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SCHACH-SPHINX/05310: Das Verlorene im Spiegel der Zeit (SB)


Die alte Dichtkunst Europas nahm sich auch des Schachspiels als Metapher an, worin es allgemeingültige Weisheiten ebenso verstaute wie kritische, Menschheitsfragen berührende Streitthemen. In der Poesie wiederum verwandelte sich das Schachspiel zu einer Begegnungsstätte zweier sich Liebender, die sich am Brett furchtlos treffen und Blicke und Botschaften miteinander austauschen konnten, ohne den Argwohn und die Intrigenlust ihrer Umwelt auf sich zu ziehen. Im 12. Jahrhundert, in den Anfängen der dichterischen Freiheit in Europa, fing diese zarte Blume der Schachromantik hier und da verstreut zu blühen an, erreichte im 13. Jahrhundert die höchste Blütenpracht, welkte im 14. Jahrhundert jedoch wieder dem Grabe entgegen und fiel im 15. allmählich und schließlich im 16. Jahrhundert vollends dem Vergessen zum Opfer. In dieser Wendezeit setzte auch der Umbruch vom alten, arabischen Schachproblem zur neuzeitlichen Schachpartie ein. "Das Schachspiel", so schrieb der Schachhistoriker van der Linde, "ist wirklich eine Kunst geworden, die sich aus der allgemeinen in ihre eigene Literatur zurückzieht". Die Tiefgründigkeit der Dichtung und Poesie ist heutzutage fast völlig aus dem Denken der Schachmeister gewichen. Kalte Wissenschaftlichkeit ersetzte den verödeten Platz. Der Mensch der Moderne begnügt sich nunmehr damit, im Schachspiel eine der vielen Varianten des Sportbetriebs zu sehen. Doch genug des Trübsinns und damit zurück zum heutigen Rätsel der Sphinx. In der Partie zwischen Paulsen und Hoffers hatte Ersterer zuletzt 1.Te5-c5 gespielt und glaubte schon, den Sieg in der Tasche zu haben, doch nach der gewieften Erwiderung 1...Sf6-g4!! war Paulsen heilfroh gewesen, daß er sich mit einem nicht minder geistreichen Einfall ins Remis retten konnte. Also, Wanderer, finde den poetischen Zug!



SCHACH-SPHINX/05310: Das Verlorene im Spiegel der Zeit (SB)

Paulsen - Hoffers
Dresden 1880

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Die Diagonalmacht der beiden weißen Läufer inspirierte den holländischen Meister Jan Hein Donner zum Siegeszug 1.Sg3-h5!, worauf sein Landsmann Ree augenblicklich die Waffen streckte, denn nach 1...g6xh5 wäre 2.De5-g5+ Kg8-f8 3.Lc3xf6 mit unvermeidlichem Untergang gefolgt.


Erstveröffentlichung am 29. Dezember 2001

01. Dezember 2014





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