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SCHACH-SPHINX/05440: Macht dem Geist schwere Füße (SB)


"Ich habe nie über Fragen nachgedacht, die keine sind." So beantwortete der nihilistisch angehauchte Philosoph Friedrich Nietzsche seine eigene Frage, warum er so klug sei. Schließlich wollte er "nicht eine Handlung hinterdrein im Stich lassen". Ein löbliches Anliegen für einen Denker. Über eine Frage hatte Nietzsche jedoch mit großer Anteilnahme nachgedacht, nämlich die nach der Ernährung. Eine Reihe körperlicher Beschwerden machte dies sogar unerläßlich für ihn, und er fand darauf eine in der Tat faustgrobe Antwort: "Die deutsche Küche überhaupt - was hat sie nicht alles auf dem Gewissen! Die Suppe vor der Mahlzeit (noch in venezianischen Kochbüchern des 16. Jahrhunderts alla tedesca genannt); die ausgekochten Fleische, die fett und mehlig gemachten Gemüse; die Entartung der Mehlspeise zum Briefbeschwerer! Rechnet man gar noch die geradezu viehischen Nachguß- Bedürfnisse der alten, durchaus nicht bloß alten Deutschen dazu, so versteht man auch die Herkunft des deutschen Geistes - aus betrübten Eingeweiden ... Aber auch die englische Diät, die, im Vergleich mit der deutschen, selbst der französischen, eine Art 'Rückkehr zur Natur', nämlich zum Kannibalismus ist, geht meinem eignen Instinkt tief zuwider; es scheint mir, daß sie dem Geist schwere Füße gibt." Die individuellen Vorlieben einmal beiseite gelegt, waren die Schachmeister zu bestimmten Zeiten heilfroh, überhaupt etwas zwischen die Zähne zu bekommen, um nicht aus leerem, knurrendem Magen heraus feine Schachzüge finden zu müssen. Denken wir nur an den Vergleichskampf zwischen den beiden deutschen Meistern Siegbert Tarrasch und Jacques Mieses im bitteren Kriegsjahr 1916 zurück, wo der Hunger die Menschen nach dem Aufwachen begrüßte und sie auch wieder Schlafen schickte. Jedenfalls gab es damals ein Pfund Butter als Preisgeld zu gewinnen, den leiblichen Bedürfnissen der Meistern, die ja auch nur hungernde Menschen waren, Rechnung tragend. Aus Hungerjahren stammt auch das heutige Rätsel der Sphinx zwischen Jacques Mieses und David Janowski in Paris 1900. Hatte Mieses seinen letzten Zug 1.Df7xg6 unter einem Augenleiden gemacht? Mitnichten, denn als Janowski darauf siegesfroh 1...Td8-g8 zog, erwartete ihn eine hübsche Überraschung, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/05440: Macht dem Geist schwere Füße (SB)

Mieses - Janowski
Paris 1900

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Die Augen des dänischen Großmeisters Bent Larsen drangen wie Lichtmiskroskope tief in die Zellstruktur der Schachpositionen ein und fanden die besten Angriffszüge, denn seine dänische Kampflust hatte nur Gefallen an den schärfsten Kriegserklärungen. In seiner Partie gegen seinen russischen Großmeisterkollegen Efim Geller zahlte sich dies mit Zins und Zinseszins aus, als er auf den letzten Zug seines Gegners 1...Lf8-a3 Knall auf Fall 2.Ld4xg7! erwiderte. Nach 2...La3xc1 3.Sd7-f6+ Kg8xg7 4.Sf6xe8+ Kg7-f8 5.Da1-h8+ Kf8-e7 6.d5-d6+ Ke7-d7 7.Se8-f6+ Kd7-c8 8.Lg2-h3+ Kd7-b7 9.Dh8xd8 Db3-d1+ 10.Kg1-g2 Lh7-d3 11.Lh3-c8+ Kb7-a8 12.Dd8-a5+ überschritt Geller zwei Züge vor dem Matt die Zeit.


Erstveröffentlichung am 01. Mai 2002

10. April 2015


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