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MELDUNG/1996: Keine Angst vor Scheinangriffen! (SB)



Revanche zwischen Fury und Klitschko nimmt Gestalt an

Die Revanche zwischen Tyson Fury und Wladimir Klitschko findet am 29. Oktober in der Manchester Arena statt. Der ursprünglich für den 9. Juli angesetzte Kampf mußte verschoben werden, nachdem sich der Brite eigenen Angaben zufolge beim Lauftraining das Fußgelenk verstaucht hatte. Unbestätigten Gerüchten zufolge war der Titelverteidiger zu diesem Zeitpunkt in so schlechter körperlicher Verfassung, daß eine Terminverlegung für ihn der einzige Ausweg gewesen sei. In den verbleibenden vier Monaten sollte es Fury möglich sein, die Verletzung auszukurieren und sich in eine angemessene Form zu bringen.

Während der inzwischen 40 Jahre alte Klitschko, für den 64 Siege und vier Niederlagen zu Buche stehen, mit Sicherheit gut vorbereitet antreten wird, bleibt abzuwarten, wie ernst der in 25 Kämpfen ungeschlagene Weltmeister die Tortur der Gewichtsabnahme und Konditionsarbeit nimmt. Fury redet so viel und so kraus daher, daß er mitunter die Übersicht selbst mit Blick auf die eigene Interessenlage zu verlieren scheint. Vielleicht hat er tatsächlich keine Lust mehr und will nur noch ein letztes Mal abkassieren, um danach mit Hilfe des reichlich verdienten Geldes sein Leben außerhalb des Rings zu genießen. Vielleicht setzt er aber auch zu einem weiteren Täuschungsmanöver an und will den Ukrainer mit einem hochmotivierten Auftritt überraschen. Vielleicht weiß er aber lediglich selber nicht so genau, was er eigentlich will.

Als Tyson Fury im November 2015 die Titel in Düsseldorf dank eines einstimmigen Punktsiegs gewann, war dies ein Armutszeugnis für die Schwergewichtsszene. In einem Duell zweier enttäuschender Akteure reichte dem Briten eine nicht ganz so schwache Vorstellung wie die seines Gegners, um die Oberhand zu behalten. Er versetzte dem Ukrainer hier und da einen Klaps, wobei er mehr in der Luft herumfuchtelte, als ernsthaft anzugreifen. Dennoch stand Klitschko wie paralysiert im Ring herum und wagte es nicht, den Briten mit seiner Rechten anzugehen. Da ihn der 2,06 m große Fury nicht nur überragte, sondern immer wieder pendelnd auswich, fand der Ukrainer auch für den Jab und den linken Haken kein Ziel.

Als habe er im Laufe seiner langen Regentschaft vollends verlernt, einem Gegner nachzusetzen, ihn zu stellen und mit Schlägen einzudecken, schien ihn die Aussicht, bei seinem Vorstoß womöglich einige Treffer einstecken zu müssen, vollständig zu lähmen. Je energischer ihn sein Trainer Jonathon Banks und sein Bruder Vitali anspornten, häufiger zu schlagen, um so tiefer schien er in seiner Paralyse zu versinken. So kam es zu dem bizarr anmutenden Szenario, daß die Kontrahenten einander zwölf Runden lang gegenüberstanden und anstarrten, bis Fury am Ende dank seiner geringfügig größeren Aktivität die Oberhand behielt.

Hätte der Vertrag nicht eine Rückkampfklausel enthalten, wäre es kaum zu einer Neuauflage gekommen. Die erste Begegnung der beiden Schwergewichtler gab jedenfalls keinen Anlaß, sich eine Wiederholung zu wünschen. Wie die Verzögerung der Revanche zeigt, blockiert dieser Modus den Zugang zu den Titeln der Verbände WBA, WBO und IBO für lange Zeit. Dabei ist Fury kein souveräner Weltmeister, dem man eine gewisse Dauerhaftigkeit an der Spitze zutrauen würde. Kämen andere Kandidaten wie insbesondere der Kubaner Luis Ortiz zum Zuge, wäre es um den Briten geschehen. Er ist trotz seiner Größe nicht schwer zu treffen, läßt Nehmerqualitäten vermissen und hat überdies keine nennenswerte Schlagwirkung aufzubieten. Trifft er auf einen hochklassigen Gegner, der entschieden auf ihn losgeht, dürfte er mit seiner Kunst rasch am Ende sein.

Diese Einschätzung hatte vor dem ersten Kampf gegen Klitschko zu der Prognose geführt, daß der Ukrainer kaum verlieren könne, sofern er nur eine halbwegs passable Vorstellung geben und solange schlagen würde, bis Fury nach einem Volltreffer am Boden läge. Daß der Brite seinen Gegner zum Narren halten konnte, gibt allerdings Anlaß zur Befürchtung, daß ihm das ein zweites Mal gelingen könnte. Daher sind die Meinungen erneut geteilt, wer von beiden bei der Revanche die Oberhand behalten wird. Während die einen davon ausgehen, daß sich Fury wiederum mit diversen Kapriolen aus der Affäre ziehen wird, gehen andere davon aus, daß die Ära des Briten binnen weniger Runden abgelaufen sein dürfte.

Niemand scheint dem Titelverteidiger eine grundsätzlich andere Vorgehensweise zuzutrauen, als einen Schlagabtausch zu verhindern und mit seinen längeren Armen einige harmlose Treffer zu landen, die ihm auf den Zetteln der Punktrichter gutgeschrieben werden. Einig ist man sich in der Formel, daß Klitschko schlichtweg häufiger schlagen müsse, um sich durchzusetzen. Deshalb kreisen die aktuellen Prognosen um die schlichte Einschätzung, ob der Ukrainer das tun oder lassen wird. [1]

Carl Froch, ehemals Weltmeister im Supermittelgewicht und auch im sportlichen Ruhestand nach wie vor an dem aktuellen Geschehen im Ring interessiert, setzt auch bei der Revanche auf Tyson Fury. Dabei schätzt er seinen Landsmann keineswegs als den besseren Boxer ein, zumal Klitschko schneller und wirksamer schlage, ja im Grunde alle Vorteile auf seiner Seite habe. Er müßte den Champion lediglich in die Seile treiben, dort festsetzen und mit einem Volltreffer seiner Rechten fällen. Dennoch rechne er mit einem weiteren langweiligen Kampf, der genauso auszugehen drohe wie der erste, da Klitschko auch im zweiten Anlauf das Erforderliche unterlassen werde.

Bei seinem Vorschlag, wie Fury zu besiegen sei, hatte Froch offenbar seinen zweiten Kampf gegen George Groves vor Augen. Damals stellte er den Gegner in der achten Runde an den Seilen und traf ihn mit einer wuchtigen Rechten am Kopf, die den Herausforderer augenblicklich zu Boden stürzen ließ. Als Groves wieder zu sich kam, war der Kampf bereits beendet und Frochs ausgelassene Jubelfeier längst im Gange. So plausibel dieses Rezept klingen mag, bräuchte Klitschko den Kontrahenten nicht einmal bis an die Seile jagen. Es würde vermutlich vollkommen ausreichen, ihn mitten im Ring mit einem paßförmigen Einzeltreffer zu erwischen, der Furys bekanntermaßen schwaches Kinn auf die Probe stellt. [2]

Um diesen entscheidenden Schlag anzubringen, bedarf es allerdings diverser Ansätze. Darum kommt Klitschko schon deswegen nicht herum, weil er Fury andernfalls gar nicht erreicht. Der Brite hat in ihrem ersten Kampf demonstriert, daß er sich angesichts seiner Größe nur nach hinten wegstrecken oder seitlich auspendeln muß, um außer Reichweite zu bleiben. Rückt der Ukrainer nach, um den Champion mit weiteren Schlägen einzudecken, wird es eng für Fury. Dessen Taktik ist weder komplex noch unüberschaubar, da sie auf ständigen Scheinangriffen beruht, denen nur selten tatsächliche Angriffe folgen. Man kann darüber räsonieren, warum Klitschko diese Manöver des Briten nicht schon beim Studium seiner früheren Kämpfe hinreichend analysiert und entsprechende Konsequenzen gezogen hat. Fest steht, daß er sich von den Finten des Briten bis zur Handlungsunfähigkeit einschüchtern ließ. Gelingt es ihm, die Scharade Furys nicht für bare Münze zu nehmen, dürfte der Bann gebrochen sein.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/07/tyson-fury-vs-wladimir-klitschko-rematch-set-october-29/#more-212899

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/07/fury-vs-klitschko-result-says-froch/#more-212870

5. Juli 2016


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