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INTERNATIONAL/100: Zentralafrikanische Republik - Aussichtsloser Kampf gegen Kinderrekrutierung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. August 2012

Zentralafrikanische Republik: Familien tauschen Kinder gegen Rebellenschutz - Vom aussichtslosen Kampf gegen die Rekrutierung von Minderjährigen

von Kristin Palitza



Kapstadt, 30. August (IPS) - Kinder sind in der Zentralafrikanischen Republik weitgehend ungeschützt. Wie der ehemalige Kindersoldat aus Sierra Leone und Botschafter des Weltkinderhilfswerks UNICEF, Ishmael Beah, berichtet, überlassen viele Eltern ihren Nachwuchs den Rebellengruppen in der Hoffnung, von diesen geschützt zu werden.

Beah ist gerade von einem Besuch aus der Zentralafrikanischen Republik zurückgekehrt, wo er die Freilassung von zehn Kindersoldaten in der Stadt N'dele im Nordosten miterlebte. Die Minderjährigen hatten sich in der Gewalt der Rebellenbewegung 'Konvention der Patrioten für Gerechtigkeit und Frieden' (CPJP) befunden.

Dass die CPJP am 25. August ein Friedensabkommen mit der Regierung unterzeichnet hat, ist ein kleiner Schritt zur Beendigung der Gewalt im Land. Dennoch befinden sich noch mehr als 2.500 Jungen und Mädchen in der Gewalt verschiedener bewaffneter Gruppen.

Sieben Jahre Bürgerkrieg haben zu Nahrungsknappheit und dem Zusammenbruch der Wirtschaft geführt. Die Bevölkerung hat nur einen eingeschränkten Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung. Trotz reicher Bodenschätze ist die Zentralafrikanische Republik nach wie vor eines der am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Auf dem UN-Index der menschlichen Entwicklung nahm der Staat 2011 unter 186 Ländern Rang 179 ein.

"Die Eltern übergeben ihre Kinder an bewaffnete Gruppen, von denen sie dafür Schutz und andere Leistungen erhalten, auch wenn dies gegen die Rechte der Kinder verstößt", berichtet Beah. "Deshalb ist es so schwierig, ihre Freilassung auszuhandeln."


Ugandische LRA verschärft Angriffe

In der Zentralafrikanischen Republik operiert unter anderem die ugandische 'Lord's Resistance Army' (LRA), die von dem international gesuchten Joseph Kony angeführt wird. Zwei weitere LRA-Führer, Dominic Ongwen und Okot Odhiambo, die vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht werden, sollen angeblich in der Zentralafrikanischen Republik untergetaucht sein. Seit Anfang dieses Jahres hat die LRA ihre Angriffe in dem Land verstärkt und zwangsrekrutiert weiterhin Kindersoldaten.

Beah war selbst mit 13 Jahren während des Bürgerkriegs in Sierra Leone entführt worden und musste zwei Jahre auf der Seite von Rebellen kämpfen. Seine Eltern und zwei Brüder wurden in dem Konflikt getötet. Nach seiner Befreiung durch die Armee kam er in ein Rehabilitierungsheim.

Beah lebt inzwischen in New York und engagiert sich dort für die Menschenrechte. Sein Buch 'Rückkehr ins Leben' wurde in 35 Sprachen übersetzt und stand mehr als 50 Wochen auf der Bestseller-Liste der 'New York Times'.

Bei seinem Besuch in der Zentralafrikanischen Republik wurde er Zeuge der Rechtlosigkeit, die in dem Land herrscht. "Die Regierung hat nur über die Hauptstadt Bangui die Kontrolle", betont er. "Wenn man in N'dele ankommt, versteht man, warum dort eine bewaffnete Gruppe operieren kann. Die Regierung stellt keine sozialen und wirtschaftlichen Dienstleistungen bereit. Die Armut ist verbreitet, und die CPJP ist stark mit der Bevölkerung verbunden, weil sie ihr hilft."

Laut Beah sind die Rebellen mittlerweile Teil der Gesellschaft geworden. Die Kinder würden aber gegen ihren Willen zum Kämpfen gezwungen. "Wenn man sie den Kommandeuren wegnimmt, erzählen sie, dass sie nie kämpfen wollten." Sie hätten jedoch keine andere Wahl gehabt, als sich den bewaffneten Gruppen anzuschließen.

Die Befreiung der Kindersoldaten sei sehr schwierig, weil die Milizen die Kinder nicht hergeben wollten. Nur nach langen Verhandlungen mit den Befehlshabern könne man die Minderjährigen in Sicherheit bringen, berichtet Beah. Die Befreier müssten dann schnell verschwinden, da manche Eltern auf der Seite der Guerilla stünden.

Die Kinder kommen dann in Rehabilitierungszentren in N'dele, wo sie psychologisch betreut, in einem Beruf ausgebildet oder wieder in die Schule geschickt werden. Derzeit werden 35 Kinder rehabilitiert.

Beah zufolge ist die Befreiung der Kindersoldaten ein langer, mühevoller und gefährlicher Prozess. "Die Rebellen haben Waffen und Munition. Die Lage ist gefährlich. Als wir in N'dele landeten, war der Flughafen von Rebellen umstellt, die brandneue Waffen besaßen."

Beah hat nach eigenen Angaben die Freilassung weiterer zehn Kindersoldaten beobachtet. Alle acht Rebellengruppen hätten Aktionspläne zur Freilassung von Kindern unterzeichnet. Doch übe man keinen Druck auf sie aus, würden sie die Kinder nicht freilassen.

Wie Beah berichtet, waren die befreiten Kindersoldaten interessiert, seine Geschichte zu erfahren. Vor allem wollten sie wissen, wie ihre Chancen stehen, ein neues Leben beginnen zu können. "Ich bin immer ehrlich", sagt er. "Ich sage ihnen, dass es möglich aber nicht einfach ist."

Der UNICEF-Botschafter sieht für die Jungen und Mädchen in der Zentralafrikanischen Republik zwar gangbare Alternativen. Diese erforderten jedoch langfristige Investitionen. "Wenn die Rehabilitierung Erfolg haben soll, muss sie länger dauern als ein Jahr", meint er.


Krieg um Diamanten und Gold

Die Erklärung von CPJP-Anführer Abdoulaye Issene Ramadang, die sozio-ökonomische Ungleichheit im Lande bekämpfen zu wollen, hält Beah für vorgeschoben. "In Wirklichkeit geht es um die Kontrolle über die regionalen Diamanten- und Goldreserven."

Die LRA sei vor allem im Südosten des Landes sehr stark, berichtet er. "In dem Gebiet muss viel getan werden, um die Kinder zu schützen." Wie er berichtet, kam es seit Anfang des Jahres häufig zu Angriffen, viele Kinder wurden von der Gruppe verschleppt. "Die Regierung war schon mit den einheimischen Rebellen überfordert. Und dann kam eine Gruppe aus dem Ausland, die noch stärker ist."

Gäbe es einen sicheren Ort, an dem die Kindersoldaten rehabilitiert würden, ließe sich das Problem lösen, meint Beah. Doch die Kinder nur zu entwaffnen und sie dann sich selbst zu überlassen, sei keine Lösung. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.unicef.org/
http://hdr.undp.org/en/statistics/hdi/
http://www.ipsnews.net/2012/08/qa-swapping-children-for-protection-in-central-african-republic/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2012