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MELDUNG/2007: Phlegmatischer Auftritt am Prenzlauer Berg (SB)



Arthur Abraham setzt sich gegen Tim-Robin Lihaug durch

Vor drei Monaten hatte Arthur Abraham in Las Vegas den WBO-Titel im Supermittelgewicht nach einem desolaten Auftritt an den jungen Mexikaner Gilberto Ramirez verloren und war auf Rang sieben der übergreifenden Weltrangliste zurückgefallen. Am letzten Wochenende kehrte er vor 5000 Zuschauern in der Berliner Max-Schmeling-Halle in den Ring zurück, um sich zu rehabilitieren und einen neuen Anlauf zu nehmen. Im Falle einer weiteren Niederlage müsse er wohl die Boxhandschuhe an den Nagel hängen, so Promoter Wilfried Sauerland im Vorfeld des Kampfs. Um diese Gefahr möglichst klein zu halten, war man bei der Suche nach einem passenden Gegner auf den 23jährigen Norweger Tim-Robin Lihaug verfallen, der ebenfalls bei Sauerland unter Vertrag steht. Damit waren die Weichen auf einen frühen und überzeugenden Sieg des Lokalmatadors gestellt, der einen schwungvollen Neubeginn signalisieren sollte.

Zum Leidwesen der Zuschauer und Trainer Ulli Wegners boxte Arthur Abraham jedoch zunächst genauso schlecht weiter, wie er in Las Vegas aufgehört hatte. Vier Runden lang ließ er sich von dem zwölf Zentimeter größeren Skandinavier vorführen, der seine Reichweitenvorteile konsequent ausnutzte und den Berliner aus der Distanz dominierte. Ohne Respekt vor dem dreizehn Jahre älteren ehemaligen Weltmeister traktierte er ihn fleißig mit dem Jab, ohne sich auf einen Schlagabtausch einzulassen. [1] Das Phlegma seines Schützlings, der zunächst keinerlei Konsequenzen aus dem Debakel gegen Ramirez erkennen ließ, brachte Ulli Wegner auf die Palme: "Das kann ja wohl nicht wahr sein! Worauf wartest du denn? Hau endlich rein!" schrie der 74jährige Trainer aufgebracht aus der Ecke. [2]

Hätte der Norweger nicht von der fünften Runde an konditionell abgebaut, wäre Abraham womöglich auch gegen diesen als schwach eingestuften Kontrahenten in Bedrängnis geraten. Lihaug stellte beachtliche Nehmerqualitäten unter Beweis und steckte in diesem Durchgang acht wuchtige Treffer des Favoriten weg, der zusehends die Kontrolle übernahm. Abraham bereitete in zunehmendem Maße mit der linken Geraden seine rechte Schlaghand vor, ohne jedoch konsequent nachzusetzen und auf eine Entscheidung zu drängen. Obgleich der Berliner nun weitgehend freie Hand hatte und bei seinen Vorstößen auf immer weniger Widerstand traf, verschleppte er weiter das Tempo und streute nur gelegentlich druckvolle Kombinationen ein.

So zog sich der zunehmend ungleiche Kampf noch bis zur achten Runde hin, in der Abraham den Norweger schließlich mit einer wuchtigen Kombination zu Boden schickte. Wenig später folgte ein zweiter Niederschlag, und als Lihaug noch einmal auf die Beine kam, schlug der Berliner so heftig auf ihn ein, daß Trainer Thomas Hansvoll das Handtuch warf und Ringrichter Mikael Hook den Kampf 1:09 Minuten des Durchgangs abbrach.

Arthur Abraham, der seine Bilanz auf 45 Siege und fünf Niederlagen ausbaute, sicherte sich damit den vakanten internationalen Titel der WBO im Supermittelgewicht. Für einen früheren Weltmeister mutet diese Trophäe zwar nicht gerade imposant an, doch dürfte sie dem zuvor an Nummer sechs der WBO-Rangliste geführten Berliner den Weg zu einem erneuten Titelkampf ebnen. Für Tim-Robin Lihaug, der bislang auf Platz 15 dieser Rangliste notiert war, stehen nun 15 gewonnene und zwei verlorene Auftritte zu Buche. [3]

Wie Abraham nach seinem Erfolg erklärte, sei er einfach nur froh, gewonnen zu haben. Dieser Sieg sei lediglich eine Zwischenstation, da der Kampf nicht seinem Niveau entsprochen habe. "Meine Welt sind WM-Kämpfe", gab er erleichtert zu Protokoll. Daß er zumindest in den ersten vier Runden keine Anhaltspunkte dafür geliefert hatte, noch immer zur Welt der Weltmeister zu gehören, und ihm der als Kanonenfutter verpflichtete Norweger doch unerwartete Probleme bereitet hatte, ließ der Berliner geflissentlich unerwähnt.

Wie sich einmal mehr herausstellte, kommt Abraham im Supermittelgewicht mit den hochgewachsenen Gegnern nicht zurecht. Die ihm offenbar in Fleisch und Blut übergegangene Kampfesweise, solange abzuwarten, bis sich der Gegner an ihm abgearbeitet hat, um dann über ihn herzufallen, funktioniert allenfalls bei schwachen Kontrahenten wie dem Norweger, die überdies konditionell abbauen. Im Grunde hat sich seit den drei Niederlagen im Super-Six-Turnier vor fünf Jahren nichts wesentliches geändert. Der Berliner sicherte sich zwar 2014 den Titel der vergleichsweise schwach besetzten WBO und bot dem deutschen Publikum eine unterhaltsame Dauerfehde von vier Duellen mit Robert Stieglitz, doch spielte sich das im internationalen Kontext gesehen auf einem Nebengleis ab. Als er schließlich mit dem mexikanischen Pflichtherausforderer Gilberto Ramirez einen anspruchsvollen Kandidaten zugewiesen bekam, endete seine Regentschaft als WBO-Champion.

Abrahams Erfolg im Supermittelgewicht zwischen 2012 und 2015 war nicht zuletzt das Ergebnis einer Auswahl passender Gegner, die den Rahmen seiner Möglichkeiten nicht sprengten. An Kontrahenten wie Badou Jack, James DeGale, Callum Smith oder George Groves wäre er wohl schwerlich vorbeigekommen. Fast hätte ihm sein junger Teamkollege Tyron Zeuge an diesem Abend am Prenzlauer Berg sogar den Rang des Zugpferds bei Sauerland abgelaufen. Zeuge brachte es im Hauptkampf der Veranstaltung jedoch nur zu einem Unentschieden gegen Giovanni de Carolis, der damit regulärer WBA-Weltmeister im Supermittelgewicht blieb. Zudem waren unabhängige Experten der Auffassung, daß ein Punktsieg des Italieners eher dem Verlauf entsprochen hätte.

Ob Abraham gut beraten ist, einen zweiten Kampf gegen Gilberto Ramirez anzustreben, muß man mit einem Fragezeichen versehen. Man arbeite an einer Revanche, die Arthur unbedingt wolle, klang bei Wilfried Sauerland eine gewisse Skepsis an, was diese Option betrifft. Das Ziel müsse sein, Ramirez erneut vor die Fäuste zu bekommen, stieß sein Sohn Kalle ins gleiche Horn. So lautete wenigstens die offizielle Perspektive, solange Abraham und Zeuge auf parallelen Gleisen fuhren. Da sich der 23jährige Zeuge im Kampf gegen den Italiener eine Schulterverletzung zugezogen hat, die ihn länger außer Gefecht setzen dürfte, wäre ein Titelkampf zwischen Arthur Abraham und Giovanni de Carolis nicht auszuschließen. Es wäre nicht ihre erste Begegnung im Ring, da sich der Berliner im Oktober 2013 in Oberhausen ungefährdet nach Punkten gegen den Italiener durchgesetzt hatte. Während sich De Carolis seither durchaus verbessert hat, kann man das von Abraham mit Blick auf seine jüngsten Auftritte allerdings nicht gerade sagen.

Um eine Revanche gegen Gilberto Ramirez zu gewinnen, der ihm in Las Vegas sämtliche Runden abgenommen hatte, müßte der Berliner über sich hinauswachsen. Giovanni de Carolis erneut zu besiegen, wäre zwar nicht leicht, aber zumindest etwas aussichtsreicher als ein erneuter Gang mit dem Mexikaner. Da Promoter Bob Arum seinen WBO-Champion mit namhaften Gegnern zusammenführen will, ist ohnehin fraglich, ob er sich überhaupt für eine Revanche gegen Abraham erwärmen könnte. Anders sähe es bei De Carolis aus, der bereits zweimal gegen Vincent Feigenbutz und nun gegen Tyron Zeuge gekämpft hat und damit fast schon ein Dauergast bei Sauerland ist. Da die Wachablösung vertagt ist und Abraham zumindest vorläufig wieder fester im Sattel sitzt, könnte in seinem Umfeld die Auffassung reifen, ihn womöglich in Richtung des eher erreichbaren regulären WBA-Titels zu steuern, als vergeblich dem WBO-Gürtel nachzujagen.


Fußnoten:

[1] http://www.boxen.com/news-archiv/newsdetails/article/abraham-siegt-wieder/23.html

[2] http://www.welt.de/sport/boxen/article157115514/Worauf-wartest-Du-denn-Hau-endlich-rein.html

[3] http://www.boxingnews24.com/2016/07/arthur-abraham-vs-tim-robin-lihaug-results/#more-213531

20. Juli 2016


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