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SCHACH-SPHINX/05601: Verlorene Eleganz (SB)


Lässigkeit frappiert, soll heißen besticht durch frechen Mut zur Selbstgefälligkeit. Im modernen Kauderwelsch der Werte und Worte spricht man gerne von Coolheit. Kaum ein Jugendlicher, dem es nicht glatt von der Zunge geht. Auch in Schachkreisen, die sich immer schon als ein eherner Hort konservativer Bildung verstanden wissen wollten, bricht diese neuzeitliche Sprachunkultur ein. Das Verschwimmen der Konturen ist die wohl betrüblichste Folge davon. Kaum ein Gefühlszustand, der nicht cool oder, verstärkend moduliert, echt cool bzw. ins Gegenteil verkehrt eben uncool ist. Neulich war tatsächlich von einem Schachbenjamin zu hören: "Diese Variante ist cool, Mann!" Die Ohrläppchen kringelten sich, und just in diesen Augenblick schien auch der spärliche Rest deutscher Redekunst verloren, der sich über die Jahrhundertwende noch in die Jetztzeit herüberretten konnte. Verlorene Eleganz, stumpf glänzen nur noch die Beschreibungen dieser Generation von Sprachverächtern. Die Beweglichkeit der Worte weicht einer zunehmend versteinernden Grobklötzigkeit. Alles schmeckt nach Brei und Fastfood, sozusagen cool durchmixt. Nun verlangt niemand, daß man auf dem philosophischen Boulevard spazierengeht, aber die Kröte im Teich, Sinnbild für quakenden Ungeist, benutzt halt immer nur denselben eintönigen Wortlaut. Cool heißt alles und bedeutet nichts Genaues, aber so geht man eben mit sich und seiner Umwelt um: unpersönlich und verletzend durch Kargheit. Genug der Jugendschelte, sie ist ohnehin bloß Ausdruck genereller gesellschaftlicher Armut in Kunst und Literatur. Aus dem heutigen Rätsel der Sphinx spricht noch der Geist witziger Pointen. Artur Jussupow konnte seinem ehemaligen Landsmann Jaan Ehlvest eindrucksvoll die Leviten lesen. Mit Weiß am Zuge bohrte er den Stachel welcher Kombination, Wanderer, tief ins Herz des schwarzen Königs?



SCHACH-SPHINX/05601: Verlorene Eleganz (SB)

Jussupow - Ehlvest
Saint John 1988

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Trefflich bediente Meister Bier seine Lanze mit 1.Lg5-f6!, worauf 1...g7xf6 2.e5xf6 augenblicklich gewonnen hätte. Dem zu Trotze versuchte es sein unbekannter Gegner mit 1...Tf8-g8. Die weiße Lanzenspitze drang dennoch durch: 2.Lc4-d3 g7xf6 - denn es drohte 3.Dg3-h4 - 3.e5xf6! Tg8xg3 4.Te1xe8+ Tg3-g8 5.Ta1-e1 und gegen das Matt in zwei Zügen half weder Beten noch sonstiges Verklausulieren der Wirklichkeit.


Erstveröffentlichung am 07. Oktober 2002

18. September 2015


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