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INTERNATIONAL/160: Äthiopien - Massenvertreibungen und Menschenrechtsverletzungen im Namen der Entwicklung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. Juli 2013

Äthiopien: Massenvertreibungen und Menschenrechtsverletzungen im Namen der Entwicklung - US- und britische Hilfsagenturen machen mit

von Carey L. Biron


Bild: © William Davison/IPS

Äthiopiens Großer Renaissance-Staudamm in der Region Benishangul-Gumuz am Blauen Nil
Bild: © William Davison/IPS

Washington, 18. Juli (IPS) - Die USA und Großbritannien sehen sich derzeit mit Vorwürfen konfrontiert, Berichte äthiopischer Volksgruppen über Zwangsvertreibungen und Menschenrechtsverletzungen im Zuge großer Entwicklungsprojekte ignoriert, toleriert oder verharmlost zu haben.

Obwohl die US-Entwicklungsagentur USAID und ihr britisches Pendant DFID Untersuchungsmissionen zu den betroffenen Gemeinschaften entsandt haben, beharren Washington und London darauf, dass die Vorwürfe jeder Grundlage entbehrten. Die Hilfsagenturen selbst haben auf diesbezügliche IPS-Anfragen noch nicht reagiert.

Das 'Oakland Institute', eine Menschenrechtsorganisation mit Sitz in den USA, hat Mitschnitte der Treffen anlässlich der Missionen übersetzt und veröffentlicht. Aus den Berichten geht hervor, dass beide Entwicklungsagenturen sehr wohl über die massiven Übergriffe von Seiten der äthiopischen Regierung Bescheid wussten.

"Die Transkriptionen der Aufnahmen lassen keinen Zweifel daran, dass die Geberagenturen während ihrer Felduntersuchungen über schwere Menschenrechtsverletzungen in Kenntnis gesetzt wurden. Doch sie zogen es vor, die Vorwürfe kategorisch zu ignorieren", kritisiert Will Hurd, der Autor eines Berichts.

"Einem USAID-Mitarbeiter zufolge hatte ein Mitglied der USAID-Mission angegeben, dass die Informationen über schwere Menschenrechtsverletzungen aus "dritter Hand" stammten. Doch die Transkriptionen der Mitschnitte zeigen, dass viele aus erster Hand stammen", betont Hurd.


Bestürzende Zeugenaussagen

Die Aufnahmen beinhalten Aussagen Betroffener gegenüber den Mitgliedern der Mission, die im Januar 2012 zum Unteren Omo-Tal im Südwesten Äthiopiens gereist war. "Sie belegen, dass die Delegationen eine Menge mitbekommen haben", bestätigt Anuradha Mittal, Geschäftsführerin des Oakland Institute, gegenüber IPS. "Deren Geberregierungen müssen nun die Verantwortung für ihre Untätigkeit übernehmen und sich kritisch mit diesen fragwürdigen Entwicklungsstrategien auseinandersetzen."

Weder USAID noch DFID haben nach ihren Januar-Besuch und einem weiteren Aufenthalt im November Berichte publik gemacht. IPS konnte jedoch Einsicht in eine vierseitige Zusammenfassung der Januar-Gespräche nehmen. Über die November-Mission ist bisher nichts in die Öffentlichkeit durchgedrungen.

Indigene hatten die Mitglieder der beiden Delegationen über "die Vergewaltigung von Frauen und eines Jungen", über den Einsatz von Gewalt und über Einschüchterungsversuche der Streitkräfte informiert. So liegen Aussagen vor, dass die Regierung den ethnischen Gemeinschaften damit gedroht hat, ihr Vieh zu verkaufen oder zu töten, sollten sie nicht freiwillig in neue Plandörfer umziehen.

In dem Bericht heißt es ferner: "Infolge dieser Ereignisse haben insbesondere die (lokalen Ethnien der) Mursi und Bodi ihre Angst geschildert, auf andere Nahrungsmittelquellen zurückgreifen oder hungern zu müssen". Immer wieder ist von einem "Warten auf den Tod" die Rede. Die schwerwiegenden Beschuldigungen konnten während des Besuchs der USAID- und DFID-Vertreter nicht bewiesen werden. Doch war die Phrase "Warten auf den Tod" in dem vierseitigen Papier fett geschrieben und unterstrichen worden. Auch wurde eine Nachuntersuchung empfohlen.

Dem Oakland Institute zufolge haben USAID und DFID ihre Schlussfolgerungen an die Entwicklungshilfegruppe weitergeleitet, die sich aus den 26 größten Hilfs- und Entwicklungsagenturen einschließlich dem UN-Entwicklungsprogramm, der Weltbank und aus dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zusammensetzt.


Weltbank-Ausschuss für eine Untersuchung der Vorwürfe

Im März berief sich der Untersuchungsausschuss der Weltbank auf Hinweise über eine mögliche Beteiligung der internationalen Finanzorganisationen an der Zwangsumsiedlung in neue Dörfer und bat um eine Untersuchung der Vorwürfe. Doch die äthiopische Regierung verweigert seither jede Zusammenarbeit.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich Äthiopien zu einem wirtschaftlichen Kraftwerk entwickelt. Das hat die Geber veranlasst, zusätzliche Mittel in das Land zu pumpen, in der Hoffnung, am unruhigen Horn von Afrika Fuß zu fassen und zur sogenannten 'Afrikanischen Renaissance' beizutragen.

In den vergangenen Jahren hat sich die finanzielle Unterstützung in Zuwendungen in Höhe von jährlich 3,5 Milliarden US-Dollar niedergeschlagen. Das entspricht in etwa der Hälfte des äthiopischen Haushalts. Offenbar wurde ein Teil der Gelder zur Umsetzung aggressiver Entwicklungsprojekte durch den inzwischen verstorbenen Langzeitregierungschef Meles Zenawi verwendet.

Dazu zählen umstrittene Wasserkraftwerke ebenso wie riesige Plantagen, die 260.000 Menschen in ihrer Existenz bedrohen. Sie sollen in den neuen Dörfern angesiedelt werden. Der Meles-Nachfolger Hailemariam Desalegn hat keinen Zweifel daran gelassen, dass er an den Plänen seines Amtsvorgängers festhalten wird.

Wie die Mitschnitte des Oakland Institute und die Zeugenaussagen anderer Menschenrechtsorganisationen belegen, geht die Umsiedlung in die neuen Dörfer oftmals mit massiver Gewalt von Seiten der Sicherheitskräfte einher.

"Die äthiopische Regierung kommt, nimmt uns unser Land, übt Gewalt aus und vergewaltigt unsere Frauen", hatte ein der Mursi den USAID- und DFID-Vertetern in der Nähe der Süd-Omo-Gemeinschaft Hailewuha berichtet. Ein weiterer Mursi warnte: "Wir warten nur noch auf unseren Tod. Dieses Land wird von der Regierung gepflügt."

Laut Hurd kam es auf dem Treffen zu hitzigen Wortgefechten. Obwohl die US-amerikanischen und britischen Entwicklungsbeamten versuchten, die Gespräche auf Entwicklungsfragen zu beschränken, kamen die Mursi immer wieder auf die staatlichen Repressionen zurück.


"Inakzeptabel"

Die Aufzeichnungen zeigen aber auch, dass die Zeugenaussagen bei den Zuhörern Bestürzung auslösten. So erklärte ein DFID-Vertreter, dass "wir ebenfalls der Meinung sind, dass Schläge und Vergewaltigungen sowie der Mangel an Rücksprache und angemessenen Entschädigungen inakzeptabel sind."

Auch wenn unklar ist, inwieweit die Hilfsagenturen diese Punkte gegenüber der äthiopischen Regierung zur Sprache gebracht haben, so hat die offensichtliche Untragbarkeit der Verhältnisse die Entwicklungszusammenarbeit der beiden Länder mit Äthiopien nicht beeinträchtigt.

"Die Umsetzung der Idee einer Renaissance des Landes hat einen hohen Preis und geht hauptsächlich zu Lasten der indigenen Gemeinschaften", so das Fazit von Anuradha Mittal vom Oakland Institute. "Und USAID und DFID leisten dazu einen Beitrag." (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.oaklandinstitute.org/development-aid-ethiopia
http://www.oaklandinstitute.org/ignoring-abuse-ethiopia
http://web.worldbank.org/WBSITE/EXTERNAL/EXTINSPECTIONPANEL/0,,contentMDK:23290136~pagePK:64129751~piPK:64128378~theSitePK:380794,00.html
http://www.hrw.org/sites/default/files/reports/ethiopia0112webwcover_0.pdf
http://www.ipsnews.net/2013/07/u-s-u-k-accused-of-ignoring-facilitating-abuses-in-ethiopia/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 18. Juli 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2013