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MELDUNG/2287: Schwergewicht - fast ins Auge gegangen ... (SB)



Bryant Jennings hat Mühe mit Alexander Dimitrenko

Letzten Endes wurde Bryant Jennings seiner Favoritenrolle gerecht, doch bis es soweit war, mußte der 33jährige Schwergewichtler aus Philadelphia vier Anfangsrunden überstehen, in denen ihm die Felle wegzuschwimmen drohten. Alexander Dimitrenko, ein drei Jahre älterer in Hamburg lebender Russe, machte im Ocean Resort Casino in Atlantic City zunächst konsequent von seinen körperlichen Vorteilen Gebrauch. Mit einer Größe von 2,01 m und einem Gewicht von 116 kg war er zehn Zentimeter größer und vierzehn Kilo schwerer als der US-Amerikaner, den er mit langen Jabs aus der Distanz auf Abstand hielt. Als Jennings gar in der vierten Runde nach einem Volltreffer aufs linke Ohr zu Boden gehen mußte, schien der Außenseiter eindeutig auf der Siegerstraße zu sein.

In der amerikanischen Ecke wußte man offensichtlich, daß eine Niederlage bevorstand, sofern man die Kampfesweise nicht von Grund auf änderte. Die Konsequenzen zeigten sich in der fünften Runde, als Jennings dem Gegner näher zu Leibe rückte, um ihn beidhändig mit Schlägen zu Kopf und Körper einzudecken. Das zahlte sich aus, da Dimitrenko die längeren Arme nichts mehr nützten und der US-Amerikaner in Halbdistanz und Infight klar überlegen war, wobei sich sein linker Haken als gefährlichste Waffe erwies. Wann immer der Russe zum Gegenangriff übergehen wollte, bearbeitete ihn Jennings sofort mit Kombinationen, worauf sich Dimitrenko nicht anders zu helfen wußte, als zu klammern.

Von zahlreichen Treffern zermürbt und müde geworden, mußte der Russe in der achten Runde zuerst nach einem linken Haken und wenig später nach einem Schlaghagel zu Boden gehen. Wenngleich er in beiden Fällen rasch wieder auf die Beine kam, sah es nun denkbar schlecht für ihn aus. Das vorzeitige Ende kam dann in der neunten Runde, als Jennings seinen Gegner mit einem rechten Uppercut ein drittes Mal auf die Bretter schickte. Ringrichter Allen Huggins ging dazwischen und brach den Kampf ab, der nach 1:56 Minuten des Durchgangs beendet war. [1]

Dimitrenko hätte augenscheinlich gern weitergekämpft und erweckte den Eindruck, daß ihm das auch möglich gewesen wäre. So gesehen ging der Referee überhastet zu Werke, als habe er sich schon zuvor entschlossen, im Falle eines erneuten Niederschlags abzuwinken. Andererseits waren die Aussichten des Russen, das Blatt zu wenden, derart geschrumpft, daß er mit hoher Wahrscheinlichkeit abermals auf dem Boden gelandet wäre. Huggins hatte also verantwortungsbewußt gehandelt und der Unversehrtheit des Boxers Vorrang eingeräumt. Während Bryant Jennings seine Bilanz auf 24 Siege und zwei Niederlagen ausbauen konnte, stehen für Alexander Dimitrenko nun 41 gewonnene und vier verlorene Auftritte zu Buche. [2]

Er habe sich auf zwölf Runden vorbereitet und sei in ausgezeichneter Verfassung, so der US-Amerikaner nach seinem Erfolg. Da Dimitrenko trotz seiner Größe schneller als erwartet gewesen sei, habe es einer Umstellung bedurft, um den Job zu Ende zu bringen. Jetzt sei er bereit für einen Titelkampf, verkündete Jennings. Der Russe war in der Tat vor allem in den ersten vier Runden recht flott, variabel und wirkungsvoll zur Sache gegangen. Hätte er auch im weiteren Verlauf entsprechend häufig geschlagen, wäre der Kampf womöglich anders verlaufen. Am Ende wurde Dimitrenko wie schon mehrfach in der Vergangenheit sein schwaches Kinn zum Verhängnis, wobei es Jennings erst in der neunten Runde gelang, die Entscheidung herbeizuführen.

Der Neuseeländer Joseph Parker hatte 2016 nur drei Runden gebraucht, um Dimitrenko niederzuzwingen. Wenngleich solche Vergleiche natürlich von begrenzter Aussagekraft sind, unterstreicht dieser Querverweis doch den Eindruck, daß es Jennings beträchtliche Mühe kostete, mit dem Russen fertigzuwerden. Dessen Schwäche um Nahkampf erlaubte es ihm, das Ruder herumzureißen und im weiteren Verlauf den Ton anzugeben. Hätte ihm ein hochklassiger Kontrahent gegenübergestanden, wäre ihm das nicht so leicht möglich gewesen. Als Bryant Jennings im Dezember 2015 dasselbe mit Luis Ortiz versuchte, bekam ihm das schlecht. Der Kubaner nahm ihn aus der Nahdistanz regelrecht auseinander und behielt in der siebten Runde endgültig die Oberhand, obgleich ihm eine Grippe zu schaffen machte.

Im April 2015 hatte Jennings zwar nach Punkten gegen Wladimir Klitschko verloren, dabei aber einen so guten Eindruck hinterlassen, daß ihn manche Kommentatoren sogar zu einem möglichen Nachfolger des Ukrainers hochstilisierten, dessen Niedergang sich abzuzeichnen schien. Die klare Niederlage gegen Ortiz noch im selben Jahr warf den US-Amerikaner jedoch weit zurück, zumal er 2016 keinen einzigen Kampf bestritt. Seither arbeitet er sich Schritt für Schritt wieder nach oben, wobei er derzeit in der Rangliste der WBO an Nummer acht geführt wird. Die Aussichten Dimitrenkos auf eine Revanche stehen schlecht, da Jennings' Promoter Top Rank einen lukrativen Titelkampf gegen Anthony Joshua anvisiert.

Dank des Erfolgs gegen den Russen rückt Jennings wahrscheinlich ein Stück nach vorn, doch dürfte ihn der Verband eigentlich nicht an der Spitze der Rangliste plazieren, bevor er nicht einen der dort notierten Akteure besiegt hat. Er würde indessen allenfalls als Pflichtherausforderer der WBO gewisse Aussichten auf einen Titelkampf gegen Joshua haben, dessen Auftritte in Großbritannien von Sky Box Office im Pay-TV und in den USA künftig bei DAZN zu sehen sind. Da Jennings bei Top Rank mit dem Sender ESPN assoziiert ist, kommt er daher als Kandidat für eine freiwillige Titelverteidigung Joshuas kaum in Betracht.

Davon abgesehen stünde Jennings in seiner aktuellen Verfassung ohnehin gegen die Weltmeister Anthony Joshua und Deontay Wilder auf verlorenem Posten. Legte es sein Promoter Bob Arum darauf an, ihn auf direktem Weg voranzubringen, böte sich der Neuseeländer Joseph Parker oder der Brite Dillian Whyte, vielleicht auch eine Revanche gegen den Kubaner Luis Ortiz an. Das wären jedenfalls handfeste Bewährungsproben, die sich freilich allzu leicht als Stolperstein erweisen könnten. Deswegen steht eher zu erwarten, daß Arum ein solches Risiko scheut und Jennings abermals einen Kandidaten vom Kaliber Dimitrenkos zuführt.


Fußnoten:

[1] www.espn.com/boxing/story/_/id/24412894/bryant-jennings-overcomes-4th-round-knockdown-stop-alexander-dimitrenko-9th

[2] www.boxingnews24.com/2018/08/bryant-jennings-stops-alexander-dimitrenko-results/#more-268861

23. August 2018


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