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SCHACH-SPHINX/05607: Maske und Gedankengesicht (SB)


Von Goethe stammt das Wort: "Ängstlich ist es, immer zu suchen, aber viel ängstlicher, gefunden zu haben und verlassen zu müssen." Ein gutes Anwendngsbeispiel hierfür ist die sogenannte Menschenkenntnis. Wer sich solcher Gabe rühmt, glaubt leicht, die Dinge gefunden zu haben, die der andere am meisten verbirgt. Was wunder also, daß Schachspieler im besonderen darauf ihr Augenmerk richten, ihr Gegenüber psychologisch zu taxieren. Das Wesentliche aus dem Gefängnis des Allgemeinen, nur Vordergründigen zu befreien, wer wollte dies nicht. Kaum hat sich der Blick jedoch an etwas verhangen, glaubt man die Schwäche erkannt zu haben, und muß doch nur nach Goethe den vermeintlich sicheren Ort der Erkenntnis wieder "verlassen". Denn zwei Gesichter hat jeder Mensch, obenauf zudem die Maske. Und das ist sein Trick in der Stärke des Täuschens. Er läßt die Blicke hinter die Maske schlüpfen, doch statt des wahren Gesichts gibt er ihnen bloß das zurechtgemachte preis. Was hilft dem Schachmeister also sein ganzes Repertoire an Psychotricks, der andere ist ja auch nicht auf dem Kopf gefallen. So gibt es nur ein wahres Gesicht beim Schachspiel, sofern es eines gibt. Auf dem Brett lügen, glückt nur, wenn der andere naiv genug ist oder sein eigenes Gedankengesicht noch sucht. Suchen, aber nicht finden, konnte Meister Salow mit den weißen Steinen im heutigen Rätsel der Sphinx. Nach allgemeinem Abtausch zog er zuletzt 1.Lc2xa5 und hatte plötzlich einen Bauern mehr. Man könnte bestenfalls sagen, er habe einen Bauern "gefunden", mußte dafür jedoch seinen König "verlassen". Sein Kontrahent Schirow hatte unterdessen einen Bauern "verloren", dafür jedoch eine hübsche Angriffskombination "gefunden". Da soll einer noch schlau daraus werden, nicht wahr, Wanderer! Jedenfalls dachte Schirow nicht im geringsten daran, seinen angegriffenen Turm "ängstlich" zu verstecken. Und das war seine Maskerade.



SCHACH-SPHINX/05607: Maske und Gedankengesicht (SB)

Salow - Schirow
Amsterdam 1995

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Geschmeidig waren die Finger von Meister Bravo, und wie sein Name schon sagt, war auch seine Gewinnkombination bravourös, und so war nach 1...Sh5-g3+! 2.h2xg3 f4xg3+ 3.Kf1-e1 Tf8-f1+! 4.Ke1xf1 Dh6-h1# die Fingerübung vollbracht.


Erstveröffentlichung am 13. Oktober 2002

24. September 2015


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