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INTERNATIONAL/128: Ägypten - Neues Regime, alte Polizeigewalt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. Februar 2013

Ägypten: Neues Regime, alte Polizeigewalt

von Cam McGrath


Bild: © Cam McGrath/IPS

Graffiti in Kairo, die die Brutalität der Polizei abbilden
Bild: © Cam McGrath/IPS

Kairo, 8. Februar (IPS) - Videobilder von einem Mann, der von der Polizei in Kairo geschlagen und nackt über eine Straße geschleift wird, sorgen in Ägypten für Empörung. Der Vorfall hat den Ruf nach einer Polizeireform wieder laut werden lassen, einer der wichtigsten Forderungen der Revolution von 2011, die zum Sturz des damaligen Diktators Husni Mubarak führte.

Auf dem Video ist zu sehen, wie Hamada Saber, ein 48-jähriger Maler, auf dem Boden liegt. Seine Hose ist bis zu den Knöcheln heruntergezogen. Polizisten schlagen mit Knüppeln auf ihn ein und zielen auch auf sein Gesicht. Als er aufhört sich zu bewegen, zerren ihn Polizisten mit dem Gesicht nach unten über den Asphalt und versuchen, ihn in einen gepanzerten Wagen zu hieven.

Der Zwischenfall hat die politische Opposition und Menschenrechtsgruppen auf die Barrikaden gehen lassen. Sie beschuldigen Staatspräsident Mohamed Mursi, dieselben brutalen Taktiken wie seine Vorgänger anzuwenden, um jeden Widerstand zu ersticken. "Es sind schockierende Bilder, die aber nicht überraschend kommen", sagt der Aktivist Mohamed Fathy. "Die Polizei ist noch dieselbe wie unter Mubarak. Ein ernsthafter Reformversuch ist nicht unternommen worden."

Saber wurde am 1. Februar angegriffen, nachdem es in der Nähe des Präsidentenpalastes in Kairo zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Mursi-Kritikern gekommen war. Saber war zu dem Zeitpunkt mit seiner Familie beim Einkaufen. Der Gewaltausbruch folgte auf eine unruhige Woche, in der landesweit etwa 60 Menschen getötet und Hunderte verletzt wurden.

Viele Ägypter warfen dem Innenministerium vor, Saber unter Druck gesetzt zu haben, damit er in einem Fernsehinterview vom Krankenbett in einem Polizeihospital aus erklärte, dass die Sicherheitskräfte ihn vor Demonstranten gerettet hätten, die ihn ausgezogen und verprügelt hätten. Die Videobilder beweisen jedoch das Gegenteil, ebenso wie Aussagen von Augenzeugen.

"Einen Bürger an einem öffentlichen Ort über den Boden zu schleifen, ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit", schreibt der Anwalt Nasser Amin im sozialen Netzwerk Twitter. "Ihn zu zwingen, seine Aussage vor der Staatsanwaltschaft zu ändern, ist Tyrannei."


Von der Polizei zu falscher Aussage gezwungen

Später korrigierte Saber seine Version der Ereignisse und erklärte, dass tatsächlich die Polizei ihn misshandelt habe. Sein Sohn Ahmed erklärte gegenüber der unabhängigen Zeitung 'Al Shourouk', dass sein Vater ihn unter Tränen angerufen und berichtet habe, dass die Polizei ihn so lange "terrorisiert" habe, bis er falsch ausgesagt habe.

Die öffentliche Empörung wurde weiter durch die Nachricht vom Tod eines 28-Jährigen angeheizt, der von der Polizei am 27. Januar während einer Demonstration auf dem Tahrir-Platz in Kairo festgenommen wurde. Bei der Leiche von Mohamed El-Guindy wurden Spuren von Elektroschocks, Würgemale, drei gebrochene Rippen und Gehirnblutungen festgestellt. Der Schädel war eingeschlagen worden, wie aus einem medizinischen Bericht hervorgeht.

Mursis Regierung hat versprochen, Berichten über Polizeifolter und Übergriffe nachzugehen. In einer Facebook-Botschaft kündigte der Staatschef an, dass es "keine Rückkehr zu den Verstößen gegen die Rechte und Freiheiten von Bürgern in der Mubarak-Ära" geben wird.

Die Fotos von El-Guindys zerschundenem Gesicht und die Videobilder von der Polizeigewalt gegen Saber lassen Menschenrechtsaktivisten jedoch an den Worten des Präsidenten zweifeln. "Die ägyptische Polizei wendet weiterhin systematisch Gewalt und Folter an und tötet manchmal sogar", heißt es in einem Bericht der Ägyptischen Initiative für Persönlichkeitsrechte (EIPR).

"Es hat keinen tiefgreifenden Wandel gegeben, nicht einmal kosmetische Verbesserungen im Polizeiapparat, weder in Bezug auf die Verwaltungsstruktur oder die Entscheidungsfindung noch bei der Aufsicht über die Polizeiarbeit oder Entfernung von Führungspersonen und verantwortlichem Personal für Folter und Morde", kritisiert der Bericht weiter.

EIPR hat zahlreiche Fälle von Menschen dokumentiert, die von der Polizei getötet oder in Polizeiwachen misshandelt wurden, seit Mursi vor sieben Monaten die Macht übernahm. Laut dem Report werden Sicherheitskräfte nur selten zur Rechenschaft gezogen. Lediglich zwei Polizeibeamte wurden wegen des Todes von 800 Demonstranten während der Revolution 2011 inhaftiert, mehr als hundert Beamte dagegen freigesprochen.


Muslimbruderschaft schützt Mursi vor Kritik

Die islamistische Muslimbruderschaft, aus deren Reihen auch Mursi kommt, versucht zu verhindern, dass der Präsident mit den jüngsten Zwischenfällen in Verbindung gebracht wird. Ein Sprecher der Gruppe erklärte, dass Mursi mehr Zeit brauche, um die Polizei zu 'säubern' und gegen Folter und Erniedrigung von Häftlingen sowie den exzessiven Einsatz von Gewalt und die Annahme von Schmiergeldern vorzugehen.

Yasser Hamza, Mitglied des Rechtsausschusses der Bruderschaft, machte den Innenminister für die Vorfälle verantwortlich. Die rasch zusammengeschusterte ägyptische Verfassung, die durch ein umstrittenes Referendum im Dezember angenommen wurde, spricht den Präsidenten von jeder Verantwortung für Polizeiübergriffe frei.

"Mursi trägt nach der neuen Verfassung keine Verantwortung für Folterungen und Tötungen von Demonstranten", zitierte die unabhängige Zeitung 'Al-Masry Al-Youm' Hamza, der erklärte, dass laut der Verfassung das Kabinett für innere Angelegenheiten verantwortlich sei, der Präsident dagegen ausschließlich für auswärtige Belange.

Aktivisten geben sich mit dieser Erklärung jedoch nicht zufrieden. Einige von ihnen werfen Mursi vor, Pläne für eine Reform der Polizei beiseitegeschoben zu haben, weil er ein Instrument brauche, um seine Macht zu sichern. "Die Polizei ist nur dazu gut, Ägypter zu verprügeln und zu demütigen", so Mohamed Fathy, der der Jugendbewegung des 6. April angehört.

In einer kürzlich gesendeten Fernsehansprache lobte Mursi die Sicherheitskräfte für ihr Vorgehen bei Demonstrationen im Gebiet des Suez-Kanals, das Dutzende Menschen das Leben kostete. Auch Unbeteiligte wurden offenbar von Heckenschützen der Polizei erschossen.

Mursi beschimpfte die Demonstranten als 'Rowdys' und 'Mubarak-Getreue'. Er verhängte außerdem für 30 Tage den Notstand über die Städte in der Nähe des Suez-Kanals, der die Sicherheitskräfte befähigt, Zivilisten willkürlich festzunehmen. Damit erhält die Polizei die Befugnisse zurück, die sie während der 29-jährigen Herrschaft von Mubarak hatte. (Ende/IPS/ck2013)


Links:

http://eipr.org/en
http://www.ipsnews.net/2013/02/new-regime-same-police-brutality/

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IPS-Tagesdienst vom 8. Februar 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2013