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MELDUNG/2134: Britische Szene populärer denn je (SB)



Deontay Wilder nimmt Anthony Joshua aufs Korn

Deontay Wilder strebt einen Kampf zweier Weltmeister im Schwergewicht gegen Anthony Joshua noch in diesem Jahr an. Der WBC-Champion aus Tuscaloosa in Alabama möchte zunächst dem Neuseeländer Joseph Parker den WBO-Titel abnehmen, um dann den Briten um die Gürtel der WBA und IBF zu erleichtern. Sollte dieser Feldzug erfolgreich verlaufen, stünde der in 37 Auftritten ungeschlagene US-Amerikaner unangefochten an der Spitze der Königsklasse. Zieht es Parker jedoch vor, gegen Joshua anzutreten, müßte sich Wilder noch einige Zeit gedulden, bis er zum Zuge kommt.

Da Wladimir Klitschko höchstwahrscheinlich von seiner Option Gebrauch machen wird, eine Revanche gegen Anthony Joshua zu bestreiten, wird Wilder 2017 kaum mehr Gelegenheit bekommen, die Titel zusammenzuführen. Sollte es tatsächlich zum Duell zwischen dem US-Amerikaner und dem Briten kommen, stünden letzterem allergrößte Probleme ins Haus. Wenngleich er alle Kämpfe vorzeitig gewonnen und soeben mit dem Ukrainer seinen bislang gefährlichsten Kontrahenten in die Schranken gewiesen hat, zeigte er trotz seines Erfolgs doch auch erhebliche Schwächen. Wilder, der im Londoner Wembley-Stadion den Kampf vor Ort verfolgte, dürfte sich in der Auffassung bestätigt sehen, daß er Joshua besiegen kann.

Der Brite mußte nach einem Volltreffer in der sechsten Runde zu Boden gehen und konnte von Glück reden, daß Klitschko es nicht riskierte, entschieden nachzulegen. Im Falle eines Rückkampfs sollte der Ukrainer wissen, daß er Joshua mit der Rechten fast nach Belieben treffen kann. Könnte er überdies seinen gefährlichen linken Haken ins Ziel bringen, was ihm am vergangenen Wochenende in Wembley weitgehend mißlungen war, stünde es schlecht um den Briten, der abermals nach wenigen Runden Konditionsprobleme an den Tag legte und drei Runden brauchte, bis er sich von dem Niederschlag erholt hatte.

Wenngleich Joshuas Promoter Eddie Hearn nach dem Sieg seines prominenten Weltmeisters triumphierte, dieser sei nun der beste Akteur der gesamten Branche, hält diese Werbung in eigener Sache den tatsächlichen Verhältnissen nicht stand. Was Wilder gesehen hatte, düfte ihn motivieren, sich möglichst schnell mit dem Briten zu messen, zumal in England für ihn derzeit sehr viel mehr Geld als irgendwo sonst zu verdienen wäre. Der Präsident von Showtime Boxing, Stephen Espinoza, möchte Joshua allerdings bald in die USA holen, damit er sich dort einen Namen machen kann. Der Brite hat einen Exklusivvertrag mit dem Sender für die Übertragung seiner Kämpfe für das US-Publikum abgeschlossen, ist aber bislang ausschließlich in England aufgetreten. Am liebsten sähe Espinoza eigenen Angaben zufolge ein Duell zwischen Wilder und Joshua irgendwann im nächsten Jahr.

Sollte sich der Brite ein zweites Mal gegen Klitschko durchsetzen, wäre Deontay Wilder in der Tat die attraktivste, aber zugleich gefährlichste Option. Davon abgesehen böte Joseph Parker die günstige Gelegenheit, sich den WBO-Gürtel zu sichern, während ansonsten noch der Kubaner Luis Ortiz oder vielleicht der Sieger des Kampfs zwischen Fres Oquendo und Shannon Briggs von Interesse sein könnte. Espinoza müßte jedenfalls eine Menge Überzeugungsarbeit leisten, um Eddie Hearn zu bewegen, Joshua in den USA kämpfen zu lassen. Die 90.000 Zuschauer im Wembley-Stadion mit Klitschko und geschätzten 50 Millionen Euro Umsatz haben ein Zeichen gesetzt, das jegliche Einkünfte bei weitem übertrifft, die in den USA mit Gegnern wie Luis Ortiz, Carlos Takam, Jarrell Miller und selbst Deontay Wilder zu erzielen wären. [1]

Dessen Promoter Lou DiBella hat recht überraschend einen Kampf seines Schützlings gegen Tony Bellew ins Gespräch gebracht, der sich am Rande des Duells zwischen Joshua und Klitschko ein Wortgefecht mit Wilder geliefert hatte. Offenbar trägt sich DiBella mit dem Gedanken, Bellew als Türöffner zu nutzen, um darüber leichter an Anthony Joshua heranzukommen. Wilder könnte kurzen Prozeß mit Bellew machen und sich damit dem britischen Publikum empfehlen wie auch Eddie Hearn den Ball zuspielen, einen Rachezug Anthony Joshuas gegen den US-Amerikaner zu inszenieren, um die Niederlage des Landsmanns und Teamkollegen wettzumachen.

Tony Bellew ist in der Gunst der Zuschauerschaft gestiegen, seit der WBC-Weltmeister im Cruisergewicht bei seinem ersten Auftritt im Schwergewicht den nach wie vor populären David Haye besiegt hat. Daß ihm das nur deswegen gelungen ist, weil der Gegner nach einer Verletzung der Achillessehne nur noch aus dem Stand boxen konnte, ficht Bellew nicht an, der sich seither als bester Akteur der Königsklasse fühlt. Da man bei ihm davon ausgehen muß, daß er allen Ernstes glaubt, was er daherredet, ist keineswegs auszuschließen, daß er sich selbst Deontay Wilder ebenbürtig fühlt und gegen ihn antreten würde.

Andererseits dürfte Bellew wohl eher der Sinn nach einem Titelkampf gegen Anthony Joshua oder Joseph Parker stehen. Zum einen könnte er dabei mehr Geld als mit Wilder verdienen, zum anderen trotz der absehbaren Niederlage gewisse Aussichten haben, volle zwölf Runden zu überstehen. Während ihn der WBC-Champion jagen und zur Strecke bringen würde, wären Joshua und Parker möglicherweise nicht mobil genug, um ihn einzuholen. Bellew hat gegen David Haye unter Beweis gestellt, wie gut er weglaufen und sich den gewaltigen Schlägen eines überlegenen Gegners entziehen kann. [2]


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/05/deontay-wilder-wants-joshua-end-2017/#more-233558

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/05/wilder-vs-bellew/#more-233595

4. Mai 2017


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