Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


MELDUNG/2139: Werbekampagne oder Größenwahn? (SB)



Dem Munde nach hat Kell Brook den Sieg bereits in der Tasche

Wenngleich Kell Brook am 27. Mai in Sheffield als amtierender IBF-Weltmeister im Weltergewicht und Lokalmatador in Ring steigt, um seinen Titel gegen Errol Spence zu verteidigen, dürften die Vorteile in diesem Kampf doch eher auf seiten des Herausforderers zu finden sein. Der 30jährige Brite, für den 36 Siege und eine Niederlage zu Buche stehen, ist zwar erfahrener als sein drei Jahre jüngerer und in 21 Auftritten ungeschlagener Gegner aus den USA, doch gilt dieser als der aufsteigende Stern der Gewichtsklasse. Das ficht Brook jedoch nicht an, dessen Selbstbewußtsein wie so oft keine Grenzen kennt.

Da der Champion zuletzt einen Ausflug ins Mittelgewicht gemacht hatte, wo er gegen Gennadi Golowkin den kürzeren zog, mußte er sich einer Fastenkur unterziehen, um im angestammten Weltergewicht gegen den US-Amerikaner anzutreten. Noch bringt er einige Pfunde zuviel auf die Waage, die auch noch loszuwerden er jedoch für kein Problem hält. Er werde den Kampf mit seinen gewaltigen Schlägen für sich entscheiden, denen Spence nicht gewachsen sei, verkündet der Brite, obgleich er bislang kaum für außergewöhnlichen Dampf in den Fäusten bekannt war. Er fühle sich wunderbar, sei schnell auf den Füßen und könne es kaum noch erwarten, den Titel vor seinen Fans in Sheffield und in aller Welt erfolgreich zu verteidigen.

Brook ist so zuversichtlich, daß er sich bereits gedanklich mit seinem übernächsten Gegner befaßt und von WBA/WBC-Weltmeister Keith Thurman schwärmt, mit dem er sich am liebsten messen würde. Der hat jedoch einen schweren Kampf gegen Danny Garcia hinter sich, von dem er sich zweifellos einige Zeit erholen will. Auch danach dürfte der Brite kaum ein Thema für Thurman sein, für den eine Revanche gegen Garcia oder Shawn Porter, die er beide in hochklassigen Auftritten besiegt hat, wesentlich attraktiver wäre.

Aus seinem Trainingslager weiß Kell Brook recht Erstaunliches zu berichten. Er habe nicht nur eine Runde nach der anderen auf der Laufbahn gedreht, sondern auch im Sparring mit drei starken und ungeschlagenen Supermittelgewichtlern geboxt, die ihm Tag für Tag das Letzte abverlangt hätten. Nun sei er eine Kampfmaschine und wie eine Schlange bereit, jederzeit zuzuschlagen. Bei einem dieser Sparringspartner handelt es sich offenbar um den ambitionierten Jamie Cox, wobei sich grundsätzlich die Frage stellt, was das Team des Briten mit dieser speziellen Vorbereitung bezweckt. Für gewöhnlich sucht man Partner aus, die den kommenden Gegner bestmöglich simulieren, ihm also zumindest von der Physis her nahekommen. Sinn würde es machen, schnelle und druckvoll boxende Weltergewichtler oder allenfalls Halbmittelgewichtler zu verpflichten, da Spence keinesfalls dafür bekannt ist, durch Rehydrieren nach dem offiziellen Wiegen wesentlich schwerer zum Kampf anzutreten.

Möglicherweise gehen Brook und sein Trainer Dominic Ingle davon aus, daß ein Sparring mit körperlich überlegenen Partnern unbedingt erforderlich oder ohnehin von Vorteil sei, wenn man es mit einem gefährlichen Herausforderer wie Errol Spence zu tun bekommt. Warum sie das glauben könnten, bliebe allerdings ihr Geheimnis, da nicht abzusehen ist, wie der Brite einen wiederholten Schlagabtausch mit dem US-Amerikaner überstehen sollte. Kell Brook hat wohl nur dann eine Chance, wenn er sich auf eine Defensive verlegt, die den Gegner nicht zu Entfaltung kommen läßt. Beim Titelgewinn im Kampf gegen Shawn Porter klammerte der Brite zwölf Runden lang, während der Ringrichter zusah und ihn gewähren ließ.

Das würde jedoch gegen Spence kaum funktionieren, der im Unterschied zu Porter auf eine solche Strategie vorbereitet ist und zweifellos Gegenmittel geprobt hat. Folglich muß sich Brooks Team etwas anderes einfallen lassen, um den Herausforderer aus dem Konzept zu bringen und zu neutralisieren. Gegen Golowkin sah der Brite in der zweiten Runde gut aus, als er mit schnellen Vorstößen, gefolgt von sofortigen Ausweichmanöver punktete. Danach war er im dritten und vierten Durchgang mehr oder weniger auf der Flucht, bis ihn der Kasache in der fünften Runde stellte und mit schweren Schlägen eindeckte, worauf Inglewood das weiße Handtuch warf. Brook hatte vermutlich bereits in der ersten Runde einen Bruch an der Augenhöhle davongetragen und wurde durch den Abbruch vor Schlimmerem bewahrt. Zudem war er zuletzt nicht mehr im Stande, Gegenwehr zu leisten, und wäre mit Sicherheit wenig später auf den Brettern gelandet.

Alle anderen namhaften Konkurrenten waren Golowkin aus dem Weg gegangen, während Brook das Angebot sofort angenommen und unerwartet beherzt mitgeboxt hatte, was man ihm hoch anrechnen sollte. Daß er jedoch hinterher behauptete, er hätte durchaus weiterkämpfen können und am Ende wahrscheinlich gewonnen, läßt tief blicken, wie es um seine Selbsteinschätzung bestellt ist. Leider findet man keine Anhaltspunkte dafür, daß er sich lediglich selber vermarktet und deswegen erzählt, was immer ihm in diesem Zusammenhang opportun erscheint. Verfolgt man über längere Strecken, was er so alles über sich und seine Bedeutung von sich gibt, steht zu befürchten, daß er es tatsächlich selber glaubt. So rühmt er sich denn, daß alle anderen Errol Spence aus dem Weg gingen, während er sich dem US-Amerikaner zum Gipfeltreffen im Weltergewicht stelle und ihn niederkämpfen werde. [1]

Dabei hätte Brook allen Grund, sich große Sorgen zu machen. Spence ist ein Gegner, der unablässig Druck macht, variabel schlägt und sich im klaren darüber ist, daß er in Sheffield kaum nach Punkten gewinnen kann. Der Herausforderer wird Jagd auf den Briten machen und mit aller Macht einen Niederschlag anstreben, um für klare Verhältnisse zu sorgen. An Brooks lädierter rechter Augenhöhle wurde operativ eine Titanplatte eingesetzt, und es ist ungewiß, ob diese mit großer Wucht ausgeführten Schlägen standhält. Das zweite körperliche Problem des Weltmeisters ist seine forcierte Gewichtsabnahme. Der Brite sieht inzwischen so dünn und sehnig aus, als sei er ein Läufer und nicht so sehr ein Boxer. Bei bestimmten Anforderungen mag sich das sicher gut anfühlen, doch in einem auf zwölf Runden angesetzten Kampf drohen nach einer solchen Tortur Substanzverlust und Konditionsprobleme. Brook, dem es in jüngerer Zeit zunehmend schwerer gefallen war, das Limit des Weltergewichts einzuhalten, verfügt über gewisse Erfahrungen mit dieser Problemlage. Die aktuelle Situation weicht davon jedoch erheblich ab, da der Brite vor dem Kampf gegen Golowkin gezielt Gewicht zugelegt hatte und sogar schwerer als der Kasache war, was den umgekehrten Weg hinunter ins Weltergewicht um so mühsamer und körperlich strapaziöser macht.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/05/brook-and-spence-boxing/#more-234561

19. Mai 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang