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INTERNATIONAL/144: Nahost - Palästinenser kämpfen gegen illegale Deportationen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. April 2013

Nahost:
Palästinenser kämpfen gegen illegale Deportationen

Von Jillian Kestler-D'Amours


Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS)

Die Schwestern Doha Ibrahim (links) and Hind Ibrahim Abeyat mit dem Bild ihres 2002 aus dem Westjordanland deportierten Vaters
Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS)

Abeyat, Westjordanland, 24. April (IPS) - Hind Ibrahim Abeyat ist den größten Teil ihres Lebens vaterlos aufgewachsen. Es gibt in Palästina kaum eine Familie ohne Märtyrer oder inhaftierten Angehörigen, sagt die 19-Jährige aus Abeyat, einem Dorf in der Nähe von Bethlehem.

Unser Vater ist nicht präsent. Und meine Freunde haben mich schon gefragt, wie ich es nur ohne ihn aushalten kann, erzählt die junge Frau im IPS-Gespräch. Hinds Vater Ibrahim Abeyat lebt im Exil. Er wurde von Israel während der Zweiten Intifada nach der berüchtigten Belagerung der Bethlehemer Geburtskirche im Jahr 2002 durch die israelische Armee aus dem Westjordanland deportiert.

Damals führte Israel eine großangelegte Militäroperation in allen größeren Städten im Westjordanland durch. Als Bethlehem an der Reihe war, suchten etwa 200 palästinensische Kämpfer und Zivilisten Schutz in der Kirche, die als der Geburtsort von Jesus Christus im Zentrum der Stadt gilt.

39 Tage dauerte die Belagerung des Gotteshauses. Die israelischen Militärs nahmen das Gebäude unter Beschuss und die Attacken endeten erst nach Vermittlung eines Abkommens mit Hilfe der USA. Später schob Israel 26 der in der Kirche gefangenen Palästinenser in den Gazastreifen und weitere 13 in europäische Länder ab.

Es war uns verboten, aus dem Fenster zu sehen, und wir durften auch nicht nach draußen gehen. Wir wussten überhaupt nicht, was los war, erinnert sich Doha, Hinds 22-jährige Schwester. Während ihr Vater, ein Mitglied der Hamas, also in der Geburtskirche festsaß, wurde das Haus der Familie von Sicherheitskräften umstellt.


Seit elf Jahren in Italien

Ibrahim Abeyat wurde zunächst nach Zypern ausgeflogen und später nach Italien abgeschoben, wo er bis heute lebt. Seine Frau pendelt zwischen ihm und den gemeinsamen Kindern hin und her. Ein halbes Jahr ist sie in Italien, die anderen sechs Monate im Westjordanland.

Sieben Jahre lang konnten Hind und ihre sieben Geschwister, die inzwischen zwischen 17 und 30 Jahre alt sind, nur über das Telefon mit ihrem Vater in Kontakt treten. Inzwischen jedoch haben sie die Möglichkeit, mit ihm über das Internet zu kommunizieren.

Es ist schrecklich, fern der Familie zu sein, so Ibrahim Abeyat gegenüber IPS via Skype. Ich würde gern in mein Heimatland zurückkehren und dieses elfjährige Exil hinter mir lassen. Es ist schließlich unser Heimatland, unser Land.

Zwischen 1967 und 1992 schob Israel 1.522 Palästinenser aus den besetzten Palästinensergebieten ab, wie aus Informationen der israelischen Menschenrechtsorganisation Btselem hervorgeht. Allein 1992 deportierte der jüdische Staat mit Zustimmung des Obersten Gerichtshofs Israels 415 palästinensische Mitglieder der Hamas und des Islamischen Jihads in den Süden des Libanon.

Geregelt werden die Abschiebungen durch die israelischen Notfall-Schutzbestimmungen von 1945. Sie stammen noch aus der Zeit des britischen Palästina-Mandats. Das entsprechende Gesetz für Deportationen, das innerhalb Israels keine Gültigkeit mehr hat, wurde für die Palästinensergebiete beibehalten. Danach kann ein Militärkommandant jeden dazu zwingen, (dauerhaft) Palästina zu verlassen.

Israel hat auch Verwandte von Menschen, denen Übergriffe auf Israelis angelastet werden, in den Gazastreifen zwangsumgesiedelt und damit gegen Artikel 33 der vierten Genfer Konvention verstoßen, wonach niemand für eine Tat bestraft werden darf, die er oder sie nicht begangen hat.


Nach Freilassung ausgewiesen

Ende 2011 wurden im Rahmen eines Abkommens zwischen Israel und Hamas 1.027 palästinensische Häftlinge im Tausch gegen einen Gefangenen Israels freigelassen. Fast 200 der freigelassenen Palästinenser wurden in den Gazastreifen und 41 ins Ausland deportiert.

Angesichts der starken Asymmetrie der Machtverhältnisse zwischen Palästinensern und Israelis rechtfertigt weder eine Zustimmung der Gefangenen noch die Tatsache, dass diese Deals von der Palästinenserbehörde ausgehandelt worden sein könnten, die Deportation, erklärte die palästinensische Menschenrechtsorganisation Al-Haq.

Im März war der palästinensische Gefangene Ayman Sharawna im Rahmen eines Austauschs 2011 zunächst freigekommen, im Januar 2012 jedoch wieder festgenommen worden. Nach 261 Tagen im Hungerstreik wurde er in den Gazastreifen abgeschoben. Wenn ich nicht gegangen wäre, wäre ich gestorben, berichtete der 37-jährige Vater von neun Kindern aus Hebron dem Palästinensischen Menschenrechtszentrum (PCHR) in Gaza-Stadt. Die Erfahrung im Gefängnis hat mich auf ein Leben im Gazastreifen vorbereitet. Im Exil im Gazastreifen leben zu müssen, war das Letzte, dass ich erwartet hätte.

Medienberichten vom 23. April zufolge hat der palästinensische Gefangene Samer Issawi, der über einen Zeitraum von acht Monaten mehrfach in den Hungerstreik getreten war, seinen Protest einstellen und im kommenden Dezember in seine Heimatstadt Jerusalem zurückkehren wird. Issawi hatte sich etlichen Abschiebungsversuchen widersetzt. Nach Ansicht von Murad Jadallah, einem Rechtswissenschaftler der Gefangenenhilfsorganisation Addameer, könnte dieser Fall ein Wendepunkt im Kampf gegen die Deportationen sein. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.btselem.org/
http://www.alhaq.org/
http://www.ipsnews.net/2013/04/palestinians-fight-unlawful-deportation/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 24. April 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. April 2013