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SCHACH-SPHINX/06515: Rollenspiel im Rampenlicht (SB)


Immer ist das Schachbrett auch Bühne für theatermäßige Inszinierungen gewesen. Der Schauspieler steckt tief im Schachspieler, ist gewissermaßen sein adoptiertes zweites Ich. Man denke da nur an den Weltmeisterschaftskampf in Reykjavik 1972 zwischen dem Amerikaner und Herausforderer Bobby Fischer und dem russischen Titelverteidiger Boris Spasski. Wir wählen einen beliebigen Spieltag heraus. Spasski betritt mit sympathischem Lächeln den Saal, eilt zum Tisch hinüber - natürlich kommt er pünktlich - und macht seinen ersten Zug. Erwartungsgemäß läßt Fischer sich in den ersten Minuten nicht blicken. Seine Bedenkzeit perlt von der Uhr ab, Sekunde auf Sekunde. Niemand im Saal macht sich Gedanken. Jeder weiß, daß der Amerikaner erst nach sechs oder sieben Minuten erscheinen wird. Spasski erhebt sich indessen vom Stuhl und verläßt den Raum. Wozu am Brett ausharren? Und tatsächlich, nach der obligatorischen Kunstpause schreitet Fischer mit federndem, weit ausholendem Gang zum Brett. Sein Gesicht ist kühl, und nur flüchtig nimmt er den Applaus der Zuschauer wahr. Er betrachtet sinnend Spasskis ersten Zug und antwortet. Nun ist es an ihm, auf Spasskis Rückkehr zu warten, und siehe da, nach weiteren zwei bis drei Minuten kommt der Russe wieder ans Brett, ein kurzes Händeschütteln, dann kann die Partie beginnen. Über zehn Minuten sind inzwischen verstrichen. Aber Zeit ist relativ, viel wichtiger ist das Spiel mit der Rolle, die man sich selbst zugedacht hat. Im heutigen Rätsel der Sphinx aus dem Gipfeltreffen in Reykjavik hatte Spasski zuletzt 1...Tc8-b8 gespielt, um auf 2.Tc1xc6 a7-a5 Endspielvorteil zu behaupten. Fischer indes durchkreuzte die schwarzen Hoffnungen mit einem eleganten Manöver, das unweigerlich zu einem Remis führte, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/06515: Rollenspiel im Rampenlicht (SB)

Fischer - Spasski
Reykjavik 1972

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Der e-Bauer mußte auf jeden Fall behauptet werden mit 1.f2-f4, und auf das zu erwartende 1...Db8-h8 wäre dann 2.Kh2-g3! Te7-h7 3.Lh6-g5 Th7- g7 4.Ta1-h1! Dh8-g8 5.Dg6-e4 mit deutlichem Stellungsvorteil für Weiß gefolgt.


Erstveröffentlichung am 29. März 2005

25. März 2018


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