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SCHACH-SPHINX/06702: Fluchtpunkt Nihilismus (SB)


Alexander Aljechin haßte das Dasein nicht, er fand jedoch auch keinen Gefallen daran, und um diese Diskrepanz zu überbrücken und die Jahre seines Lebens erträglich zu machen, warf er sich dem Rausch in die Arme. Er trank zuweilen maßlos. Aber das Leben einfach verschwenderisch verbrauchen, um dann wie eine kleine Flamme ausgelöscht zu werden? Nein, dazu war Aljechin zu sehr Opportunist. Als Sproß einer Adelsfamilie im Verfallsstadium des zaristischen Rußlands hatte er diese Praxis lernen müssen. Die Zustände, in die er hineingeboren wurde, verloren ihren Halt, verödeten, wurden sinnlos und fielen schließlich der Politik zum Opfer. Aljechin emigrierte. Aber Aljechin war auch ein klarer Denker und besessen von der Idee, Unsterbliches zu hinterlassen, wenn schon alles vor die Hunde ging, woran er geglaubt hatte. Von frühester Kindheit an galt ihm das Schachspiel als Rettungsanker vor dem schleichenden Nihilismus seiner Zeit, einer Zeit des Umbruchs, der Werteverfalls und der politischen Zuspitzungen. So wurde das Schach für ihn zum Sinnbild eines Lebens, auf das er hatte verzichten müssen. Und er tat es mit verzehrender Leidenschaft. Im heutigen Rätsel der Sphinx entzündete er durchaus den Funken des Genius, der im Schachspiel gemeinhin unerweckt schlummert. Sein Kontrahent Bogoljubow, wie er ein Vertriebener aus Rußland, spielte mit den weißen Steinen. Doch beider Neigungen für das Schachspiel gingen verschiedene Wege. Bogoljubow war Pragmatiker. Ihm schwebte im Gegensatz zu Aljechin kein großer Traum vor, um dessen Erfüllung er ringen mußte. Aljechin hatte zuletzt 1...b5-b4 gespielt, und damit war die Partie im Grunde entschieden. Nach 2.Ta5xa8 De8xa8 3.Dc3-b3 Da8-a1 4.Db3-b1 Tf8-a8 hätte Aljechin eine Gewinnstellung herbeiführen können. Aber er zog nicht das profane 2...De8xa8, er suchte etwas Sakrales, Wanderer, und fand es.



SCHACH-SPHINX/06702: Fluchtpunkt Nihilismus (SB)

Bogoljubow - Aljechin
Hastings 1922

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Ja, mit 1.Dd3-d6 De7xd6 2.Lc7xd6 Sc5-b7 hätte der schwedische Großmeister Ulf Andersson in der Tat um ein Remis kämpfen können, aber der Rumäne Florin Gheorghiu ließ es nicht soweit kommen und pflanzte seinen Läufer auf 1.Lc7-d6! Endlich mal einer, der gegen Andersson nicht auf Remis spielte, obwohl sich der Schwede den Ausgang der Partie sicherlich anders gewünscht hätte. Er gab auf, weil er nach 1...Sc5xd3 2.Ld6xe7 Sd3-e5 3.b5-b6 Se5-c6 4.b6-b7 den Springer hätte hergeben müssen, um die Umwandlung des Bauern zu verhindern.


Erstveröffentlichung am 2. Oktober 2005

1. Oktober 2018


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