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INTERNATIONAL/051: Pakistan - Familien getöteter Soldaten fordern Vergeltung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. Dezember 2011

Pakistan: Familien getöteter Soldaten fordern Vergeltung

von Ashfaq Yusufzai

Bruder des getöteten Soldaten Najibullah an dessen Grab - Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Bruder des getöteten Soldaten Najibullah an dessen Grab
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Charsadda, Pakistan, 12. Dezember (IPS) - Während sich Islamabad und Washington gegenseitig die Verantwortung für die Luftangriffe vom 26. November auf zwei pakistanische Grenzposten zuschieben, fordern die Familien der getöteten und verletzten Soldaten Vergeltung.

"Der Übergriff hat gezeigt, dass Amerika unser wirklicher Feind ist. Vergeltung könnte unseren Schmerz lindern", meinte Asfandyar Khan, der Vater des 25-jährigen Najibullah Khan, der bei den NATO-Hubschrauberattacken ums Leben kam.

Die Hintergründe für das Bombardement der pakistanischen Grenzposten im Gebiet Mohmand nahe der afghanischen Grenze durch die NATO-Verbündeten sind nach wie vor ungeklärt. So heißt es in den USA, die pakistanische Armee habe dem Angriff auf vermeintliche Taliban-Kämpfer zugestimmt, ohne allerdings zu wissen, dass in dem Gebiet eigene Soldaten stationiert gewesen seien. Islamabad bestreitet die Version.

"Unsere Regierung sollte nicht klein beigeben. Das ist nicht der erste Luftschlag der USA. Bereits bei vorangegangenen Angriffen kamen Dutzende (pakistanische) Soldaten ums Leben", sagte Khan in der Ortschaft Nissan im Gespräch mit IPS. Nissan liegt 15 Kilometer von der pakistanisch-afghanischen Grenzstadt Charsadda entfernt.


Die Schuldigen zur Verantwortung ziehen

"Najibullah hatte aus Überzeugung Terroristen und andere Feinde unseres Landes bekämpft", so der Vater. "Nun wollen wir, dass die Regierung diejenigen zur Verantwortung zieht, die seinen Tod verschuldet haben." Für den Fall, dass die pakistanische Regierung seine Forderung ignoriert, wird er nach eigenen Angaben dafür sorgen, dass sein anderer Sohn den Armeedienst quittiert.

Pakistan hat nach dem Vorfall, der mindestens 24 pakistanische Soldaten das Leben kostete, die beiden Grenzübergänge geschlossen, über die 40 Prozent des Nachschubs für die in Afghanistan stationierten NATO- und ISAF-Truppen abgewickelt werden. Pakistan forderte Washington ferner dazu auf, den Luftwaffenstützpunkt Shamsi in Belutschistan binnen 15 Tagen zu räumen. Der US-Geheimdienst CIA konnte die Basis lange Zeit für den Start und die Wartung der bewaffneten Drohnen nutzen, die gegen Taliban-Einheiten auf beiden Seiten der Grenze eingesetzt wurden, aber auch Zivilisten das Leben kosteten.

Auch hat Pakistan den Vorfall zum Anlass genommen, um seine Teilnahme an der internationalen Außenministerkonferenz am 5. Dezember in Bonn über die Zukunft Afghanistans nach dem ISAF-Abzug 2014 abzusagen. Pakistan gilt als unverzichtbarer Verhandlungspartner, um Frieden und Stabilität in Afghanistan zu erreichen. Doch all diese Maßnahmen gehen den Familien der getöteten und verletzten Soldaten nicht weit genug. Sie alle fordern, dass Pakistan zum militärischen Gegenschlag ausholt.

Javid ur Rahman hat bei den NATO-Angriffen Gesichts- und Nackenverletzungen davongetragen. Er wird derzeit im Militärkrankenhaus von Peschawar, der Hauptstadt der pakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa, behandelt. Was ihn und die anderen pakistanischen Soldaten erbost, ist der Umstand, dass sie als Mitstreiter der USA im Krieg gegen den internationalen Terrorismus selbst zur Zielscheibe der NATO-Übergriffe wurden.

"Wir hielten die NATO-Attacken zunächst für einen Angriff der Taliban. Als wir aber dann die Hubschrauber entdeckten, wussten wir Bescheid." Nun müsse die pakistanische Regierung angemessen reagieren, forderte der 25-Jährige. "Dafür, dass wir an vorderster Front am Krieg der USA gegen den Terrorismus teilnehmen, zahlen wir einen hohen Preis. Wir werden von beiden Seiten - von den USA und Taliban - ins Visier genommen."

"Warum werden unsere Kinder geopfert", fragte Allah Bakhsh, Vater von Ghulam Raza, einem weiteren Soldaten, der in Mohmand ums Leben kam. Wie Bakhsh aus seinem Heimatbezirk Sargodha im Pundschab im Telefongespräch mit IPS erklärte, wird seine Familie erst Ruhe finden, wenn die Täter bestraft sind.

Ähnlich fühlt Ahmad Ali Meerani, der ältere Bruder von Mujahid Ali Meerani, einem Armeemajor, der die NATO-Angriffe nicht überlebte. "Wir sind stolz auf meinen Bruder, dass er sich für sein Land geopfert hat, aber uns gefällt nicht, wie er getötet wurde. Jetzt kann uns nur noch der Tod seiner Mörder zufriedenstellen", sagte Meerani, der in Larkana in der Sindh-Provinz zu Hause ist.


Kultur der Vergeltung

In vielen und vor allem von Paschtunen dominierten Teilen Pakistans sei die Kultur der Vergeltung tief verwurzelt, erläutert Mian Gohar Ali, Soziologe an der Universität von Peshawar. "Manchmal dauern lokale Fehden Jahrzehnte an und Dutzende Menschen werden getötet. Selbst ein armer Paschtune würde nicht zögern, zu den Waffen zu greifen, um gegen einen mächtigen Feind vorzugehen. Paschtunen fürchten sich nicht vor den Folgen."

Najibullahs Onkel Niaz Mohammad ist der Meinung, dass die Regierung die "Ungläubigen" (die USA), die "Feinde des Islams und der Muslime" bekämpfen sollte. Zunächst müssten sich die Pakistaner darauf einigen, die USA als ihren Feind zu betrachten und dann alle Verbindungen kappen. "Die Menschen werden der Regierung nicht vergeben, sollte sie auf diese Art der Aggression nicht reagieren."

Pakistans Beziehungen zu den USA haben sich verschlechtert, seitdem ein US-Sonderkommando in der pakistanischen Garnisonsstadt Abbottabad im Mai den Al-Kaida-Führer Osama bin Laden getötet hat. Pakistan war von der Aktion nicht informiert worden und betrachtet sowohl die Aktion vom Mai als auch den NATO-Angriff Ende November als Verstöße gegen die nationale Souveränität. (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Dezember 2011