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MELDUNG/1723: Prophet der Wiedergeburt (SB)



Freddie Roach redet Miguel Cotto stark

Gennadi Golowkin wird am Samstagabend im Barclays Center in Brooklyn in Ringnähe sitzen, um den Kampf zwischen Miguel Cotto und Daniel Geale aus nächster Nähe zu verfolgen. Wie der in 33 Kämpfen ungeschlagene Kasache unterstreicht, freue er sich schon darauf, gegen den Sieger anzutreten. Da der Superchampion der WBA im Mittelgewicht den Australier im letzten Jahr binnen drei Runden geschlagen hat, gilt sein Interesse natürlich vor allem dem Puertoricaner, der den WBC-Titel verteidigt.

Cotto, für den 39 Siege und vier Niederlagen zu Buche stehen, will jedoch im Herbst mit einem Kampf gegen Saul "Canelo" Alvarez große Kasse machen und denkt gar nicht daran, sich von dem Kasachen auf die Bretter schicken zu lassen. Da dieser freilich Pflichtherausforderer beim Verband WBC ist, müßte sich ihm der Puertoricaner eigentlich im nächsten Schritt stellen oder den Gürtel zurückgeben.

Obgleich Golowkin gute Gründe hätte, sich abfällig über die Konkurrenz zu äußern, die ihm unter allen erdenklichen Ausflüchten aus dem Weg geht, hört man solche Worte von ihm nie. So vernichtend er im Ring nun schon seit sechs Jahren jeden Gegner vorzeitig besiegt hat, so freundlich ist sein Umgangston in Interviews und anderen öffentlichen Äußerungen, was ihm viele Sympathien eingebracht hat.

Miguel Cotto hat in der Vergangenheit gegen Floyd Mayweather, Manny Pacquiao und Austin Trout verloren, ohne mit letzter Konsequenz eine Revanche einzufordern. Würde er jedoch Geale unterliegen, der als bloße Zwischenetappe eingeplant ist, wäre das wohl ein anderer Fall. Der Verband WBC hat dem Puertoricaner bereits die Zustimmung zu einem Kampf gegen Alvarez signalisiert. Wie das alles zusammenpassen soll, ist völlig schleierhaft, wobei immerhin soviel klar ist, daß sich Cotto nicht vorschreiben läßt, gegen wen er anzutreten habe. Er könne jederzeit die drei Prozent der Börse sparen, die der Verband bei einem Titelkampf einstreicht, und das tun, was für seine Karriere und Familie das Beste sei, so der Puertoricaner.

Daher kann man wohl davon ausgehen, daß Golowkins Anwesenheit beim Auftritt Cottos insofern von Nutzen ist, als sie die ohnehin naheliegende und vieldiskutierte Frage munitioniert, wieso der beste Boxer dieser Gewichtsklasse gerade von jenen Rivalen gemieden wird, die ihm diesen Anspruch verbal streitig machen. Ein Umdenken des Puertoricaners wird die Initiative des Kasachen aber nicht auslösen, da Cotto im Grunde klar zum Ausdruck bringt, er werde genau das machen, was seinen Vorteil befördert und Schaden abwendet, womit das Risiko Golowkin ad acta gelegt ist. Sollte dieser den WBC-Gürtel früher oder später dazugewinnen, so jedenfalls nicht durch einen Sieg über Miguel Cotto, der die Trophäe eher zurückgibt, als sich von dem Kasachen vermöbeln zu lassen. [1]

Cottos Trainer Freddie Roach, ein anerkannter Experte seiner Zunft und angesichts seiner verbalakrobatischen Interpretationen der Verhältnisse zugleich phasenweise ein beliebter Prügelknabe, redet ausnahmsweise Klartext. Wie er in ungewohnter Offenheit einräumt, sei Golowkin einerseits zu gefährlich für den Puertoricaner und bringe andererseits zu wenig Schmerzensgeld in die Kasse, um das hohe Risiko zu rechtfertigen. Bei der Begründung, warum der Kasache nicht populär genug sei, verläßt Roach aber auch schon wieder die Sphäre plausibler Argumente und behauptet, Manny Pacquiao sei kürzlich im Wildcard Gym in Los Angeles an Golowkin vorbeigegangen, ohne ihn zu erkennen. [2]

Da Gennadi Golowkin im Unterschied zu nahezu allen prominenten Kollegen regelmäßig viermal im Jahr in den Ring steigt und dabei auf HBO zu sehen ist, kann ihn kaum übersehen, wer sich in den USA für den Boxsport interessiert und diesen im Fernsehen verfolgt. Da Pacquiao auf den Philippinen zu Hause ist, läßt sich natürlich nicht restlos ausschließen, daß er tatsächlich nicht weiß, wie der Kasache aussieht. Roachs Geschichte klingt jedoch nach einer weiteren Variante der billigen Ausrede, man würde sich gern mit Golowkin messen, der nur leider noch nicht bekannt genug sei, um einen solchen Kampf einträglich vermarkten zu können.

Solche Probleme hat Cottos Trainer mit Daniel Geale offensichtlich nicht, obgleich während der gesamten Karriere des Australiers bislang nur zwei Kämpfe im US-Fernsehen übertragen wurden. Golowkin schlägt den aktuellen Herausforderer Cottos um Längen, auch was den Bekanntheitsgrad beim Publikum betrifft. Roach sagt eben alles, was seinen Schützlingen nützen könnte, und sei es noch so abwegig. Das macht ihn fast schon wieder sympathisch, sollte aber andererseits nicht dazu verleiten, seine Äußerungen so ernst zu nehmen wie seine Kompetenz als Trainer.

Er hatte Miguel Cotto übernommen, als dieser auf dem absteigenden Ast seines Könnens und seiner Karriere zu sein schien. Seither verkündet Roach, er habe die Wiederauferstehung dieses Boxers herbeigeführt, der heute noch besser als in der Vergangenheit sei. Statt sich dem aufstrebenden Golowkin zu stellen, nahm man dem invaliden Sergio Martinez den WBC-Gürtel ab, als der Argentinier mit seinem ruhmreichen Namen und einem dauerhaft lädierten Knie die ideale Mischung aus spektakulärer Thronfolge und leichter Beute gewährleistete. Das war vor einem Jahr, und seither hat Cotto den Titel nicht mehr verteidigt, erklärt sich aber dennoch zum führenden Boxer im Mittelgewicht. Da er im Grunde zu leicht für dieses Limit ist, hat er Daniel Geale eine Gewichtsgrenze abgenötigt, die das Maximum des Mittelgewichts nicht ganz ausschöpft.

Ein Boxer, der einem gesundheitlich eingeschränkten Gegner den Titel abgenommen hat? Ein neuer Weltmeister, der seinen Gürtel nie verteidigt? Ein Champion, der nicht einmal seine Gewichtsklasse in vollem Umfang ausfüllen kann? All das sorgte zwangsläufig für wachsenden Unmut, der sich wohl nur aus zwei Gründen in Grenzen hielt: Erstens mobilisiert Cotto in New York eine riesige puertoricanische Fangemeinde, die jederzeit große Arenen füllt und für gute Fernsehquoten sorgt. Zweitens nährt Freddie Roach fleißig den Mythos des wiedergeborenen Boxers, ohne daß dieser den hieb- und stichfesten Beweis unabweislicher Stärke gegeben hätte. Cottos Team hat mit Geale wiederum einen idealen Gegner ausgesucht: Nicht zu gefährlich, halbwegs bekannt und zumindest in Australien für eine ausgezeichnete Quote gut. Der Puertoricaner bleibt WBC-Weltmeister und trifft im Herbst auf Saul "Canelo" Alvarez, der die hispanische Anhängerschaft in Verzückung versetzt. Dieser Plan ist so klar vorgezeichnet, daß man fast geneigt wäre, Daniel Geale die Daumen zu drücken, obgleich ein Überraschungserfolg des Außenseiters Gennadi Golowkin keinen Schritt weiterbrächte.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/06/golovkin-i-look-forward-to-fighting-cotto-geale-winner/#more-194104

[2] http://www.boxingnews24.com/2015/06/roach-golovkin-brings-too-much-risk-and-little-reward-for-cotto/#more-194171

5. Juni 2015


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