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SCHACH-SPHINX/07238: Neuprägung einer alten Konzeption (SB)


Richard Réti war der schillerndste Vertreter des sogenannten 'Hypermodernen Stils', ein Name, den der Schachmeister und Schachschriftsteller Savielly Tartakower einer Denkrichtung im Schach der 1920er Jahre gegeben hatte. Ausgegangen war die neue Ideengeburt von José Capablanca, dem kubanischen Allround-Talent, wenn auch unabsichtlich, denn Capablanca fühlte sich nie zugehörig zu dieser stilistischen Neuprägung alter Schachgedanken. Réti schrieb zu den Geburtswehen dieses neuen Stils: "Als wir jüngeren Meister Capablancas neues Prinzip kennenlernten, nämlich jeden Zug als Element in einem Plan anzusehen, niemals einen Zug für sich zu machen, ein Prinzip, das bisweilen in Gegensatz treten kann zu Morphys Prinzip, mit jedem Zug seine Entwicklung zu fördern, da sahen wir, daß man dabei häufig Züge, die man früher für selbstverständlich hielt, die jeder gute Spieler sozusagen automatisch machte, verwerfen mußte. Wir gehen davon aus, daß ein prinzipieller Gegensatz zwischen den wissenschaftlichen Gesetzen, wie wir sie aus der Physik oder aus der Mathematik kennen, und zwischen den sogenannten Schachgesetzen besteht. Die Naturgesetze sind unter allen Umständen gültig. Die schachlichen oder - allgemeiner - die strategischen Prinzipien sind Maximen des Handelns, welche oft, vielleicht in der großen Mehrzahl der Fälle, praktisch anzuwenden sind, manchmal aber besser außer acht gelassen werden. So wie es im Leben keine allgemein gültigen Lebensregeln geben kann, so wie der, welcher immer nach den schönsten Prinzipien handelt, nie ein großer Mensch sein wird, so ist es auch mit den Regeln im Schach." Im heutigen Rätsel der Sphinx konnte Réti die Ausdeutbarkeit der Schachgesetze direkt anwenden gegen den Namensstifter der modernen Denkkonzeption. Réti spielte mit den weißen Steinen, und es schien, als könnte er leicht gewinnen. Doch der Schein trog, denn nach 1.Se3xg4 De6-b6+ hätte er gar die Qualität eingebüßt und nach 1.Df3xg4+ Kg6-h7 stände es noch schlimmer um ihn. Daß Réti die Partie dennoch gewann, lag an einer versteckt in der Stellung verborgenen Kombination, mit deren Hilfe er in ein gewonnenes Endspiel einlenkte, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/07238: Neuprägung einer alten Konzeption (SB)

Réti - Tartakower
New York 1924

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Glatt in den Ruin hätte nach 1...c3-c2!? 2.Lf5xc2? geführt, denn Schwarz gewänne dann nach 2...Kb4-c3 3.Lc2-f5 Ta2-a1+ 4.Lf5-b1 Kc3-b3 den räuberischen Läufer und damit die Partie. Weiß ließ sich freilich von der gestellten Falle nicht beirren und rettete sein Spiel mit 2.Lf5-e4 Kb4-b3 3.Kc1-d2 Kb3-b2 4.Le4xc2 ins Remis.


Erstveröffentlichung am 22. März 2007

11. April 2020


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