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SCHACH-SPHINX/06297: Schnurrkätzchen oder Tiger? (SB)


Der größte Feind des Schachspielers ist ein ermüdender Körper und ein Gehirn ohne Denkreserven. Sind beide Ressourcen fast aufgebracht, wird auch aus einem Großmeister ein Schnurrkätzchen auf sanften Pfoten, dann ist er kein reißender Tiger mehr, sondern ein leicht zu überwältigendes Opfer. Die Beispiele für diesen Fall von körperlicher und geistiger Ermattung sind zahlreich wie die Sterne am Nachthimmel, besonders wenn ein wochenlanger Wettkampf auszufechten ist. Emanuel Lasker, so erklärte er wenigstens später, hatte seinen Weltmeisterschaftskampf gegen den Kubaner José Capablanca nur verloren, weil das fremdartige Klima in Havanna seine Kräfte bis zum Äußersten erodieren ließ. Oder man denke an Anatoli Karpow, der in Moskau 1995 gegen seinen Herausforderer Garry Kasparow wie eine bejammernswerte Gestalt aus einem Wachsfigurenkabinett aussah. Beim Kandidatenwettkampf in Antwerpen zwischen dem Ungarn Lajos Portisch und dem Niederländer Jan Timman gab das Ausbluten der Kräfte nicht minder den Ausschlag. Nachdem Portisch erwartungsgemäß die Führung übernommen hatte, brach er ab der fünften Partie fast völlig zusammen und machte einen groben Fehler nach dem anderen. Im heutigen Rätsel der Sphinx wählte Portisch nun den ganz und gar hoffnungslosen Damenzug 1.Db7-f3? und mußte zwölf Züge später kapitulieren. Tony Miles, der im Presseraum saß, hatte 1.Db7-d5 mit der Idee 2.d6-d7 empfohlen, um wenigstens noch eine Weile im trüben fischen zu können. Nun, Wanderer, hätte der Zug Wirkung gehabt?



SCHACH-SPHINX/06297: Schnurrkätzchen oder Tiger? (SB)

Portisch - Timman
Antwerpen 1989

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
An Mut hat es dem jungen Dänen jedenfalls nicht gefehlt und an allem anderen auch nicht. Gegen seinen berühmten Kontrahenten Boris Gulko wagte der Jüngling mit 1.Tg1xg7! alles. Die Frage war nur, ob die Angriffschancen sich in einen Sieg umwandeln ließen. Nach 1...Kf8xg7 2.Ld2xh6+ Kg7xh6 3.Ta1-g1 sah es in der Tat danach aus, und doch mußte Hoi nach 3...f7-f5 4.Dd3-e3+ f5-f4 erst das Damenopfer 5.Se4xd6!! finden, ehe ihm der Lohn für sein tapferes Vorgehen sicher war. Wegen der Mattdrohung 6.Sd6-f7# mußte Gulko den Springer nehmen und nicht die weiße Dame. Das zweite Damenopfer allerdings war nicht abzulehnen und erzwang den Sieg: 5...Dc6xd6 6.De3-d3 Sd7-f8 7.Dd3-h7+ und Schwarz gab auf, da er nach 7...Sf8xh7 8.Tg1-g6# mattgesetzt worden wäre. Ein seltenes Epaulettenmatt mit zwei Springern als Grabsteine für den schwarzen König.


Erstveröffentlichung am 25. August 2004

19. August 2017


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