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SCHACH-SPHINX/05545: Wissenswertes über den Kuckuck (SB)


Schleichen wir uns näher heran, dort an den Jenaer Wirtsgarten, wo an einem Tisch sich zwei Herren offenbar angeregt unterhalten. Der eine sieht verdächtig dem Goethe ähnlich, der andere freilich, so scheint's, ist niemand anderer als der Vogelliebhaber Johann Peter Eckermann. Hinter den Büschen sind wir vor Blicken nun sicher. Die Ohren gespitzt und feste gelauscht! "Der Kuckuck", Goethe hat gerade an seinem Weinglas genippt, "ist eine höchst problematische Natur, ein offenbares Geheimnis; das aber nichtsdestoweniger schwer zu lösen, weil es so offenbar ist". Wir hier hinter dem Gezweig hören nun, daß der Kuckuck sein Ei nur in die Nester der Insektenfresser wie Grasmücke, gelbe Bachstelze, Mönch, Braunelle, Rotkehlchen und Zaunkönig legt, weil das andere Vogelvolk, das Samen aufpickt, den jungen Kuckuck nicht ernähren könne. "Wir stehen hier eben vor einem Geheimnis", seufzte Goethe schwer. "Aber sagen Sie mir doch, wenn Sie es beobachtet haben, wie bringt der Kuckuck sein Ei in das Nest des Zaunkönigs, da es doch nur eine so geringe Öffnung hat, daß er sich nicht selber daraufsetzen kann?" "Er legt es", erklärt Eckermann dozierend, "auf irgendeine trockene Stelle und bringt es mit dem Schnabel hinein." Goethe ist angenehm überrascht von den findigen Details zur Kuckuckskunde und läßt sich weiter in die Geheimnisse dieses sonderbaren Vogels von Eckermann einführen: "Man findet von ihm in einem einzigen Nest immer nur ein einziges Ei." Auch wir hier hinter den Büschen erfahren, daß der Kuckuck demnach mehrere Eier in verschiedene Nester legt. Und ferner erhaschen wir aus dem Munde Eckermanns: "Gesetzt, er legte fünf Eier und diese würden alle fünf glücklich ausgebrütet und von den liebevollen Pflegeeltern herangezogen, so hat man wiederum zu bewundern, daß die Natur sich entschließen mag, für fünf junge Kuckucke wenigstens fünfzig Singvögel zu opfern." Goethe zieht erstaunt die Augenbrauen hoch, betupft sich die Stirn mit einem seidenen Tuch und zieht Resümee: "Da stehen wir allerdings vor etwas Göttlichem ... Wäre es wirklich, daß dieses Füttern eines Fremden als etwas Allgemein-Gesetzliches durch die Natur ginge, so wäre damit manches Rätsel gelöst, und man könnte mit Überzeugung sagen: daß Gott sich der verwaisten Raben erbarme, die ihn anrufen." Aber genug gelauscht und fremde Worte wie aus dem Nest gestohlen. Im heutigen Rätsel der Sphinx hatte Alexander Aljechin mit den weißen Steinen ein Matt in zehn Zügen angekündigt. Kannst du den Kuckuck finden, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05545: Wissenswertes über den Kuckuck (SB)

Aljechin - Prat
Paris 1913

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
All das Variantengeschacher hatte Meister Kotow berechnet und zuletzt befunden, daß er den schwarzen Angriff nicht abwehren konnte. Also besann er sich auf etwas anderes. Warum nämlich nicht selbst das Schwert in die Hand nehmen und auf den schwarzen König losstürmen? Sein Auge schweifte übers Brett und da blieb auch schon an seiner Augenangel der fette Karpfen hängen. Zunächst mußte jedoch die schwarze Dame aus der g-Linie weggelockt werden, und zwar mit dem brillanten Springerzug 2.Sc1-e2!! Dg2xe2, gefolgt von 3.Tb3-b8+! Sd7xb8. Nun war der Weg für die weiße Dame frei und es geschah weiter 4.Da4-e8+ Kg8-h7 5.De8-f7+ Kh7-h6 6.Df7-g7+ Kh6-h5 7.Dg7-g5# Indes, wir wollen der Wahrheit die Ehre geben. Szabó gab nach 2.Sc1-e2!! sofort auf.


Erstveröffentlichung am 13. August 2002

24. Juli 2015


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