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MELDUNG/2059: Poker um den heißbegehrten Gürtel (SB)



Wladimir Klitschko verschiebt seinen nächsten Auftritt

Wladimir Klitschko wird nach Angaben seines Managers Bernd Bönte am 10. Dezember nicht in den Ring steigen, sondern seinen nächsten Kampf erst im März oder April 2017 bestreiten. Der Ukrainer hatte seine vier Titel im Schwergewicht im November 2015 an Tyson Fury verloren, der die vertraglich vereinbarte Revanche am 9. Juli und dann auch am 29. Oktober absagte. Inzwischen hat der mit psychischen Problemen sowie Alkohol- und Drogenkonsum kämpfende Brite seine Gürtel zurückgegeben und damit den Weg zur Neuvergabe freigemacht. In Folge dieser mißlichen Entwicklung hat der mittlerweile 40 Jahre alte Klitschko bereits die mit Abstand längste Pause seiner Karriere einlegen müssen, die sich nun um weitere drei bis vier Monate streckt.

Der Ukrainer wollte eigentlich am 10. Dezember in der Manchester Arena gegen den amtierenden IBF-Weltmeister Anthony Joshua antreten und hatte sicherheitshalber zum selben Termin die Hamburger Barclaycard Arena vorgebucht, um dort möglicherweise gegen den Australier Lucas Browne um den vakanten WBA-Titel zu kämpfen. Für die endgültige Absage beider Optionen führt Bönte nun mehrere Gründe an. Grundsätzlich sei die Vorbereitungszeit auf nur noch fünf Wochen zusammengeschrumpft, ohne daß eine definitive Planung vorliege. Um den Kampf angemessen zu bewerben, reiche diese Frist kaum aus. Zudem habe die WBA noch immer nicht entschieden, ob bei einem Kampf zwischen Joshua und Klitschko auch der Titel dieses Verbands auf dem Spiel steht. Laut WBA-Präsident Gilberto Mendoza hat der zuständige Ausschuß zwar in der vergangenen Woche einen diesbezüglichen Beschluß gefaßt, dessen Bekanntgabe jedoch mehrfach verschoben worden sei, aber in Kürze erfolgen werde.

Hinzu kommt nach den Worten Bernd Böntes eine leichte Muskelverletzung an der Wade, die sich Klitschko vor wenigen Tagen beim Training zugezogen habe. Die Blessur sei nicht so schwerwiegend, daß man deswegen einen bereits vereinbarten Kampf abgesagt hätte. Man habe jedoch die aktuelle Situation am Wochenende ausgiebig beraten und sei in Erwartung einer positiven Entscheidung der WBA zu dem Entschluß gekommen, daß ein Kampf gegen Joshua auf Grund der längeren Vorbereitungszeit im Frühjahr günstiger sei.

Beide Boxer wünschten sich diesen Kampf, der gegenwärtig der bedeutendste im Schwergewicht sei. Es bestehe also kein Anlaß zu unnötiger Eile. Wie Joshuas Promoter Eddie Hearn rechne auch er damit, daß die WBA einer Austragung im Frühjahr ihren Segen geben werde, zumal sie dann in einem englischen Freiluftstadion mit größerem Fassungsvermögen als dem der Manchester Arena über die Bühne gehen könne. Bis dahin bleibe genug Zeit, nicht nur eine Pressekonferenz, sondern auch eine Präsentation in beiden Ländern auf die Beine zu stellen, um das Publikum auf das Ereignis einzustimmen. Der deutsche Fernsehpartner RTL könnte seine Werbeblöcke lukrativer vermarkten und Sky Sports würde in Großbritannien absehbar höhere Erträge im Pay-TV erzielen, so Bönte.

Der 27jährige Anthony Joshua hat noch immer vor, am 10. Dezember in Manchester seinen nächsten Kampf zu bestreiten. Ein möglicher Gegner wäre sein Landsmann David Price, der sich in jüngerer Zeit mehrfach dafür ins Gespräch gebracht hat. Der 33 Jahre alte Liverpooler, für den 33 Siege und drei Niederlagen notiert sind, steht beim Berliner Promoter Sauerland Event unter Vertrag. Er galt einst als vielversprechendes Talent, mußte sich aber seit 2013 dreimal frühzeitig geschlagen geben und hat zuletzt zwei schwache Gegner kurzerhand in die Schranken gewiesen. Für den in 17 Auftritten ungeschlagenen Joshua wäre dieser Kontrahent absehbar ein weiteres Opfer, das nach wenigen Runden die Segel streichen müßte. [1]

Klitschko, der 64 Kämpfe gewonnen und vier verloren hat, möchte noch einmal an seine neuneinhalbjährige Regentschaft als Weltmeister im Schwergewicht anknüpfen. Wie er versichert, sei er bald wieder gesund und bereit, gegen Joshua oder einen anderen Gegner anzutreten, um sich wenn möglich mehrere Titel zurückzuholen. Daß er angesichts der Ungewißheit, was die WBA plant, auf einen Rundumschlag im Frühjahr setzt, bei dem er zwei Gürtel gewinnen und eine ansehnliche Börse einstreichen könnte, ist nachvollziehbar.

Umgekehrt dürfte auch das Taktieren der WBA darauf zurückzuführen sein, daß der Verband um die bestmögliche Option pokert und abwägt, welcher Weltmeister aus seiner Sicht der zukunftsfähigste und einträglichste wäre. Da die Verbände bei Titelkämpfen mit einem prozentualen Anteil an der Gesamtbörse beteiligt sind, haben sie größtes Interesse an attraktiven und entsprechend umsatzstarken Duellen. Daß dabei sportliche Gesichtspunkte nicht selten in den zweiten Rang verwiesen und die eigenen Statuten und Regularien willkürlich interpretiert werden, liegt auf der Hand.

Um den vakanten Titel der WBO kämpfen Joseph Parker und Andy Ruiz am 10. Dezember in Neuseeland. Parker war bislang Pflichtherausforderer beim Verband IBF, zieht aber die Gelegenheit vor, sofort Weltmeister zu werden, statt darauf zu warten, bis ihm Anthony Joshua und dessen Promoter Eddie Hearn eine Chance geben. Hearn hat kürzlich den Kubaner Luis Ortiz unter Vertrag genommen, der als gefährlichster Kandidat im Schwergewicht gehandelt und deswegen von den prominentesten Rivalen tunlichst gemieden wird. Da Ortiz die WBA-Rangliste anführt, wäre er im Grunde der erste Anwärter für einen Kampf um den vakanten Titel. Der Kubaner soll jedoch am 12. November in Monte Carlo gegen Malik Scott antreten, und daß dabei der Gürtel der WBA neu vergeben wird, dürfte so gut wie ausgeschlossen sein. [2]


Fußnoten:

[1] http://www.espn.com/boxing/www.espn.com/boxing/story/_/id/17877660/former-heavyweight-world-champion-wladimir-klitschko-not-face-titleholder-anthony-joshua-anyone-else-dec-10-sit-march-april

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/10/wladimir-klitschko-injured-wont-fight-december-10/#more-219765

26. Oktober 2016


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