Ein Team pakistanischer Forscher analysierte zudem 116 Angriffe während eines Zeitraums von zehn Monaten.


Weißes Haus schweigt bisher zur Studie

Das Weiße Haus und Brennan erhielten die Studie bereits Mitte Juni, haben sich bislang aber noch nicht öffentlich dazu geäußert. Ein hochrangiger US-Beamter, der ungenannt bleiben wollte, wiederholte laut dem Bureau jedoch die Behauptung, kein Zivilist sei getötet worden. Die USA verfügten über genaueste Informationen über Angriffe gegen Terrorverdächtige in Pakistan, sagte er. Beweise legte er jedoch nicht vor.

Einige pakistanische Experten erklärten, dass die Untersuchung zwar die Behauptungen der US-Regierung widerlege. Die Zahl der zivilen Opfer sei aber möglicherweise noch zu niedrig angesetzt. Auch Anatol Lieven, Professor für Internationale Beziehungen und Terrorismusstudien am King's College in London, zeigte sich überrascht, dass die Schätzungen nicht höher liegen. Die Taliban- und Al Kaida-Führer lebten meist mit ihren Familien unter einem Dach, sagte Lieven. Würden die Häuser beschossen, könne davon ausgegangen werden, dass auch Frauen und Kinder ums Leben kämen. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://thebureauinvestigates.com/2011/07/19/in-video-obamas-drone-war/
http://thebureauinvestigates.com/2011/07/18/precision-is-relative-an-interview-with-anatol-lieven/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=56594

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 25. Juli 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juli 2011