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SCHACH-SPHINX/05619: Denkmalwürdige Erstarrung (SB)


Auf dem Buckel Berlins ist viel ausgetragen worden, Revolutionen, schrille Kunstausbrüche, ein ganzes Zeitalter, so möchte man meinen, schuf sich hier ein Lebensgefühl. Auch das Schach weiß dieser Stadt Dank zu sagen. Man erinnere sich nur an das "Siebengestirn" Berliner Meister, die in nächtelangen Analysen der Schachkunst des ausgehenden 18. Jahrhunderts ein modernes und reiferes Gesicht gaben. Die Bezeichnung 'Berliner Variante' findet sich in vielen Eröffnungen. Einer, der das Berlin des 19. Jahrhunderts plastisch erlebte und in sich einsog, war der russische Schriftsteller Iwan Turgeniew. Gut möglich, daß er Seite an Seite mit von Bilguer, Bledow, Horwitz und den anderen "Plejaden" in irgendeinem Bierlokal saß und sich über die Leibeigenschaft in Rußland unterhielt, diesem Krebsgeschwür am menschlichen Geist. Berlin selbst machte einen sonderbaren Eindruck auf Turgeniew. Einerseits bewunderte er die offene Atmosphäre in diesem "Brennpunkt des europäischen Lebens" für neue Einfälle und Gedanken, andererseits fühlte er auch die Enge einer fast schon denkmalwürdigen und Tod atmenden Erstarrung: "Was kann man aber von einer Stadt erzählen, wo die Leute um 6 Uhr morgens aufstehen, um zwei zu Mittag essen und lange vor den Hühnern zu Bette gehen? Wo um 10 Uhr abends nur noch bierschwere Nachtwächter melancholisch durch die leeren Straßen schleichen, höchstens mal ein radaulustiger, angesäuselter Bürger vom Tiergarten her heimwärts wandelt und am Brandenburger Tor gewissenhaft seine Zigarette auslöscht, in stummer Ehrfurcht vor dem Gesetz." Im heutigen Rätsel der Sphinx zwischen den beiden Siebengestirner Bilguer und von der Lasa ging es dagegen alles andere als schlafmützig zu. Bilguer, mit den weißen Steinen, fürchtete den Einschlag auf h3 nicht, glaubte er doch, mit dem Gegenopfer Sf3xe5 die dritte Reihe genügend gedeckt zu haben. Nun, von der Lasa bewies ihm das Gegenteil und zog 1...Sg5xh3! Also, Wanderer, warum reichte 2.Sf3xe5 nicht zur Verteidigung aus?



SCHACH-SPHINX/05619: Denkmalwürdige Erstarrung (SB)

Bilguer - von der Lasa
Berlin 1839

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Ludek Pachman brauchte sich um seine Dame keine Sorgen machen. Nach 1...Tg8xg3!! gab sie sich einer guten Sache hin. Nun wäre 2.Df2xg3 wegen 2...Lh6-f4 ein Schlag ins Wasser gewesen und auch 2.Kh2xg3 käme einer Ohrfeige gleich: 2...Lh6-f4+ 3.Kg3-g4 Db6-d8 mit unwiderstehlichem Angriff. Also nahm sein Kontrahent Dr. Ujtelky das Danaergeschenk mit 2.Df2xb6 an und ließ sich nach 2...Lh6-f4 3.Tc2-f2 Tg3-g2+ 4.Kh2-h1 Tg2-g8+ an die Wand drücken. Pachman verschmähte die kürzere Mattfolge 4...Tg2-h2+ 5.Kh1-g1 Th2-h1#, weil er ein schöneres Schlußbild vor Augen hatte: 5.Tf2-g2 Tg8xg2 6.Db6xd6 Ld5-a8! Aber soweit kam es nicht, denn Dr. Ujtelky gab bereits nach 4...Tg2-g8+ auf.


Erstveröffentlichung am 25. Oktober 2002

06. Oktober 2015


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