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INTERNATIONAL/081: Israel erschwert palästinensischen Flüchtlingen Zugang nach Jerusalem (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Juni 2012

Nahost: Israel erschwert palästinensischen Flüchtlingen Zugang nach Jerusalem

von Jillian Kestler-D'Amours



Flüchtlingslager Schuafat, Ost-Jerusalem, 27. Juni (IPS) - Eine Gruppe palästinensischer Einwohner Jerusalems steigt an einem neuen israelischen Checkpoint am Eingang des Flüchtlingslagers Schuafat aus einem überfüllten Autobus. Zwei Soldaten kontrollieren die Ausweise der Insassen. Das überbevölkerte Camp liegt zwar in Jerusalem, ist aber vom Rest der Stadt durch einen Grenzwall abgeschnitten.

"Das ist ein Fünf-Sterne-Checkpoint", meint Fadi Abbasi, der in dem einzigen Frauenzentrum in Schuafat für Projektmanagement und Fundraising zuständig ist. Frauen und Kinder erhalten in dem Zentrum psychosoziale Hilfe und Bildungsberatung.

In dem Lager leben zurzeit mehr als 20.000 Palästinenser, von denen etwa die Hälfte Einwohner von Jerusalem sind und blaue Personalausweise mit sich führen. Seit kurzem müssen sie einen Kontrollpunkt passieren, um zur Arbeit oder in die Schule zu gelangen oder Dienstleistungen in Jerusalem in Anspruch zu nehmen.

"Die Israelis wollen, dass wir nur noch Besucher und keine Bewohner der Stadt sind", beschwert sich Abbasi. "Sie stellen uns keine Arbeit, kein Einkommen und keine städtischen Dienstleistungen zur Verfügung. Damit haben wir keine Chance, uns etwas aufzubauen."

Mehr als 30.000 ultra-konservative Israelis marschierten am 20. Mai durch die palästinensischen Viertel, um den 45. Jahrestag der israelischen Besetzung von Ost-Jerusalem und die sogenannte 'Wiedervereinigung' der Stadt zu feiern. Während Israel 1980 Jerusalem zu seiner 'ewigen und unteilbaren' Hauptstadt erklärte, erkennt die internationale Staatengemeinschaft die Annexion von Ost-Jerusalem weiterhin nicht an.

Der Alltag für die Bewohner des Lagers Schuafat steht im Widerspruch zu der offiziellen Linie Israels, der zufolge Jerusalem eine vereinte Stadt ist, deren Bewohner gleichermaßen von den Investitionen profitieren können, die die Stadtverwaltung leistet. In Wirklichkeit haben die Palästinenser in Ost-Jerusalem weniger Zugang zu Dienstleistungen und leben unter weitaus schwierigeren Bedingungen.

"Der Ernst der Lage in Ost-Jerusalem ist in erster Linie auf die Politik Israels zurückzuführen. Jahrzehntelang hat Israel eine Strategie verfolgt, die Ost-Jerusalem in jeder Hinsicht geschwächt hat", heißt es in dem Bericht 'Policies of Neglect in East Jerusalem', den die Vereinigung für Menschenrechte in Israel (ACRI) veröffentlicht hat.


Großteil der Palästinenser in Ost-Jerusalem arm

Nach Erkenntnissen von ACRI leben von den 360.800 Palästinensern in Ost-Jerusalem etwa 78 Prozent unterhalb der Armutsgrenze. In dieser Lage sind demnach 84 Prozent der Kinder in der Stadt.

Schätzungen zufolge wohnen etwa 90.000 der Palästinenser in Ost- Jerusalem, einschließlich der Bewohner von Schuafat, jenseits der Mauer.

"Die israelischen Gesetze und das Völkerrecht verpflichten den Staat Israel dazu, die Rechte der Einwohner von Ost-Jerusalem genau zu wahren und Lösungen zu finden, die der politischen Situation entsprechen", geht aus dem Bericht hervor. "In den vergangenen 45 Jahren haben jedoch sowohl die Stadtverwaltung als auch die Regierung die Grundrechte der Einwohner missachtet und verletzt."

Die Grenzmauer und die Kontrollpunkte, die palästinensische Viertel vom Rest der Stadt abtrennen, erschweren den Palästinensern jede Fahrt in die übrigen Teile Jerusalems und halten sie oft ganz davon ab. Dabei war Ost-Jerusalem früher ein lebendiges wirtschaftliches, kulturelles und politisches Zentrum der Stadt.

"Das Lager Schuafat ist ein sensibles Gebiet, weil die Palästinensische Autonomiebehörde dort keinen Zugang hat. Auch die israelische Polizei will dort nicht hineingehen", erklärte Ilona Kassissieh vom UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA). Das Hilfswerk unterstützt fünf Millionen registrierte palästinensische Flüchtlinge in Lagern im Westjordanland und im Gaza-Streifen sowie in Jordanien, Syrien und im Libanon. Im Camp Schuafat betreibt UNRWA drei Schulen und eine Klinik und setzte verschiedene Sozialprogramme um.


Kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt

"Seit die Menschen Jerusalem betreten dürfen, versuchen sie dort auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Ihre Chancen sind allerdings gering", sagte Kassissieh. Zahlreiche palästinensische Flüchtlinge hätten die Schule nicht abgeschlossen und seien arbeitslos. Da die meisten Bewohner von Schuafat Jugendliche seien, hätten Bildungs- und Sozialprogramme dort eine besondere Bedeutung.

Die 25-jährige Bara'a Ghaith hat ihr gesamtes bisheriges Leben in Schuafat verbracht. Inzwischen arbeitet sie fünf Tage in der Woche freiwillig im Frauenzentrum des Lagers, wo sie Gesundheits-Workshops für Jugendliche zwischen zwölf und 18 Jahren leitet. "Ich versuche, eine bessere Lebensqualität zu schaffen und den Kindern durch mehr Bildung ein höheres Selbstvertrauen zu geben." (Ende/IPS/ck/jt/2012)


Links:

http://www.acri.org.il/en/
http://www.unrwa.org/
http://www.ipsnews.net/2012/06/refugees-crowd-behind-five-star-checks/

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2012