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MELDUNG/2000: Die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit (SB)



Robert Stieglitz möchte noch einmal Weltmeister werden

Robert Stieglitz möchte noch einmal Weltmeister werden. Der mittlerweile 35 Jahre alte Magdeburger, der bei Promoter Ulf Steinforth unter Vertrag steht, war zweimal WBO-Champion im Supermittelgewicht. Er bestritt nicht weniger als vier Kämpfe gegen Arthur Abraham, der ihm schließlich den Titel endgültig abnahm. Die World Boxing Organization ließ die beiden gewähren, was dazu führte, daß diese Trophäe geraume Zeit in Deutschland hin und her wanderte. Dem deutschen Publikum gefiel das recht gut, so daß sich die Duelle einheimischer Couleur ausgezeichnet vermarkten ließen.

Beim vierten und letzten Aufeinandertreffen im Juli 2015 landete Stieglitz in der sechsten Runde unsanft auf den Brettern. Nach dieser Niederlage war Abraham kein Thema mehr, worauf der Magdeburger mangels aussichtsreicher Alternativen ins Halbschwergewicht aufstieg. Dort hat er sich seither gegen Robert Rosenberg und Ricardo Marcelo Ramallo durchgesetzt, so daß nun 49 Siege, fünf Niederlagen sowie ein Unentschieden für ihn zu Buche stehen.

Wie Stieglitz versichert, wolle er in absehbarer Zeit einen Weltmeister herausfordern, zuvor aber Europameister im Halbschwergewicht werden. Zu diesem Zweck verhandelt sein Team mit Mehdi Amar, der sich den vakanten kontinentalen Titel im Mai durch einen einstimmigen Punktsieg über Sergej Demschenko gesichert hat. Es war bereits der zweite Erfolg des Franzosen gegen diesen Kontrahenten. Der 34jährige Amar hat sich 2014 unentschieden von Konni Konrad getrennt und früher in seiner Karriere gegen Nadjib Mohammedi, Mehdi Bouadla, Hassan N'Dam sowie Pierre Moreno verloren. Mit einer Bilanz von 33 Siegen, vier Niederlagen und zwei Unentschieden ist er ein Europameister, den zu entthronen sich Stieglitz gute Chancen ausrechnet, zumal der Kampf in Deutschland ausgetragen werden soll.

Ob der Magdeburger im Supermittel- oder Halbschwergewicht Weltmeister werden möchte, ließ er bei seiner jüngsten Stellungnahme offen. Sollte er das höhere Limit ins Auge fassen, in dem er derzeit seine Kreise zieht, wäre er sicher gut beraten, einen großen Bogen um die Titelträger Sergej Kowaljow (WBA-Superchampion, WBO, IBF) sowie Adonis Stevenson (WBC) zu machen. Wenngleich Stieglitz zweifellos ein technisch versierter und erfahrener Kandidat ist, fehlt es ihm doch an Schlagwirkung, um dem Russen oder dem Kanadier Paroli zu bieten. Davon abgesehen wäre es wenig aussichtsreich, einen der beiden für eine Titelverteidigung gegen den Magdeburger zu erwärmen, der in den USA und in Kanada so gut wie unbekannt ist.

Eine naheliegendere Option wäre Jürgen Brähmer, der reguläre Weltmeister der WBA im Halbschwergewicht. Der bei Sauerland Event unter Vertrag stehende Schweriner hat seinen Titel gegen Herausforderer verteidigt, die im internationalen Kontext nicht zu den allerbesten Akteuren gehören. Deshalb gilt er als das schwächste Glied in der Kette der aktuellen Weltmeister dieser Gewichtsklasse. [1] Angesichts der Beliebtheit innerdeutscher Kämpfe beim hiesigen Boxpublikum sollte es möglich sein, eine diesbezügliche Übereinkunft zwischen Sauerland und Steinforth herbeizuführen, die in der Vergangenheit nicht nur bei den Duellen zwischen Stieglitz und Abraham schon des öfteren einvernehmlich zusammengearbeitet haben.

Sollte sich Robert Stieglitz mit dem Gedanken tragen, doch wieder ins Supermittelgewicht zurückzukehren, läge der amtierende WBO-Champion Gilberto Ramirez wohl jenseits seiner Möglichkeiten. Wenngleich der Mexikaner jenen Gürtel in seinen Besitz gebracht hat, den der Magdeburger einst mehrere Jahre trug, ist er doch zu jung und agil, als daß Stieglitz ihn in die Schranken weisen könnte. Zumindest hat Ramirez beim Titelgewinn gegen Arthur Abraham in Las Vegas eine überzeugende Leistung geboten und den enttäuschenden Berliner regelrecht vorgeführt. Während Abraham Runde für Runde vergeblich darauf wartete, Ramirez in passender Schlagdistanz anzutreffen, sammelte dieser mit seinem rasanten Wechsel von Vorstoß und Rückzug unentwegt Punkte. Stieglitz hat gegen Abraham verloren, der wiederum chancenlos gegen Ramirez war - wenngleich solche Ketten natürlich keine letztgültigen Schlußfolgerungen zulassen, spricht doch wenig dafür, daß sich der Magdeburger gegen den Mexikaner durchsetzen könnte.

Ramirez sollte bei seiner ersten freiwilligen Titelverteidigung am 23. Juli im MGM Grand in Las Vegas auf Dominik Britsch aus dem Team Sauerland treffen, doch mußte er diesen Auftritt aufgrund einer Verletzung an der Hand vor wenigen Tagen kurzfristig absagen. Da er sich nun einer Operation unterzogen hat, fällt er ärztlichen Prognosen zufolge mindestens fünf Monate aus. Ob Britsch danach seine Chance bekommt, ist ungewiß, zumal Promoter Bob Arum für seinen Champion im nächsten Jahr Kämpfe gegen die namhaftesten Akteure wie insbesondere den überragenden Mittelgewichtler Gennadi Golowkin ins Auge gefaßt hat. Allein schon aus diesem Grund muß Stieglitz den Mexikaner aus seiner Liste streichen.

Aus der Not eine Tugend zu machen und zum fünften Mal gegen Arthur Abraham anzutreten, wäre ebenfalls keine gute Idee. Zum einen dürfte das Interesse der deutschen Zuschauerschaft an dieser Serie inzwischen erlahmt sein, zum anderen stünde dabei auch kein Titel mehr zur Disposition. Weder Stieglitz noch Abraham wäre mit einem solchen Kampf wirklich gedient, der keinem von beiden weiterhelfen würde, entgegen aller Unwahrscheinlichkeit doch noch einmal einem Kampf um die Weltmeisterschaft näherzukommen.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/07/robert-stieglitz-vs-mehdi-amar-ebu-title/#more-212934

9. Juli 2016


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