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INTERNATIONAL/131: Indien - "Olympiade der Intoleranz", Knebel für Intellektuelle und Kulturschaffende (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Februar 2013

Indien: 'Olympiade der Intoleranz' - Knebel für Intellektuelle und Kulturschaffende

von Sujoy Dhar



Neu-Delhi, 21. Februar (IPS) - "Ich glaube an keinen Gott. Ich bin Künstler. Und ich werde ein anderes, weltliches Land finden, das mich aufnimmt", sagte Kamal Haasan, einer der bekanntesten indischen Schauspieler, nach verschiedenen Versuchen muslimischer Randgruppen, die Ausstrahlung seines 17 Millionen US-Dollar teuren Films im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu zu verhindern.

'Vishwaroopam' (Universum) heißt der tamilische Agentenfilm in Tamilisch, 'Vishwaroop' in Hindi. Der von den Kritikern seines Landes gefeierte 58-jährige Haasan ist von einem Gericht zum nächsten gezogen, bevor sein inzwischen weltweit ausgestrahlter Film in seinem Heimat-Bundesstaat gezeigt werden konnte.

In Neu-Delhi wiederum musste sich der Soziologe Asish Nandy einem Polizeiverhör unterziehen, nachdem er am 26. Januar auf dem Literaturfestival von Jaipur erklärt hatte, dass Korruption der größte Gleichmacher in der von Kasten dominierten indischen Gesellschaft sei.

Einige indische Gruppierungen und Politiker der 'unteren Kasten' wie Unberührbare und ethnische Minderheiten hatten Nandys Festnahme gefordert. Der Soziologe könnte nun auf der Grundlage eines Gesetzes zum Schutz der Rechte der 'unteren' Kasten angeklagt werden. Im Fall seiner Verurteilung müsste er mit bis zu zehn Jahren Freiheitsentzug rechnen.

Nandy hatte nach eigenen Angaben die unteren Kasten nie als korrupt bezeichnet, sondern lediglich erklärt, dass die Korruption der Reichen ihren Widerhall in den 'unteren' Kasten finde. Dass er für seine Äußerung möglicherweise ins Gefängnis muss, lässt bei indischen Bürgerrechtsaktivisten die Alarmglocken schrillen.


Abweichende Meinungen kriminalisiert

"In Indien ist derzeit eine Olympiade der Intoleranz in Gang", meinte Javed Akhtar, einer der führenden Drehbuchautoren Bollywoods, der zudem den Text für die Filmmusik der Hindi-Version von Haasans Agententhriller geschrieben hat.

"Es gibt einen Wettbewerb um die Goldmedaille der Intoleranz unter den verschiedenen Gruppen", betonte Akhtar. "Kaum sagst du deine Meinung und schon wirst du als unpatriotisch, pro-pakistanisch, oder Ungläubiger gebrandmarkt. "Das ganze Theater um Vishwaroopam ist lächerlich, zumal der Film die Zensurbehörde passiert hat." Akhtar zufolge wird auch die Anonymität der sozialen Medien genutzt, um Intoleranz zu fördern.

Kamal Haasan, dem es erst nach mehreren Überarbeitungen gelungen ist, die Freigabe seines Films für Tamil Nadu zu bewirken, betrachtet sich selbst als ein Opfer von Kulturterrorismus. "Ich denke, dass ich zusammen mit meinen muslimischen Freunden in einem politischen Spiel als Werkzeug missbraucht wurde. Ich weiß nicht, wer dahinter steckt, werde aber keine Vermutung anstellen."

Bürgerrechtsaktivisten sprechen von einer zunehmenden Tendenz in Indien, abweichende Meinungen zu kriminalisieren. "Es ist furchtbar, wie die Politik auf jeden einzelnen Zwischenfall reagiert", sagte Kavita Srivastava von der 'People's Union for Civil Liberties' (PUCL).

Die Tänzerin Leela Samson, Vorsitzende der Zensurbehörde, bezeichnete die Übergriffe auf Freiheiten als angsteinflößend. "Sie machen mir - sowohl in meiner Rolle als Künstlerin als auch in meiner Funktion als Vorsitzende der Zentralbehörde für die Filmabnahme - schwer zu schaffen", betonte sie gegenüber IPS. "Die Proteste und die rechtliche Scharade unterminierten die Autorität der Zensurbehörde. Die Kontroversen lenken von der Hauptsache ab, nämlich der künstlerischen Kreativität, die Freiheit braucht, um wirken zu können."


Auch Salman Rushdie im Visier

Doch während sich Indiens Intellektuelle zu Wort melden, kommt es zu immer neuen Zwischenfällen. Am 30. Januar musste Salman Rushdie seinen Flug in die ostindische Stadt Kolkata absagen, wo der Film 'Mitternachtskinder' promotet werden sollte - eine Adaption seines Buches, und wo er an einem Literaturtreffen auf der alljährlich stattfindenden Buchmesse teilnehmen wollte.

Salman Rushdie hatte die Muslime mit seinem 1988 erschienenen Roman 'Satanische Verse' in Aufruhr versetzt. Idris Ali, ein muslimischer Führer und Vorsitzender des 'All India Minority Forum', begrüßte die Entscheidung der Behörden in Kolkata, Rushdie keinen Personenschutz zu gewähren. "Wir haben am Flughafen demonstriert und erfahren, dass er nicht kommt. Wir werden hier keinen blasphemischen Autor dulden", so Idris Ali.

V. Kumaresan, Generalsekretär der Organisation 'Rationalists' Forum' in Tamil Nadu', ist der Meinung, dass sich der indische Staat neutral verhalten sollte. "Doch das ist nicht der Fall. Auf die Zunahme von Intoleranz reagiert der Staat damit, die kritischen Stimmen zu ersticken." (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.pucl.org/
http://rationalistforum.org/
http://www.ipsnews.net/2013/02/artists-face-the-gag-in-india/

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IPS-Tagesdienst vom 21. Februar 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Februar 2013