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SCHACH-SPHINX/06069: Geißel falschen Mitleids (SB)


Der Wettstreit der Gedanken, Einfälle und Motivationen, dieses belebende Element, hat im Schachspiel wohl seinen edelsten Niederschlag gefunden. Daß hierin für viele Menschen, die krankheitsbedingt keine sportliche Auseinandersetzung mehr wählen können, die einzige Möglichkeit besteht, macht das Schach um so wertvoller. Eine Schachpartie gleicht einer Geschichte, die jeder der Akteure auf seine Art erzählt. Ballett, so heißt es, sei beispielsweise eine Ausdrucksform der Seele, auf die Leinwand des Körpers als Bewegung transferiert. Auch bei einem Ringer strahlt seine ganze Persönlichkeit aus dem Kampf heraus. So hat der gesellschaftliche Mensch gelernt, sich im Sport wie in einem Spiegel erkenntnisreich zu entdecken, seine Grenzen zu erleben und im Zuge einer Entwicklung an Fragen zu arbeiten, die ihm ansonsten verschlossen bleiben. Muskelkranken Menschen blieb diese Erfahrung lange Zeit verwehrt. Ihr sozialer Rahmen war eng gesteckt und wurde oft durch falsches Mitleid zu einer peinigenden Geißel. Daß jeder Mensch, unabhängig von Geschlecht oder Konstitution, ohne diesen Wettstreit mit sich selbst und anderen verarmt, ist mehr als nur eine psychologische Binsenwahrheit. Dieses Terrain der Begegnung und Grenzerfahrung erst macht den Menschen aus. 1981 fand das erste Einzelturnier muskelkranker Schachspieler statt. Je nach Grad der Beeinträchtigung wird die Partie entweder eigenhändig oder stellvertretend durch einen Helfer ausgetragen. Das heutige Rätsel der Sphinx ist dieser Gruppe von Schachfreunden gewidmet, die um der Faszination zum Königlichen Spiel willen gesellschaftliche Schranken einrissen und damit ein Tabu verletzten, das längst ausgerottet gehört. Gespielt wurde die Partie beim 2. Einzelturnier zwischen den beiden Siegern Wohlgemuth und Kehr. Statt mit 1...Dc2xg2+ 2.Kh2xg2 h6- h5 3.h3-h4 ins Remis einzulenken, hätte Kehr sich mit einer anderen Fortsetzung noch Gewinnchancen sichern können. Also, Wanderer, was war im Sinne des Sieges vielversprechend?



SCHACH-SPHINX/06069: Geißel falschen Mitleids (SB)

Wohlgemuth - Kehr
Lichtenau 1983

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
In seiner ersten Fernschachpartie glänzte Dr. Eduard Dyckhoff mit 1...Lf8-b4!!. Weil die weiße Stellung nach dem notgedrungenen 2.Dc3xb4 Se5xf3+ 3.Sd2xf3 Df6xf3 zusammengebrochen wäre, gab sein Kontrahent Prügel nach dem Läuferzug sogleich auf.


Erstveröffentlichung am 12. Januar 2004

03. Januar 2017


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