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SCHACH-SPHINX/05406: Barbarisches Erbe (SB)


Was ist davon zu halten, wenn der deutsche Großmeister Wolfgang Unzicker die dialektische These aufstellt: "Trotz seiner kriegerischen Natur ist Schach aber das friedlichste Spiel, das man sich vorstellen kann." Was ist mit 'friedlichstes Spiel' gemeint? Welches Schachbuch man auch aufschlägt, stets wird man auf den kriegerischen Ursprung hingewiesen, und es klingt dabei durchaus das Trompetengeschmetter des Stolzes durch. Und doch gebärdet sich kaum ein anderes Spiel so integer in seiner Rolle als Friedensbote wie das Schachspiel. Ein Widerspruch par excellence? Oder nur der fadenscheinige Versuch, sich mit fremden Federn zu schmücken? Schließlich ist die Liste jener Meister lang, die davon prahlten, ihrem Gegner auf dem Brett spielerisch vernichten zu wollen. Wo man auch hinblickt, von einer Friedensbotschaft findet sich nicht der Hauch einer Spur. Ganz im Gegenteil werden die Tugenden des Kampfes - Verbissenheit, gnadenloses Zuschlagen, Raffinesse - hochgehalten wie eine blutdurchtränkte Standarte. Wer genauer zwischen den Zeilen liest, trifft schließlich auf das eigentliche Apostelgesicht. Im Schach werde nämlich das barbarische Erbe des Menschen "kanalisiert". Eine Art Sozialhygiene also. Aus demselben Grunde sei das Schachspiel auch weltweit so populär. Jedermann könne in die Haut eines Kriegers zurückschlüpfen, ohne gleich das Kriegsbeil ausgraben zu müssen. Menschen sind und waren immer schon eine schwerverständliche Spezies, und es gehört ein gerüttelt Maß an Geduld dazu, ehe die Trennschärfe zwischen Krieg und Frieden erkannt wird und man begreift, daß das Schach so etwas wie eine Büchse der Pandora ist, nur daß, anders als im griechischen Mythos, diese durch das Spiel verschlossen bleibt. Nicht leicht zu durchschauen ist im heutigen Rätsel der Sphinx auch der weiße Siegeszug, mit dem der holländische Meister Hans Ree, er war übrigens der fünfte Holländer, der es nach Euwe, Donner, Timman und Sosonko zum Großmeister schaffte, seinen Kontrahenten Rakic zur Aufgabe zwang. Hast du genügend kriegerisches Blut in den Adern, Wanderer, um die weiße Pointe zu finden?



SCHACH-SPHINX/05406: Barbarisches Erbe (SB)

Ree - Rakic
Maribor 1982

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Der Schweizer Meister Hug hatte sich seinen Plan schön säuberlich zurechtgelegt, doch Viktor Kortschnoj trug nicht von ungefähr den Beinamen 'der Schreckliche'. Und schrecklich war auch seine Widerlegung, denn nach 1.Sc3-e4? Sf6xe4 2.Lg5xe7 Tc8xc1 3.Tf1xc1 Db6xf2+ 4.Kg1-h1 überraschte er seinen Gegner mit dem brillanten Zug 4...Td8-c8!, worauf sich 5.Tc1xc8+ Ld7xc8 6.Db3-d1 wegen 6...Df2xf3! 7.e2xf3 Se4-f2+ verbot. Meister Hug mußte sich also mit dem bescheidenen Damenzug 5.Db3-d1 begnügen, aber nach 5...Tc8xc1 6.Dd1xc1 Ld7-c6! 7.Le7xb4 Df2xe2!! wurde es Zeit aufzugeben wegen der Folge 8.Lf3xe2 Se4-g3+ 9.Kh1-g1 Sg3-e2+ und der Materialnachteil wäre nicht mehr zu verkraften gewesen.


Erstveröffentlichung am 30. März 2002

07. März 2015


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