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SCHACH-SPHINX/05328: Herrschaftslegenden (SB)


Die legendenumrankte Gestalt des persischen Heiligen Sissa tauchte in der Geschichte nicht nur als Schöpfer des Schachspiels auf, auch als Erzieher der Könige zur Tugend und Sittentreue war sein Wirken von beispielgebender Güte. Hören wir, was der Schachhistoriker H. F. Massmann dazu zu sagen hatte: "Um das Jahr 400 nach Christi Geburt habe ein junger König Schachram, von trefflichen Eigenschaften, Indien beherrscht; doch sei er durch Schmeichler vereitelt und ein hochmütiger Tor und grausamer Tyrann worden. Keine Vorstellung der Braminen und Räte, daß er ohne den Geringsten im Volke doch nichts sei und nichts vermöge, daß seine Macht nur im Glücke der Bürger bestehe, habe gefruchtet. Da habe der Bramine Sissa gesonnen, wie er die ewige Lehre dem Könige anschaulich mache, und habe das Schachspiel erfunden, worin der König ohne Hilfe seiner sich opfernden Untertanen verloren erscheint und sich kaum allein verteidigen kann; wo der geringste Bauer oft das Spiel entscheidet, dem Könige den Thron rettet, sich zum Feldherrn aufschwingen kann. Welches alles Sissa in der dem Könige beim und am Spiel selber gegebenen Auslegung anschaulich machte und insonderheit hervorhob. Dem jungen König ging die eindringliche Lehre zu Herzen, und er sagte dem weisen Erfinder jede Belohnung zu." Das märchenhafte Kolorit soll natürlich nicht über die tatsächlichen Verhältnisse am Königshof hinwegtäuschen. Herrschen war immer ein grausames Handwerk und ließ für Weisheit und Menschengüte wenig Entfaltungsraum. Etwas anderes jedoch läßt sich durchaus fein zwischen den Zeilen heraushören, nämlich, daß das Schachspiel von seinem Geburtsrecht her eben nicht den Krieg versinnbildlichen sollte, sondern ganz im Gegenteil zur moralischen Aufbesserung unter den Menschen ersonnen wurde. Nicht Kampf der Individuen, sondern Annäherung war das erste Thema der Schachkunst. Erst später, nachdem Sissas Werk und Wille in die Hände launischer Jahrhunderte fiel, wurde auf dem Schachbrett das blutige Banner des Krieges gepflanzt. Besonnenheit war auch das Thema im heutigen Rätsel der Sphinx, wo Meister Persitz mit den weißen Steinen dank einer hübschen Kombination recht eindrücklich gewann, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/05328: Herrschaftslegenden (SB)

Persitz - Mazzoni
Paris 1956

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Linienöffnung heißt die allgemeinste Forderung in Stellungen mit positionellem Übergewicht, und dies war für Meister Sisigin am besten mit 1.Sc3-d5! zu bewerkstelligen. Wäre nun 1...Le7-f6 gefolgt, so hätte er nach 2.Df2-h2! Dd8-h8 3.Sd5xf6 Kg7xf6 4.Dh2xh6+ Dh8xh6 5.Th1xh6+ Kf6-g7 6.Th6xd6 ein gewonnenes Endspiel gehabt. Also tauschte Meister Camzirajem mit 1...Lb7xd5 den weißen Springer ab, wurde jedoch durch den feinen Zwischenzug 2.f5-f6+!! wüst aus seinen Träumereien gerissen. Es folgte 2...Le7xf6 3.e4xd5 mit der tödlichen Drohung 4.Df2-f5. Nun wäre am besten 3...Dd8-c8 geschehen, wenngleich Meister Sisigin nach 4.Df2-h2 Dc8-h8 5.Dh2-h3! auch weiterhin das Ruder in Händen gehalten hätte. Meister Camzirajem spielte jedoch weniger präzise 3...Dd8-d7, was 4.Th1xh6! Dd7-d8 - nicht aber 4...Kg7xh6 5.Df2-h2+ Kh6-g7 6.Dh2-h7+ mit Damenfang - 5.Df2-f5! zur Folge hatte. Schwarz gab auf, weil sich die vielen Drohungen nicht mehr hinlänglich entwaffnen ließen.


Erstveröffentlichung am 15. Januar 2002

19. Dezember 2014





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