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MELDUNG/1699: Frühlingserwachen im Schwergewicht (SB)



Überraschend hohe Zuschauerzahlen bei Klitschkos US-Auftritt

Entgegen der landläufigen Einschätzung insbesondere in den USA, wonach mit der Schwergewichtsszene kein Staat mehr zu machen sei, haben die Zuschauerzahlen bei der erfolgreichen Titelverteidigung Wladimir Klitschkos gegen Bryant Jennings am letzten Wochenende für eine veritable Überraschung gesorgt. Ungeachtet der nun schon volle neun Jahre währenden Dominanz des Ukrainers war der New Yorker Madison Square Graden mit 17.056 Zuschauern nahezu ausverkauft. Damit nicht genug, erzielte die Übertragung bei HBO die höchste Quote im Kabelfernsehen seit 2012. Nach Angaben von Nielsen Media Research verfolgten im Schnitt 1,637 Millionen und in der Spitze 1,742 Millionen Zuschauer die Liveübertragung, so daß der Sender sein bestes Ergebnis seit Jahren einfahren konnte.

Erfolgreicher war indessen der Konkurrent Showtime, der im Rahmen seines Formats "Championship Boxing" mit dem Kampf zwischen Floyd Mayweather jun. und Saul "Canelo" Alvarez im September 2013 den Rekord von 2,2 Buchungen im Bezahlfernsehen erzielte. Allerdings ist Mayweather diesbezüglich eine Klasse für sich, wobei er mit dem Mexikaner überdies einen in der hispanischen Fangemeinde außerordentlich populären Gegner aufbieten konnte.

Auch im Vorprogramm der HBO-Veranstaltung im Madison Square Garden wurden ausgezeichnete Zuschauerquoten verbucht. Den Kampf des aufstrebenden Weltergewichtlers Sadam Ali gegen Francisco Santana sahen im Schnitt rund eine Million und in der Spitze 1.134.000 Zuschauer. Dies war ebenfalls ein hervorragendes Ergebnis, zumal die beiden Akteure dem breiteren Publikum eher unbekannt gewesen sein dürften.

Da Klitschko zuletzt 2008 in den USA aufgetreten und sein damaliger Kampf gegen Sultan Ibragimow trotz der Vereinigung zweier Titel ein ausgesprochener Langweiler war, hatten etliche Kommentatoren schwache Zuschauerzahlen verhergesagt. Auch der Herausforderer aus Philadelphia galt als unpopulär, weshalb diverse Prognosen auf ein Fiasko hinsichtlich der Gunst des Publikums hinausliefen. Nun ist die Stimmung insofern umgeschlagen, als man im Falle eines Duells des Ukrainers mit dem populären WBC-Weltmeister Deontay Wilder, das für 2016 avisiert ist, mit einer immensen Resonanz rechnet.

Tom Loeffler von K2 Promotions zog mit den Worten Bilanz, Wladimirs Dominanz im Ring unterstreiche zusammen mit den sensationellen Zuschauerzahlen vor Ort und bei der Fernsehübertragung seine anhaltende Popularität in den USA. Er freue sich sehr, daß der Champion bei seiner Rückkehr nach langer Abwesenheit so gut aufgenommen worden sei und für eines der besten Ergebnisse bei einer Boxveranstaltung seit Jahren gesorgt habe. [1]

In sportlicher Hinsicht ging man hingegen hart mit Wladimir Klitschko ins Gericht, da seine Vorstellung keinerlei Verwandtschaft mit dem ankündigten Feuerwerk erkennen ließ. Daß er den Herausforderer nicht einmal an den Rand eines Niederschlags gebracht und den Kampf überwiegend mit seinem Jab bestritten hatte, rief zwangsläufig Unmut wach. Die bloßen Zahlen können sich insofern sehen lassen, als der Ukrainer nun 18 erfolgreiche Titelverteidigungen absolviert hat und gemessen an der Länge seiner ununterbrochenen Regentschaft lediglich Joe Louis den Vortritt lassen muß. Auch seine Bilanz von 64 Siegen und drei Niederlagen ist außergewöhnlich, zumal er seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr verloren hat.

Daran konnte auch Bryant Jennings nichts ändern, der sich nach 19 Erfolgen erstmals geschlagen geben mußte. Er war so euphorisch, nur nach Punkten verloren zu haben, daß er sich hinterher zum wahren Sieger erklärte. Wenngleich man dem Herausforderer eine erstklassige Verteidigung attestieren kann, da er erfolgreich auspendelte und den Schlägen des Champions wenig Ziel bot, boxte er in der Offensive doch derart zurückhaltend, als sei er ein Sparringspartner und nicht etwa ein Herausforderer, der Risiken eingeht, um zu gewinnen.

Auch Klitschko trug mit seinem häufigen Klammern zu einer enttäuschenden Darbietung bei, wobei man nicht außer acht lassen darf, daß er angesichts der defensiven Kampfesweise seines Gegners wenig Spielraum für gefährliche Schläge hatte. Da Jennings nicht einmal in den letzten drei Runden entschieden angriff, um die absehbare Punktniederlage womöglich durch einen Volltreffer abzuwenden, blieb es am Ende dem Weltmeister vorbehalten, in der zwölften Runde mit aller Macht auf einen Niederschlag zu drängen. Der Herausforderer mied jedoch bis zuletzt den offenen Schlagabtausch und beendete den Kampf aufrecht stehend, was vor ihm nur wenigen Gegnern des Ukrainers gelungen war.

Aus diesem Verlauf zu schließen, Klitschko habe inzwischen derart nachgelassen, daß er gegen den Pflichtherausforderer beim Verband WBO, Tyson Fury, verlieren werde, macht die Rechnung ohne die jeweils spezifischen körperlichen Verhältnisse und Kampfesweisen. Zu erklären, der Weltmeister habe gegen den kleineren Jennings schlecht ausgesehen und werde folglich gegen den größeren Briten ein Debakel erleben, zeugt von geringer Sachkenntnis. Will Fury tatsächlich gewinnen, muß er angreifen, und läuft dann Gefahr, eben jene Treffer abzubekommen, die der US-Amerikaner um jeden Preis vermieden hat.


Fußnote:

[1] http://espn.go.com/blog/dan-rafael/post/_/id/12720/klitschkos-fight-draws-heavyweight-tv-numbers

2. Mai 2015


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