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SCHACH-SPHINX/06238: Typus einer Arbeitsbiene (SB)


Schaffensüberdrang, nun, mit diesem Charaktermerkmal beschreibt man wohl am besten den ehemaligen Weltmeister Max Euwe. Der holländische Großmeister wuchs in einer Zeit zu einer Koryphäe auf dem Gebiet der Eröffnungstheorie heran, als das Schach im Umbruch stand. Die 1920er Jahre waren geprägt von neuen umstürzlerischen Ideen, von einem Aufbruch in bis dahin unbetretene Ufer. Das Schach sollte sich binnen eines Jahrzehnts revolutionieren. Die Meister dieser Epoche hatten mit einem Erbe zu kämpfen, das durch die verknöcherten Theoreme des Gespanns Steinitz-Tarrasch ausgeschöpft war. Der verstärkte Einzug der indischen Eröffnungen, die Entstehung einer Fülle von neuen Varianten und Gedankenkonzeptionen machte einen neuen Typus von Schachspieler nötig. Hatte man sich früher auf die Intuition als dem Schlüssel zum Sieg in einer Partie eingeschworen, so traten nun Persönlichkeiten auf den Plan, die ihren ersten Zug und die möglichen Folgekonsequenzen nicht erst beim Turnier ausführten, sondern wohlvorbereitet mit einem gewaltigen Anhang an theoretischem Wissen zum Spiel erschienen. Das Turnier wurde vorweggenommen. Am Analysebrett in der eigenen Klause begann bereits der Kampf, der dann später im Visavis mit dem Gegner gewissermaßen fortgesetzt wurde. Die Voraussetzung hierzu war natürlich, daß die Meister immens Zeit und Fleiß zu opfern bereit waren. Aus dem Genius der alten Zeit war eine Arbeitsbiene geworden. Insbesondere Euwe brachte durch seine Pedanterie und Ausdauer die bürgerlichen Tugenden von Haus aus mit, um dann 1935 den Weltmeistertitel zu erringen. Hans Kmoch schrieb bereits über den jungen Euwe: "Nie bin ich jemandem begegnet, der so unglaublich viel Arbeit leisten kann, ohne auch nur einen einzigen Zweig seiner Gesamtaufgabe zu vernachlässigen. Euwe ist das Genie der Ordnung. Durch seine Konzentrationsgabe und sein Feingefühl ist er imstande, jede Minute fruchtbringend zu gestalten." Im heutigen Rätsel der Sphinx verhalf ihm dieser Eifer jedenfalls zu einem prächtigen Sieg über seinen Kontrahenten Thomas. Dieser hatte zuletzt 1.Dd1-b1 gezogen, und es schien, als ginge der schwarze Springer auf a2 verloren. Aber Euwe hatte vorgeplant, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/06238: Typus einer Arbeitsbiene (SB)

Thomas - Euwe
Karlsbad 1929

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Der schwarze König stand auf verlorenem Posten. Michail Botwinnik benötigte nur noch die kleine taktische Finesse 1.Sc3-e4, um nach 1...Sf6-d7 2.Se4xd6+ Ke8-d8 3.Tf1xf8+ Sd7xf8 4.Sd6xc4 Lg4-d7 5.Tg7-f7 Kd8-c7 6.d5-d6+ den Sieg davonzutragen. 1...Sf6xe4? verbot sich natürlich wegen des Keulenschlages 2.Lc2-a4+ mit sofortiger Grablegung.


Erstveröffentlichung am 27. Juni 2004

21. Juni 2017


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