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MELDUNG/1985: Offen wie ein Scheunentor (SB)



Außenseiter Joe Smith fällt Andrzej Fonfara

Der namhafte polnische Halbschwergewichtler Andrzej Fonfara hat überraschend gegen den weithin unbekannten Joe Smith verloren. Er mußte sich dem Außenseiter in Chicago bereits in der ersten Runde durch technischen K.o. geschlagen geben. Was für den 28jährigen Favoriten wie eine leicht zu bewältigende Aufgabe ausgesehen haben mochte, verleitete ihn offenbar dazu, von Beginn an offen auf den Gegner loszugehen, ohne auf die eigene Deckung zu achten. Der mangelnde Respekt vor den Möglichkeiten des Kontrahenten rächte sich sofort, als Fonfara einen seiner wuchtigen Schläge an den Mann bringen wollte. Smith kam ihm mit einem Treffer seiner Rechten zuvor, der den Polen niederstürzen ließ.

Als Fonfara mühsam wieder auf die Beine kam, taumelte er in die Seile. Ringrichter Hector Augot gab den Kampf noch einmal frei, doch Smith setzte sofort nach und verpaßte dem Gegner weitere schwere Treffer. Ein linker Haken ließ Fonfaras Kopf zur Seite schnellen, eine Rechte schickte ihn in der Ringecke zu Boden. Als der Pole sich noch einmal aufraffte, ging der Referee dazwischen und entschied nach 2:32 Minuten der ersten Runde auf Abbruch, da der gestürzte Favorit nicht mehr in der Lage war, sich zu verteidigen. Während Smith dank dieses unerwarteten Erfolgs seine Bilanz auf 22 Siege und eine Niederlage ausbaute, sind für den bislang an Nummer zwei der WBC-Rangliste und als Dritten der WBA geführten Fonfara nunmehr 28 gewonnene und vier verlorene Auftritte notiert. [1]

Obgleich Joe Smith, der bislang in der Baubranche tätig ist, wenn er nicht gerade boxt, im Vorfeld erklärt hatte, ein Sieg könne sein Leben verändern, dürfte kaum jemand diese Einschätzung für bare Münze genommen haben. Nun hat er sein Vorhaben auf so spektakuläre Weise in die Tat umgesetzt, daß eine Wende in seiner Karriere nicht auszuschließen ist. Wie Smith hinterher sagte, habe er mit einem Kampf über zwölf Runden gerechnet. Er sei in den Ring gestiegen, um den Beweis anzutreten, daß er es mit den führenden Akteuren seiner Gewichtsklasse aufnehmen könne. Fonfara habe sich mit einigen der besten Halbschwergewichtler gemessen und sei von keinem so dominiert worden wie an diesem Abend.

Ihm sei bekannt gewesen, daß der Pole dann und wann seine Deckung vernachlässigt, wenn er schlägt. Deshalb habe er beschlossen, stets mitzuschlagen und eine solche Chance zu nutzen, was ihm viel früher als erwartet gelungen sei. Als sein Gegner daraufhin geschwächt gewesen sei, habe er ihn nicht mehr vom Haken gelassen. Er sei entschlossen gewesen, sich durchzusetzen, und werde sich ganz nach oben durchkämpfen, so Smith, von dem man künftig sicher noch manches sehen und hören wird.

Andrzej Fonfara räumte unumwunden ein, daß Smith gewaltig zuschlagen könne und ihn mit einem Volltreffer erwischt habe. Er selbst habe in der Anfangsphase einige gute Schläge ins Ziel gebracht und sei zu selbstsicher geworden. Den entscheidenden Schlag habe er nicht kommen gesehen und ihn deshalb auch nicht abschwächen können. In Erwartung eines sicheren Sieges zu scheitern, habe ihn tief enttäuscht, aber so sei Boxen nun einmal. Jetzt werde er zunächst eine Erholungspause einlegen und dann an die Arbeit zurückkehren. [2]

Die unverhoffte Niederlage gegen den als bloßen Aufbaugegner verpflichteten Joe Smith hat Fonfaras Pläne durchkreuzt, im Dezember mit dem amtierenden WBC-Weltmeister Adonis Stevenson in einer Revanche aufeinanderzutreffen. Bei ihrer ersten Begegnung im Mai 2014 hatte der Pole eine gute Figur gemacht und den Kanadier sogar einmal auf die Bretter geschickt, doch mußte er sich am Ende einstimmig nach Punkten geschlagen geben. Danach hatte er drei Kämpfe gewonnenen, in denen er sich gegen Doudou Ngumbu, Julio Cesar Chavez jun. und Nathan Cleverly durchsetzte. Besonders spektakulär fiel das Duell mit dem Waliser aus, das im Oktober in Chicago über die Bühne gegangen war. Die Kontrahenten schlugen fast ununterbrochen aufeinander ein und brachten es über zwölf Runden zusammen auf die astronomische Zahl von mehr als 2500 ausgeführten Schlägen. Fonfara behielt am Ende die Oberhand, weil er wirkungsvoller als der frühere WBO-Weltmeister Cleverly geschlagen hatte.

Die Siege über namhafte Gegner wie Julio Cesar Chavez und Nathan Cleverly gaben Fonfara Auftrieb, zumal man ihm schon zuvor attestiert hatte, er sei unter den relativ schwachen Herausforderern, die sich Adonis Stevenson auszusuchen pflegt, der mit Abstand stärkste gewesen. Der Champion hatte damals den Eindruck erweckt, ihn langweile der Kampf gegen den Polen zusehends, da er ihn dominierte. Als Fonfara ihn jedoch plötzlich niederstreckte, schien dies ein Weckruf für den Weltmeister gewesen zu sein, der sich danach noch einmal voll ins Zeug legte, um die Oberhand zu behalten.

Seither legte Stevenson keine erkennbare Neigung an den Tag, Fonfara eine zweite Chance einzuräumen. Er wählte für seine nächste Titelverteidigung am 29. Juli in Quebec City den US-Amerikaner Thomas Williams aus, der zwar eine gute Bilanz von 20 Siegen und einer Niederlage mitbringt, aber in der WBC-Rangliste nur an Nummer acht und damit deutlich hinter Fonfara notiert ist. Wie der Pole vor seinem Kampf gegen Smith offenbart hatte, sei es schon recht frustrierend, Adonis Stevenson hinterherzulaufen, der aus welchen Gründen auch immer kein Interesse an einer Revanche habe. Er werde jedoch seinen Job erledigen und nicht lockerlassen, bis er erneut um den Titel kämpfen könne. [3]

Hatte ihn Adonis Stevenson seinerzeit unterschätzt und dafür beinahe mit einer Niederlage bezahlt, so unterlief Andrzej Fonfara nun eine ähnliche Fehleinschätzung im Falle Joe Smiths. Daß der Pole seine Deckung vernachlässigt, wenn er einen wuchtigen Schlag ausführt, hatte sich schon im Duell mit Nathan Cleverly gezeigt. Da damals beide viel abbekamen und der Waliser über keine sonderlich gute Schlagwirkung verfügt, fiel das zumindest unter dem Strich nicht zu Lasten Fonfaras ins Gewicht. Nun hat sich ein krasser Außenseiter diese Schwäche zunutze gemacht und mit einem Schlag Andrzej Fonfaras Ambitionen den Boden entzogen.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/06/andrzej-fonfara-vs-joe-smith-jr-results/#more-212100

[2] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/16323674/light-heavyweight-contender-joe-smith-upsets-favorite-andrzej-fonfara-first-round-tko

[3] http://www.boxingnews24.com/2016/06/fonfara-wants-adonis-stevenson-rematch-december/#more-212079

20. Juni 2016


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