Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


MELDUNG/1734: Vom Regen in die Traufe (SB)



David Lemieux ist neuer IBF-Weltmeister im Mittelgewicht

David Lemieux ist neuer IBF-Weltmeister im Mittelgewicht. Der 26jährige Kanadier setzte sich in Montreal einstimmig nach Punkten gegen den Ranglistenersten Hassan N'Dam durch. Sieben Runden lang dominierte der Lokalmatador seinen Gegner und schickte ihn viermal auf die Bretter, doch die letzten fünf Durchgänge gingen so eindeutig an den konditionsstärkeren Kontrahenten, daß dem Heimpublikum angst und bange wurde. Die Punktrichter gaben Lemieux dennoch den Zuschlag, der damit seine Bilanz auf 34 Siege und zwei Niederlagen ausbauen konnte.

Gennadi Golowkin, Superchampion der WBA, Weltmeister des kleinen Verbands IBO und Pflichtherausforderer beim WBC im Mittelgewicht, hatte schon zuvor sein Interesse bekundet, sich mit dem Sieger zu messen und die Gürtel zu vereinigen. Für den allseits gefürchteten Kasachen, der seit sechs Jahren sämtliche Gegner vorzeitig besiegt und noch nie in seiner Profikarriere verloren hat, ist Lemieux einer unter mehreren Wunschgegnern. Golowkin hat unzählige Male klargestellt, daß er keinen namhaften Gegner scheut und jederzeit bereit ist, auch in einer anderen Gewichtsklasse anzutreten. Da jedoch niemand Lust hat, das nächste Opfer der Superchampions zu werden, sind die Ausflüchte Legion.

Der Präsident der Golden Boy Promotions, Oscar de la Hoya, schien in dieser Hinsicht insofern leichtes Spiel zu haben, als die IBF David Lemieux zunächst eine Pflichtverteidigung seines neugewonnenen Gürtels auferlegt hatte. Wie es hieß, müsse der Kanadier diesen Kampf bis spätestens 20. Dezember austragen, so daß Golowkin erst 2016 zum Zuge kommen könnte. Unter diesen Umständen fiel es De la Hoya sicher leicht zu erklären, man wolle auf jeden Fall gegen den Kasachen antreten, was nur eben in diesem Jahr nicht mehr möglich sei.

Oscar de la Hoya will überdies eine Schwäche in Golowkins Kampfesweise erkannt haben, der seines Erachtens schlecht im Rückwärtsgang boxen könne. Diese Einschätzung läßt sich jedoch nicht belegen, da es seit langem keinem Gegner mehr gelungen ist, den Kasachen in die Defensive zu zwingen. Sollte Lemieux dies versuchen, müßte er nicht nur über eine lange Strecke in hoher Frequenz schlagen, sondern sich dabei auch den verheerenden Treffern Golowkins aussetzen, was noch niemandem gut bekommen ist. Legt man die gravierenden Konditionsprobleme des Kanadiers im letzten Drittel seines Kampfs gegen Hassan N'Dam zugrunde, wäre das Unterfangen um so verhängnisvoller, den Superchampion durch ein enormes Tempo in der Anfangsphase zurückzudrängen.

Nicht minder fragwürdig ist De la Hoyas Behauptung, Lemieux schlage sehr viel wirkungsvoller zu als Golowkin. Wäre das tatsächlich der Fall, hätte N'Dam keine Chance gehabt, sich von den vier Niederschlägen zu erholen und gegen Ende des Kampfs klar den Ton anzugeben. Für einen Fernvergleich böte sich Gabriel Rosado an, den beide besiegt haben. Der Kasache brauchte sieben Runden, um den ständig vor ihm weglaufenden Gegner schließlich zu stellen und auf die Bretter zu schicken. Hingegen benötigte der Kanadier neun Runden, obgleich sich ihm Rosado zum offenen Schlagabtausch stellte. [1]

Wie Golowkins Promoter Tom Loeffler unterdessen verlauten ließ, habe der Verband IBF auch dann keine Probleme mit einem Kampf gegen Lemieux, wenn dieser zwischenzeitlich noch nicht mit einem Pflichtherausforderer in den Ring gestiegen sei. Sollte diese Auffassung zutreffen, stünde De la Hoyas Argument auf tönernen Füßen, man wolle sich dem Kasachen nur zu gern stellen, dürfe das aber vorerst noch nicht. Für den Kanadier steht derzeit keine höherwertige Alternative in Aussicht, die einen Kampf gegen Golowkin überträfe. Miguel Cotto verteidigt den WBC-Titel im September freiwillig gegen Saul "Canelo" Alvarez, so daß die beiden populärsten Kandidaten miteinander beschäftigt sind.

Da Oscar de la Hoya kaum riskieren wird, seinen frischgebackenen Weltmeister im Kampf gegen Golowkin zu opfern, muß er sich wohl eine andere Ausrede einfallen lassen, um den Verzicht auf diese Möglichkeit zu begründen. Er hat sich mit der Behauptung, Lemieux schlage härter als der Kasache, recht weit aus dem Fenster gehängt und muß nun fürchten, beim Wort genommen zu werden. Der Gründer und Eigner der Golden Boy Promotions ist indessen Experte genug, um zu wissen, daß sich sein kanadischer Champion relativ rasch verausgabt, weil er sehr aufwendig schlagen muß, um Wirkung zu erzielen. Verglichen mit Lemieux wirkt Golowkin regelrecht entspannt, selbst wenn er seinen Gegner Runde für Runde unerbittlich jagt und immer wieder mit gefährlichen Schlägen traktiert.

Hält man den Kanadier von Gennadi Golowkin fern, könnte er dennoch vom Regen in die Traufe kommen, da er dann womöglich auf Tureano Johnson träfe. Dieser ist zwar weniger gefährlich als der Kasache, verfügt aber dennoch über eine Schlagwirkung, der Lemieux nicht gewachsen sein dürfte. Käme es zu diesem Kampf und einer Niederlage des Kanadiers, wäre dieser für den Superchampion kaum noch von Interesse. Böte sich De la Hoya und Lemieux die Chance, den IBF-Titel zunächst freiwillig zu verteidigen, könnten sie einen leichteren Herausforderer aussuchen. Besteht der Verband jedoch auf einer Pflichtverteidigung mit der einzigen Ausnahme eines Kampfs gegen Golowkin, sind die Wahlmöglichkeiten begrenzt. Daher ist nun die IBF gefordert, mit einer eindeutigen Vorgabe Klarheit zu schaffen.


Fußnote:

[1] htp://www.boxingnews24.com/2015/06/de-la-hoya-lemieux-wont-fight-golovkin-until-2016/#more-195244

25. Juni 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang