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MELDUNG/2109: Störsignale füttern das Publikum an (SB)



David Haye mimt Lebensgenuß statt Trainingsfleiß

Der britische Schwergewichtler David Haye erweckt den Eindruck, er nehme die Vorbereitung auf den Kampf gegen seinen Landsmann Tony Bellew am 4. März in der Londoner O2 Arena auf die leichte Schulter. Vor wenigen Tagen postete er Fotos, die ihn mit einem Cocktail in der Hand auf einer Art Jacht oder beim Wurf auf einen Basketballkorb zeigen. Während sein Widersacher abgeschottet von der Außenwelt in einem Hotel in Sheffield schuftet, wie sein Promoter Eddie Hearn unterstreicht, scheint Haye das Leben zu genießen. Ist ihm seine Favoritenstellung zu Kopf gestiegen, so daß er hartes Training für überflüssig hält und dies auch noch alle Welt wissen läßt?

Das Signal wurde wahrgenommen und augenblicklich heiß diskutiert, womit sein Zweck erfüllt sein dürfte. Wenngleich David Haye in der Tat als haushoher Favorit gehandelt wird, da Bellew zwar WBC-Weltmeister im Cruisergewicht ist, aber erstmals im Schwergewicht antritt, liegt ihm bei seiner jüngsten Aktion wohl eher daran, Werbung für ihren Kampf zu machen. Und da Provokationen bis hin zu einer inszenierten Fehde noch immer am ehesten für Schlagzeilen sorgen, hantiert der Brite seit jeher mit groben verbalen Klötzen, um seinen Interessen zur Durchsetzung zu verhelfen. Er bringt sich ins Gespräch, verschafft sich die gewünschten Auftritte, redet sich groß und den Gegner klein und sorgt dafür, daß der Spannungsbogen im Vorfeld nicht abreißt.

Daß Tony Bellew demgegenüber in der Versenkung verschwindet, hat zumindest den Nutzen, daß seine Rolle bei dem kommenden Auftritt nicht allzu sehr in den Vordergrund tritt. Wäre er der alles überragende Cruisergewichtler, für den er sich offenbar hält, läge ein vielversprechender Abstecher ins Schwergewicht nahe. Marko Huck hat seinerzeit den Russen Alexander Powetkin auf eine harte Probe gestellt und mußte sich nur knapp geschlagen geben. Bellew wird eine ähnlich überzeugende Vorstellung gegen Haye eher nicht gelingen. Er gewann den WBC-Titel im Cruisergewicht durch einen Sieg über Ilunga Makabu, der nicht in derselben Liga wie Murat Gassijew, Oleksandr Ussyk, Marco Huck, Denis Lebedew, Mairis Briedis, Krzystof Glowacki, Dmitrij Kudrijaschow oder Beibut Schumenow boxt. Wie diese lange Liste zeigt, ist Bellew weit davon entfernt, die Konkurrenz in die Schranken gewiesen zu haben.

Warum Ilunga Makabu damals als Nummer eins der WBC-Rangliste einer ganzen Reihe talentierterer Konkurrenten vorgezogen wurde, bleibt wie so oft in derartigen Fällen das Geheimnis des Verbands. Dennoch verkündete Bellew nach seinem Titelgewinn, er sei nun der beste Akteur des Cruisergewichts und stelle alle anderen Weltmeister und Kandidaten in den Schatten. Entgegen seiner maßlosen Selbstüberschätzung verdankt er den Aufstieg zweifellos dem Einfluß seines Promoters Eddie Hearn, der neben zahlreichen anderen namhaften Akteuren auch Anthony Joshua, den IBF-Weltmeister im Schwergewicht, unter Vertrag hat. Möglicherweise trägt sich Hearn mit dem Gedanken, Bellew zum möglichen Herausforderer Joshuas aufzubauen, wozu er allerdings einige Kämpfe gewinnen und in die Top 15 aufsteigen müßte. Das könnte zumindest erklären, warum Hearn, der ansonsten für seine Vorsicht in der Auswahl der Gegner für seine Boxer bekannt ist, Tony Bellew dem Risiko aussetzt, als Außenseiter gegen Haye anzutreten. Ein anderer Grund könnte natürlich sein, daß sich dieses Duell vor britischem Publikum bestens vermarkten läßt, da sich die Rivalen frühzeitig verbal aufeinander eingeschossen haben.

Wenngleich Hearn angekündigt hat, Anthony Joshua werde fortan nur noch hochklassige Kämpfe gegen gefährliche Kontrahenten bestreiten, ist diese Aussage mit Vorsicht zu genießen. Theoretisch könnte die Situation im Schwergewicht noch in diesem Jahr vollständig geklärt werden. Der Sieger des Kampfs zwischen Anthony Joshua und Wladimir Klitschko wird Weltmeister der WBA und IBF sein. WBC-Champion ist Deontay Wilder, der am liebsten zuerst gegen den WBO-Weltmeister Joseph Parker aus Neuseeland und dann gegen Joshua oder Klitschko antreten möchte, um die Gürtel einzusammeln. Denkbar wäre aber auch ein Kampf zwischen Joshua und Parker, worauf ein Gipfeltreffen mit Wilder folgen könnte.

Tony Bellew spielt in diesen Erwägungen eine marginale Rolle, doch könnte er dann ins Spiel kommen, wenn Hearn die Auseinandersetzung um die Vorherrschaft in der Königsklasse in die Länge zieht und zwischendurch ein passables Opfer für Joshua sucht. Voraussetzung wäre allerdings, daß Bellew die Oberhand gegen Haye behält, was recht unwahrscheinlich ist. Vielleicht gelingt ihm ja wieder ein Tiefschlag, den der Ringrichter nicht sieht, wie bei seiner Titelverteidigung gegen BJ Flores am 15. Oktober. Statt sich fairerweise zurückzuhalten und dem Gegner eine Atempause zu gönnen, legte Bellew unerbittlich nach und setzte den geschwächten Flores in der dritten Runde endgültig außer Gefecht.

So bleibt nur zu hoffen, daß der Kampf am 4. März von einem aufmerksamen Ringrichter geleitet wird, der stets auf der Höhe des Geschehens ist und Bellew keinen irregulären Vorteil verschafft. Wahrscheinlich wird es Haye ohnehin darauf anlegen, den Gegner von Beginn an mit schweren Treffern einzudecken und frühzeitig auf die Bretter zu schicken. Der Londoner hat nach einer vier Jahre währenden Abwesenheit seit seiner Rückkehr in den Ring mit Arnold Gjergjai und Mark de Mori zwei weithin unbekannte Kontrahenten frühzeitig besiegt. Dadurch kam er gar nicht erst in Verlegenheit, sich mit Konditionsproblemen herumzuschlagen. Dem Vernehmen nach ist er inzwischen wieder in ausgezeichneter körperlicher Verfassung, doch wird ihm kaum der Sinn nach einem langen und kräftezehrenden Gang mit Tony Bellew stehen, dessen Ausgang den Punktrichtern überlassen bleibt. [1]


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/02/haye-taking-easy-preparing-bellew/#more-226761

12. Februar 2017


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